Smartphone mit DAS NETTZ Logo, JEESHOTScom via pixabay, (CC0); ©Logo DAS NETTZ, bearbeitet.Anfeindungen, Beleidigungen oder Drohungen – das Internet reduziert die Hemmschwelle für den Ausdruck von verbaler Gewalt und bietet gleichzeitig eine Plattform für anonymisierten Hass. In den letzten Jahren hat sich das Phänomen der sogenannten „Hate Speech“ auf diversen Online-Plattformen vermehrt ausgebreitet. Im Interview mit politik-digital.de sprechen Hanna Gleiß und Nadine Brömme aus dem Projektteam von DAS NETTZ über diese Entwicklung und erklären, wie ihr aktiv begegnet werden kann.

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Hanna Gleiß und Nadine Brömme bauen seit Herbst 2017 gemeinsam Das NETTZ – Die Vernetzungsstelle gegen Hate Speech des betterplace labs auf. Hanna Gleiß hat Politikwissenschaft in Berlin und Internationale Beziehungen in Paris studiert und acht Jahre als Projektmanagerin im Bereich Völkerverständigung bei der Robert-Bosch-Stiftung gearbeitet. Nadine Brömme beschäftigt sich seit über 10 Jahren mit digitaler Kommunikation – zunächst als Analystin, später als Strategin bei der Digitalagentur Torben, Lucie und die gelbe Gefahr. Ihr besonderes Interesse gilt dem Einfluss der Digitalisierung auf den gesellschaftlichen Diskurs.

politik-digital.de: DAS NETTZ gründete sich 2017 mit dem Ziel, gegen “Hate Speech” im Internet vorzugehen. Was genau versteht man unter “Hate Speech” und wie hat sich das Phänomen in den letzten Jahren verändert?

Der Begriff Hate Speech (auf Deutsch Hassrede) ist relativ neu und es gibt keine von allen akzeptierte Definition, es ist auch kein eigener juristischer Tatbestand. Häufig damit gemeint sind die Tatbestände Volksverhetzung oder Beleidigung. Eine gängige und auch von uns benutzte Definition ist der Ausdruck von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Das bedeutet, dass jemand beleidigt oder bedroht wird, weil er/sie mit einer bestimmten Gruppe identifiziert wird, z.B. eine Kopftuchträgerin. Auch Menschen, die sich für bestimmte Themen engagieren, wie z.B. Rechte für Frauen oder Geflüchtete, sind häufig Opfer von Hassrede. Es scheint, dass Hassrede in Deutschland in den letzten 2 bis 3 Jahren zugenommen hat.

politik-digital.de: DAS NETTZ soll als Vernetzungsstelle gegen Hate Speech fungieren. Wie findet diese Vernetzung statt und welche anderen Angebote bietet DAS NETTZ?

Wir haben verschiedene analoge Vernetzungsformate ins Leben gerufen: Unser monatlicher Stammtisch in Berlin (Termine erfahrt ihr in unserem Newsletter und auf unserer Facebook-Seite), unser jährliches Community Event vom 13.-14.09.18 sowie weitere thematische Events im Verlauf des Jahres. Eine digitale Vernetzung ermöglichen wir über einen Slack-Kanal. Auf unserer Website bündeln wir Wissen zum Thema Hate Speech: wissenschaftliche Publikationen sowie praktische Arbeitsmaterialien für den konkreten Umgang. Außerdem stellen wir verschiedene Initiativen und ihre Ansätze vor und machen sie so sichtbarer. Wir möchten einen Erfahrungsaustausch untereinander ermöglichen. Wir glauben, dass so alle voneinander lernen können und ihre wichtige Arbeit wirkungsvoller ausüben können. Auch mit MitarbeiterInnen von IT-Plattformen, politischen EntscheidungsträgerInnen und Medienschaffenden tauschen wir uns aus und möchten Bedarfe aus der Zivilgesellschaft weitertragen, um damit langfristig zu verbesserten Rahmenbedingungen für Engagierte beizutragen. Im Juni haben wir unseren ersten “Hack Day for Good” ins Leben gerufen, um gemeinsam mit AktivistInnen, AnalystInnen und EntwicklerInnen Lösungen auf einer technischen Ebene zu überlegen. Daraus sind organisationsübergreifend tolle Ideen für erste Prototypen entstanden, die wir demnächst veröffentlichen. Ab sofort ist auch unser jährlicher Förderwettbewerb (Anmeldungen bis zum 25.08.) ausgeschrieben, bei dem wir insgesamt 20.000 Euro an kleinere Projekte weiterreichen.

politik-digital.de: Damit knüpft die Initiative an die Frage an, wie mit Hass im Netz umgegangen werden soll. Ignorieren, melden oder ausdiskutieren – viele Betroffenen sind zu Beginn zunächst verunsichert, wie sie auf Hate Speech reagieren sollen. Welche Reaktion empfehlen Sie?

Sicher gibt es nicht die eine Lösung, da die jeweiligen Situationen sehr komplex und auch unterschiedlich sind. Das heißt, in den meisten Fällen empfiehlt sich eine Mischung unterschiedlicher Maßnahmen. Menschenfeindliche Angriffe, Drohungen und Aufrufe zur Gewalt sollten in jedem Fall gemeldet und auch zur Anzeige gebracht werden. Beleidigungen können je nach Situation und Fülle auch mal ignoriert werden – vor allem dann, wenn deutlich ist, dass der/die AbsenderIn nicht an einer konstruktiven Diskussion interessiert ist. Diskutieren sollte man mit jenen, die an einer Debatte interessiert sind. Natürlich ist es völlig menschlich, frustriert zu sein und manchmal muss das raus, aber eben in Form eines respektvollen Miteinanders. Bei solchen sachlichen Diskussionen leistet z.B. die Gegenrede-Community #ichbinhier auf Facebook wertvolle Arbeit. Wenn man selbst sehr stark betroffen ist, sollte man sich unbedingt Hilfe holen, z.B. beim Projekt “Hate Aid” von Fearless Democracy.

politik-digital.de: Die ARD Dokumentation “Lösch dich!” zeigt, wie organisierte Communities online gezielt Hass verbreiten. Dabei ist eine sehr kleine Minderheit von Userinnen und Usern online überproportional sichtbar. Angenommen es steckt wirklich eine geringe Zahl an realen Personen hinter dem gezielt verbreiteten Hass im Netz – wie konstruktiv kann ein Dialog mit diesen Personen dann überhaupt werden?

Bei extremen Meinungen und radikalisierten VertreterInnen dieser Anschauungen ist (Online-)Dialog oder auch Gegenrede sicher nur begrenzt wirkungsvoll. Hier ist pädagogische Expertise gefragt, um die Ursachen der Radikalisierung zu bekämpfen. Die Bereitschaft zum Dialog und auch ein Vertrauensverhältnis sind im Digitalen große Herausforderungen. Dennoch gibt es Organisationen wie das Violence Prevention Network, die wichtige pädagogische Arbeit leisten und dies auch zunehmend in den digitalen Raum übertragen. Bei der organisierten Verbreitung von Hass durch eine Minderheit ist Dialog und Gegenrede dennoch ein wichtiger Ansatz, um vor allem die “stillen Mitlesenden” zu erreichen. Es darf sich nicht der Eindruck manifestieren, dass die laute Minderheit einen Großteil der Gesellschaft repräsentiert. Gegenrede soll genau das leisten, um auch politisch Unentschlossene zu erreichen. Falschinformationen und Hass in der Netzöffentlichkeit dürfen wir nicht stehen lassen. Wir alle müssen diese Dialoge führen, um einer Diskursverschiebung gesellschaftlicher Themen entgegenzuwirken.

politik-digital.de: Mittlerweile organisieren von rechts bis links sich viele Menschen in Gruppen, um gezielt Einfluss auf Diskussionen und Wahrnehmung der Stimmung in der Bevölkerung zu nehmen. Auch das NETTZ dockt hier an. Werden zukünftig immer mehr “digitale Truppen” aufeinanderprallen und der individuelle Austausch – zumindest bei polarisierenden Themen – auf der Strecke bleiben?

Gegenrede ist nur ein Teil der Maßnahmen gegen Hassrede. Die Frage ist, warum gibt es diesen Hass in unserer Gesellschaft? Was führt dazu, dass er seit 2-3 Jahren im Netz immer sichtbarer wird? Individueller Austausch und damit die Auseinandersetzung mit den Ursachen ist unbedingt notwendig, um etwas zu verändern. Das ist sicher eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und kann nicht vorrangig bei kleinen zivilgesellschaftlichen Organisationen liegen. Medien, Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft müssen hier gemeinsam Lösungen entwickeln. Genau da setzen wir mit unserem Projekt Das NETTZ an. Wir wollen intersektional zusammenarbeiten, um die Rahmenbedingungen zu verändern, sodass die Verbreitung von Hass und Hetze nicht mehr in der Form möglich ist. Was das Auseinanderdriften der Gesellschaft betrifft, sind wir natürlich alle gefragt. Und wie Sie richtig anmerken, ist das Risiko einer weiteren Polarisierung durch die entsprechenden Gegenreaktionen durchaus vorhanden und auch alle Engagierten sollten hier immer wieder selbstkritisch die eigene Wirkung hinterfragen. Hass kann man nicht mit Hass oder Gegenaggression bekämpfen. Vielleicht sind die Kommentarspalten von Facebook, Twitter & Co. auch nicht der richtige Ort, um über Werte zu diskutieren. Wir brauchen eine Weiterentwicklung dieser Angebote um neue Plattformen oder Formate. Das Angebot von Diskutier mit mir e.V., eines der Gewinnerprojekte unseres letzten Förderwettbewerbs, setzt beispielsweise genau hier an, indem sie Menschen, die politisch möglichst weit voneinander entfernt sind, einen anonymen 1:1 Chat anbieten.

politik-digital.de: Der Aufbau von parallelen Netzwerken wie Gap, VK oder Minds, in denen rassistische oder hetzerische Posts geduldet werden, steigt. Kann diese Entwicklung als Konsequenz des rigorosen Content-Managements von traditionellen Anbietern wie Facebook und Co. gewertet werden? Wenn ja, wie gelingt der Spagat zwischen Meinungsfreiheit und konstruktiver Debattenkultur in einem Netzwerk, das für alle zugänglich bleibt?

Es gab schon immer parallele Netzwerke zu Facebook und Co., auf denen sich unterschiedliche Interessengruppen zusammenfinden. Die gegenwärtige Entwicklung von parallelen Netzwerken hat bestimmt teilweise mit dem Content-Management der großen sozialen Plattformen zu tun, die jetzt durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz im Zugzwang sind. Sicher kann man über die Rigorosität ihres Vorgehens aber auch streiten. Viele Betroffene wünschen sich einen konsequenteren Umgang mit menschenfeindlichen Äußerungen. Teilweise werden Gewaltandrohungen nicht entfernt, weil sie nicht gegen die Gemeinschaftsregeln verstoßen. Opfer von Hassrede fühlen sich damit allein gelassen und fordern u.a. personelle Aufstockungen. Einen Spagat zwischen Meinungsfreiheit und konstruktiver Debattenkultur sollte es nicht geben. Es muss aus gesellschaftlicher Sicht vielmehr möglich sein, respektvoll miteinander umzugehen. Das heißt auch, dass Menschenfeindlichkeit einfach nicht geduldet werden darf – weder auf den größeren Plattformen, noch auf kleineren Netzwerken. Denn das hat nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Es ist unbedingt notwendig, dass wir moralisch argumentieren, dass wir ethische Rahmenbedingungen für unseren Online-Diskurs setzen. Diese ethischen Rahmenbedingungen sollten alle einhalten, die Plattformen im Internet anbieten – egal wie groß sie sind. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Entsprechend konsequent muss auch vorgegangen werden.

politik-digital.de: Denken wir fünf Jahre in die Zukunft. Was hätte DAS NETTZ konkret erreicht, um von einer erfolgreichen Umsetzung der Initiative zu sprechen?

Wir wünschen uns, dass diejenigen, die sich gegen Hass und Hetze im Netz und für ein respektvolles Miteinander engagieren, wesentlich stärker wahrgenommen werden als aktuell und dass sie ihre Arbeit wirkungsvoll machen können. Wenn wir dazu beigetragen haben, dass die Initiativen gegen Hate Speech alle miteinander vernetzt sind, sich rege austauschen über ihre Herausforderungen und Erfolge und voneinander lernen, dann sind wir einen großen Schritt weiter. Wenn wir es darüber hinaus schaffen, dass seitens der Politik, Justiz, Medien und Polizei entsprechende Rahmenbedingungen und der Diskurs verändert wird, dann kommen wir dem Ziel näher. Wenn all das zur Eindämmung von menschenfeindlichen Kommentaren und Handlungen führt und wir von einer positiven Debattenkultur sprechen können, dann haben wir unser Ziel erreicht.

Titelbild: JEESHOTScom via pixabay (CC0); ©Logo DAS NETTZ, bearbeitet.

Bild der Interviewpartnerinnen: ©betterplacelab.org

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