Mit technischen Innovationen ist es wie mit einem Überraschungsei: Man weiß nie, was drinsteckt. Wie sie eingesetzt und die Gesellschaft verändern werden, kann niemand vorhersehen. Im Fall des Internet hat sich die Journalistin Mercedes Bunz nun daran gemacht, dessen gesellschaftliche Bedeutung auszuloten; ihr Buch heißt: „Die stille Revolution“.
Die Etablierung des Internet im beruflichen wie privaten Alltag markiert aus Sicht der Autorin eine Zeitenwende. So wie mechanische Webstühle und Spinnmaschinen die Industrialisierung ins Rollen brachten, haben moderne Algorithmen die Digitalisierung eingeleitet. Denn damals wie heute werde durch eine technische Innovation die gewohnte Arbeitswelt bedroht: „Ähnlich wie die Arbeiter im Zeitalter der Industrialisierung […] ihre einzige Einkommensquelle gefährdet sahen, werden die Qualifikationen und Rollen, die wir uns durch lange Ausbildung und harte Arbeit angeeignet haben, nun durch Algorithmen in Frage gestellt.“
In einer Gesellschaft der Experten, Gutachter und Sachverständigen stellt die Automatisierung des Wissens nach Ansicht der Autorin eine Bedrohung dar. Denn zum einen vergrößere sich der Wissensschatz, zum anderen werde das Expertenwissen durch Wikipedia und How-to-do-Videos auf Youtube entwertet. Sogar kurze Zeitungsartikel können mittlerweile automatisch erstellt werden.
Sollen Journalisten nun also losziehen und Computer zertrümmern, wie die Weber die Spinnmaschinen? Keineswegs. Für die Kulturwissenschaftlerin Mercedes Bunz liegt im Erkennen des Problems ein Schritt hin zu seiner Lösung. Nicht die Logik der Algorithmen sieht sie als problematisch, sondern die Art, wie diese Logik angewendet wird. Schließlich diktierten auch nicht die Webstühle den Webern miese Arbeitskonditionen, sonderen deren Besitzer.
Anstatt einen Lobgesang auf die gute alte Zeit anzustimmen, beschwört die Autorin die kreative Kraft der Gesellschaft. Bunz versucht sich in ihrem Buch an nichts Geringerem als an der Neupositionierung der Wissensarbeit in einer digitalisierten Gesellschaft. Ebenso, wie die Druckerpresse neue Berufsgruppen hervorgebracht hat, so bringe auch die Digitalisierung neue Aufgabenfelder mit sich. Das Credo ist unmissverständlich: Jetzt ist der Moment da, um die Veränderung aktiv mitzugestalten!
Schade nur, dass politische Gestaltungsmöglichkeiten – anders als der Titel des Buches verspricht – eher am Rande betrachtet werden; stattdessen fokussiert die Untersuchung auf den Journalismus. Hier offenbart sich die persönliche Motivation der ansonsten sehr sachlich argumentierenden Autorin: Als Journalistin ist ihre Beschäftigung mit Risiko und Potential des Internet verständlicherweise auch ein Ausloten der Zukunft des eigenen Berufsstandes. Keine Überraschung bei einer Autorin, die in ihrer Zeit als zitty-Chefredakteurin vor einigen Jahren titelte: „Meine Armut kotzt mich an“. Darin ähnelt sie dann doch den Maschinenstürmern vor 200 Jahren, denn es waren vor allem gut ausgebildete Handwerker, die aktiv wurden und zur Revolte aufriefen. Ihre zeitgenössischen Pendants schreiben stattdessen Bücher.
Mercedes Bunz: „Die stille Revolution. Wie Algorithmen Wissen, Arbeit, Öffentlichkeit und Politik verändern, ohne dabei viel Lärm zu machen“. Erschienen am 16.10.2012 im Suhrkamp Verlag.
Originalbilder des Artikelbilds von www.fromoldbook.org und CC-BY-NC-SA flora.cyclam via FlickR