Der Internet-Wahlkampf in Rheinland-Pfalz
eine erste Bestandsaufnahme zwei Monate vor der Wahl


Rheinland-Pfalz hat die Wahl – zwischen dem Titelverteidiger Kurt Beck,
SPD, und seinem Herausforderer Christoph Böhr, CDU. Einer der beiden
residiert in den nächsten fünf Jahren als Ministerpräsident in Mainz,
und wie es sich für moderne Politiker gehört, suchen sie auch auf
digitalen Pfaden den Weg in den Landtag. Dabei fällt der lange Schatten
des berühmtesten Mainzers auf auf die ersten Wahlen des neuen
Jahrtausends: Johannes Gutenberg
stellte mit beweglichen Lettern und Druckerpresse die Weichen für die
Entwicklung der modernen Massenmedien. Wie innovativ gehen Beck, Böhr
und Co. mit den neuen Medien um? Surfen sie souverän durch die Netzwelt
oder setzen sie Gutenbergs Erbe aufs Spiel?

Die SPD und das virtuelle Spiegelbild

Die rheinland-pfälzische SPD geht dabei einen anderen Weg als die Konkurrenz. Mit ihrem Webangebot, dem Rheinland-Pfalz-Portal,
verzichtet sie auf lautstarke digitale Kampagnen. Stattdessen
präsentiert sie eine Mischung aus zwei Komponenten: zum einen solide
politische Informationsarbeit, vor allem die Vorstellung von Kandidaten
und politischen Zielen, zum anderen "ein virtuelles Spiegelbild von
Rheinland-Pfalz", wie es Landesgeschäftsführer Roger Lewentz nennt.
Mehr als 13.000 Links zu Institutionen, Firmen, Privatpersonen und
Vereinen des Landes, dazu individuelle Websites zu allen 2.300
Gemeinden, komplettiert durch Stadtpläne, Wetter- und
Verkehrsnachrichten sowie Links zu lokalen Medien und
Kulturinstitutionen. Die Daten stützen sich auf www.meinestadt.de, ein Internetportal für Städte und Gemeinden.

Auf
die breite Masse der Bevölkerung ausgerichtet und seit Ende November
2000 im Netz, soll dieses Angebot nicht ausschließlich eine bestimmte
Wählergruppe ansprechen. Vielmehr verdeutlicht es Anspruch und
Selbstverständnis der SPD als Volkspartei mit regionalen Wurzeln: "Die
Leute interessiert, was in ihrem Umfeld passiert, in ihrem Dorf oder
Stadtteil – und nicht in Miami", so Lewentz. "Außerdem wollen sie keine
platte Parteiwerbung, sondern einen konkreten Bezug zu ihrer Region."

Mit
anderen Worten: Nach Name oder Wahlkreis aufrufbar, präsentieren sich
alle 51 SPD-Kandidaten für ein Direktmandat – mit Lebenslauf,
politischen Zielen, Adressen und Wahlkampfterminen. Eingerahmt wird
diese Präsentation durch Links zu allen Städten und Orten des
Wahlkreises. Jeder Kandidat verfügt über eine individuelle
Schnittstelle zum Portal und kann problemlos aktuelle Themen mit
regionalem Bezug aufgreifen: Sollen im Westerwald Jugendtaxis
eingeführt werden? Braucht Koblenz eine neue Rheinbrücke? – Um
herauszufinden, was die Wähler dazu meinen, veranstalten die Kandidaten
Online-Umfragen.

Eine
beeindruckende Site, die ihren Preis hat: 125.000 Mark hat die SPD
dafür investiert und damit vermutlich den teuersten Internetauftritt
aller Südwestparteien finanziert. Dabei ist noch gar nicht entschieden,
ob das Portal nach der Wahl online bleibt. Alles in allem haben die
Sozialdemokraten eine kompakte Webpräsenz mit spannenden Ansätzen:
Online-Umfragen zu Wahlkreisthemen, Portalfunktion mit regionaler
Ausrichtung. Nach Auskunft des Landesgeschäftsführers Lewentz hat die
SPD damit viele positive Reaktionen geerntet. Ob die Wähler am 25. März
daran denken, wenn sie ihr Kreuz auf den Wahlzettel setzen?


Die CDU und knappe Kassen

Die
rheinland-pfälzischen Christdemokraten kämpfen mit demselben Problem
wie ihre Parteifreunde im Ländle: Sie haben zu wenig Geld. Zwei
Millionen Mark können sie im Wahlkampf ausgeben. "Wir bekommen keine
Unterstützung von der Bundespartei", so die CDU-Pressestelle, "und wir
haben nur 50 Pfennig pro Einwohner zur Verfügung. Für ein Flächenland
wie Rheinland-Pfalz ist das verdammt wenig Geld!" Zum Vergleich:
Eberhard Diepgen konnte für seinen 1999er Senatswahlkampf – vor der
Finanzaffäre der CDU – das Doppelte ausgeben, 4 Millionen Mark. Zumal
er sich auf einen ungleich kleineren Raum konzentrierte: die Stadt
Berlin, die sogar noch etwas weniger Einwohner hat als das Land an
Rhein und Mosel. Große Sprünge sind da nicht möglich. "Das Internet ist
eine Ergänzung für unseren Wahlkampf", wie die Öffentlichkeitsarbeiter
freundlich formulieren.

Via WWW versuchen die Christdemokraten, das eigene Milieu zu mobilisieren und die Jungwähler für sich zu interessieren. Auf der Website ihres Landesverbandes
ist noch nicht zu erkennen, wie das gelingen soll: Zwar stellen sich
die Spitzen der Partei vor, Programm und politische Statements sind
online verfügbar. Damit bietet die CDU allerdings bestenfalls
inhaltliches Mittelmaß. Wieso gerade jüngere Wähler und Surfer hier
anbeißen sollen, welche thematischen Schwerpunkte und Features sie
ansprechen sollen, bleibt im Dunkeln.

Einzig
der E-Mail-Service der Partei und der Chatroom versprechen ein gewisses
Potenzial. Via Mail können sich Interessierte über Neuigkeiten und
politischen Positionen der Partei ins Bild setzen lassen, ferner hat
die CDU eine Datenbank erstellt, in der sympathisierende Wähler
verzeichnet sind. Für diese Zielgruppe, zusammen mit Datenbank und
Newsletter könnte die Website dank Informationsangebot und Chatroom
Argumentationshilfe und Meinungsforum sein. Neue Wähler werden die
Christdemokraten in dieser Form wohl kaum gewinnen.

Ergo:
Für eine Kampagnensite sind bestenfalls Ansätze erkennbar. Dass der
Grund dafür auf der Hand liegt, nämlich Geldnot, verbessert ihre
Attraktivität nicht. Zumindest wird Spitzenkandidat Christoph Böhr
bald eine eigene Website ins Netz stellen. Die CDU kann mit der
Konkurrenz nicht mithalten. Tendenz: fünf weitere Jahre in der
Opposition.

Die F.D.P. und die Doppelspitze

Die
Liberalen in Rheinland-Pfalz beschreiten einen anderen Weg als die
übrigen Parteien. Während die Konkurrenz ihr Webangebot in ausführliche
Parteiseiten und persönliche Homepages der Kandidaten aufteilen wird,
verbindet die F.D.P. Präsentation der Spitzenkandidaten – Hans-Artur
Bauckhage nebst Rainer Brüderle – und Parteiseiten miteinander. Ihren
Wahlslogan "F.D.P. doppelt gut", der auf das Spitzenduo Bauckhage /
Brüderle anspielt, haben die Liberalen cleverweise als Adresse
funktionalisiert. fdp-doppelt-gut.de müssen User ansteuern, wenn sie mehr über die Liberalen erfahren wollen.

Dass
sich die F.D.P. zentral an einer Stelle präsentiert, hat einen simplen
Grund: "Wenn wir mehrere Seiten präsentieren, verwirrt das die User
nur. Wer politische Informationen sucht, möchte alles auf einen Blick
haben – und nicht auf mehrere Seiten verteilt", erläutert Uwe Evers von
der UV GmbH, der die Seiten maßgeblich mitgestaltete.

Eine
Mischung aus Aktualität und dosierter Unterhaltung, so das Credo der
liberalen Wahlkämpfer, soll die Wahlkampfsite auszeichnen. In der
heißen Phase des Wahlkampfs wird sich zeigen, ob die Liberalen ihrem
Anspruch gerecht werden, "hochaktuell von allen Veranstaltungen zu
berichten und so den Wahlkampf nach Hause zu tragen", wie es die
Pressesprecher Timo Riediger gegenüber politik-digital formuliert.

65.000
Mark haben die Liberalen in ihre Webpräsenz investiert. Bei einem
Gesamtbudget von einer Million Mark ein relativ hoher Betrag – der sich
schon bezahlt gemacht hat. Denn die Wahlkampfsite ist durchaus
ansprechend. Das Informationsangebot ist übersichtlich gestaltet.
Tagesaktuelle Pressemeldungen und Terminankündigungen sind durch eine
eigene Navigationsleiste besonders herausgestellt, sodass die neuesten
Informationen sofort zu finden sind. Ferner hält ein Newsletter die
User auf dem Laufenden. Die nötige inhaltliche Tiefe erhält das Angebot
durch Kandidatenportraits und Wahlprogramm. Als Auflockerung dient ein
Kandidatenquiz.

Lobenswert ist auch, dass die Schwerpunkte Mobilität, Bildung und Jugend besonders hervorgehoben sind –
kurzum: Die F.D.P. muss die Konkurrenz der anderen Parteien nicht fürchten, der blau-gelbe Webauftritt
ist vielversprechend. Auch wenn die Doppelspitze Hans-Artur Bauckhage / Rainer Brüderle keine seperate
persönliche Homepage unterhält.

Die Grünen und ihre potenziellen Mitglieder

Um
einen Machtwechsel einzuleiten und die Opposition zu verlassen – dafür
haben die rheinland-pfälzischen Grünen im Internet "gute Gründe", im
wahrsten Sinne des Wortes: Unter der wortspielerischen Adresse gute-gruen.de
präsentiert sich die Ökopartei. Auf eine Zielgruppe will sich die
Sonnenblumenpartei nicht beschränken: "Uns geht es nicht nur um die
Jungwähler", meint Pressesprecherin Marion Blitz, "praktisch alle User
sind potenzielle Grüne, sozusagen."

Trotz
oder gerade wegen dieses hohen Anspruchs sind die Grünen noch am
Feilen. Ihre Wahlkampfsite ist noch im Aufbau, erst ab Mitte oder Ende
Februar wird sie fertig gestellt sein. Ob die Spitzenkandidatin Ise
Thomas eine Website bekommt, steht noch nicht einmal fest. In
Anbetracht des schmalen Wahlkampfbudgets ist das nicht verwunderlich.
Die Grünen in Rheinland-Pfalz haben nur 600.000 Mark für den Wahlkampf
zur Verfügung, unter den vier etablierten Parteien ist dies mit Abstand
der niedrigste Etat.

Gemessen
an ihren finanziellen Möglichkeiten ist der bisherige Auftritt durchaus
sehenwert: Zwar sind Diskussionsforum und E-Postkarten noch nicht
aktiviert, aber Pressemitteilungen, Termine, Beschlüsse, Wahlprogramm
und Kandidatenportraits erfüllen den Standard, zumal die Navigation der
Website sehr gelungen ist. Für den partei-internen Gebrauch bietet sie
zudem Argumentationspapiere und Parteiprotokolle im geschützten
Bereich. Kurzum: Die Grünen sind auf dem richtigen Weg, mit der F.D.P.
oder mit der SPD können sie sich noch nicht messen.

Fazit

Von
den Webangeboten der rheinland-pfälzischen Parteien sticht das der SPD
am deutlichsten hervor – dank einer innovativen Mischung aus
politischer Informationsarbeit und regional ausgerichtetem Portal.
Ähnlich wie in Baden-Württemberg kann die CDU mit den Wahlkampfseiten
ihrer Konkurrenten nicht mithalten, während die Kleinen, F.D.P. und
Grüne, im Netz ganz groß werden. Im Vergleich zu Baden-Württemberg, das
am selben Tag wählt, fällt auf: Die Parteien im Ländle sind früher und
engagierter im Netz vertreten. Keiner der Spitzenkandidaten, die die
vier etablierten Parteien in Rheinland-Pfalz ins Rennen schickt,
trommelt zwei Monate vor der Wahl mit einer eigenen Homepage um
Stimmen. Im Ländle sind es immerhin drei von vieren. Es scheint, als
würde Baden-Württemberg seinem Ruf als Hightech-Ländle alle Ehren
machen, während Rheinland-Pfalz ins digitale Hintertreffen geraten ist.
Daran kann auch das Rheinland-Pfalz-Portal nichts ändern – Gutenbergs
Erben sind umgezogen, von Mainz nach Stuttgart.