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Neu Delhi – Radikale Visionen bleiben selten ohne Widerspruch. Das erlebt auch Mark Zuckerberg, der die Menschheit mit freiem Internet beglücken will. Ein Lieblingsprojekt des Facebook-Gründers firmiert unter dem Markenzeichen “Free Basics”. Es soll Hunderten Millionen Menschen vor allem in dem unterentwickelten Teil der Welt kostenlosen Zugang zu ausgewählten Onlinediensten verschaffen.

Indien ist ein Schlüssel für das Gelingen des digitalen Großraumprojektes. Das südasiatische Schwellenland ist im Umruch. Die Digitalisierung, da ziehen Regierung und Unternehmen an einem Strang, gilt als Instrument, das die Massen aus der Armut hieven soll. Eine Milliarde der 1,3 Milliarden Inder verfügen nicht über einen Internet-Zugang. Das wird sich schnell ändern. In der Branche herrscht Goldgräber-Stimmung.

Mit knapp 140 Millionen Nutzern ist Facebook auf dem indischen Markt bestens platziert: Nur in den USA geniesst Zuckerbergs Social Media-Dienst mehr Zuspruch.

Wer gemeint hatte, Facebook würde mit seinem Angebot eines abgespeckten Gratis-Internet in Indien Begeisterung auslösen, wurde eines Besseren belehrt. Das Vorhaben hat auf den Subkontinent eine Grundsatzdiskussion ausgelöst, die längst über die versteckten Zirkel der Experten und Netzaktivisten hinausreicht.

Vorausgegangen war die Entscheidung der indischen Telekommunikationsaufsichtsbehörde TRAI, den Dienst vorübergehend zu stoppen. Die Auszeit solle, durchaus in guter demokratischer Tradition, für die eigene und allgemeine Entscheidungsbildung genutzt werden.

Es folgte eine Meinungsschlacht auf allen Kanälen, die noch nicht abgeschlossen ist. Über eine gewaltige Anzeigenkampagne stellte Facebook sicher, dass die Botschaft, Free Basics meine es gut mit Land und Leuten, beim besten Willen nicht übersehen werden konnte. Dieselben Zeitungen, die die teuren ganzseitigen Inserate druckten, veröffentlichten wenig später kritische Kommentare der Free Basics-Gegner.

Die Koalition der Opposition ist vielfältig: Neben der überschaubaren Gruppe der Netzaktivisten, deren Spezial-Jargon nur Eingeweihte verstehen, finden sich Unternehmer und ihre Verbände, die ihre wirtschaftlichen Interessen durch das Gratis-Internet gefährdet sehen. So etwa der Start-Up Verband NASSCOM mit seinen 2.000 Mitgliedern aus der IT-Branche und dem E-Commerce-Bereich. „Der Schutz der Netzneutralität ist eine nicht verhandelbare nationale Priorität“, sagte NASSCOM-Präsident R. Chandrashekhar zur aktuellen Diskussion.

Die Gleichbehandlung aller Daten bei der Übertragung im Internet ist der Kern der Auseinandersetzung. Diesen Grundsatz sehen die Free Basics-Gegner verletzt, wenn Facebook-Manager darüber entscheiden können, welche Apps im Gratis-Angebot angesurft werden können und welche nicht. Unterschiedliche Menschen in Indien würden Zugang zu unterschiedlichen Informationen haben, von einem eingemauerten Garten” ist die Rede und der “Balkanisierung des Internet”.

“Wie kann in einem derart klaustrophobischen Umfeld Innovation gedeihen”, fragen Nandan Nilekani und Viral Shah in einem Meinungsbeitrag rhetorisch und warnen, Free Basics werde Indien in “eine digitale Kolonie der Internet Riesen” verwandeln.

In seinen PR-Aktionen stellt Facebook den gemeinnützigen Charakter des Projektes in den Vordergrund. Marc Zuckerberg vergleicht sein Gratis-Internet mit einer öffentlichen Bibliothek, wo auch nicht alle Bücher greifbar seien. „Gleichwohl liefert die Bücherei eine Welt des Guten“, schreibt der Unternehmer in der Times of India. Es gehe dabei nicht um kommerzielle Interessen, so der Firmengründer weiter, sondern um fundamentale soziale und wirtschaftliche Rechte wie Arbeitsplätze, Erziehung und Gesundheit. “Für zehn Menschen, die ans Internet angeschlossen werden, wird einer aus der Armut gezogen”, argumentiert Zuckerberg. Den Vorwurf, der Dienst sei ein “geschlossener Garten” erwidert der Philanthrop mit dem Hinweis, dass jeder Zweite, der zu Free Basics kommt, nach 30 Tagen zu einem bezahlten Serviceprovider wechsle. Kleines Gratis-Internet also als Einstiegsdroge zum regulären bezahlten Programm!

Die Entscheidung der Aufsichtsbehörde, wie es in dem Streit weitergehen soll, wird Ende des Monats erwartet; bis dann wollen die TRAI-Mitarbeiter die Berge von Einsendungen gesichtet und sortiert haben. Derweilen ist der Disput längst zu einem Politikum mutiert. In der veröffentlichten Meinung sind die Facebook-Kritiker eindeutig in der Mehrheit, kaum ein Kommentator bricht öffentlich für den Konzern aus Kalifornien die Lanze. Die indische Debatte leide unter einem starken anti-kapitalistischen und antiamerikanischen Vorurteil, lamentiert der amerikanische Journalist David Kirckpatrick.

Neutralität und Unabhängigkeit sind seit jeher Markenzeichen der indischen Außenbeziehungen, die sich nun auch in der Netzpolitik manifestieren. „Das Internet ist die feinste Schöpfung des menschlichen Verstandes. Es darf kein Monopol der Reichen werden“. Mit diesen Worten äusserte sich Indiens Kommunikations- und IT-Minister Ravi Shankar Prasad zu der aktuellen Kontroverse.

Der Satz hätte auch von Marc Zuckerberg stammen können – als Argument für sein abgespecktes Gratis-Internet für die Armen.

Bild: dailymotivationCC0 Public Domain

CC-BY-SA

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