"Let our resistance be as global
as capitalism" — gipfelsturm.net
Nahezu vier Wochen sind seit den schweren Auseinandersetzungen zwischen italienischen
Polizisten und Gegnern des G8-Gipfels in Genua verstrichen. Die emotionale Entrüstung
der internationalen Protestbewegung über "unser erstes Opfer" (Jugendmagazin "Jetzt")
wandelt sich in einen konstruktiven Disput über das Gesicht des politischen Widerstands
der Zukunft.
Die gerade erst entstandene
Generation Genu@, wagt man diese kurze Bezeichnung für eine komplexe
Protestbewegung, befindet sich bereits kurz nach ihrem Ursprung an dem
Scheideweg ihrer Existenz. Für ihre Zukunft muß die junge Bewegung sich
entscheiden zwischen politisch motivierter, inhaltlich engagierter,
globaler Protestaktivisten und hierarchieloser, gewalttätiger
Demonstranten, die weniger des Politikums als der Auseinandersetzung
wegen kämpfen. Eine Weggabelung, an der die meisten Protestbewegungen
der Vergangenheit auch standen, wenn die erste Ernüchterung eingekehrt
war.
In den neuen Foren prominenter Protestseiten wie der deutschen Edition von
indymedia.org oder gipfelsturm.net
aus Antifa-Kreisen, regiert in diesen Tagen nicht mehr allein die Wut über das
an den Demonstranten verübte Unrecht. Es werden nicht nur anklagende Schriften
militanter Initiativen publiziert, sondern allmählich kommt auch das Eingeständnis
einer Mitschuld an den bürgerkriegsähnlichen Ausschreitungen zur Sprache. Sogar
Vorsicht ist in den Beiträgen zu spüren, hervorgerufen durch die Verbreitung
unbestätigten Fakten über eine angeblich von Carabinieri ermordete
Demonstrantin im Umfeld des G8-Gipfels.
Eine neue Art der internen
Kommunikation entsteht in diesen Tagen innerhalb der Protestkreise, die
sich distanzieren will von meinungsmachenden Unwahrheiten. Hinter
diesem neuen Ansatz der Kommunikation steht die Hoffnung, eine
fundierte inhaltliche Debatte über die Weltpolitik, ihre ökonomischen
Folgen und den angestrebten Widerstand zu initiieren. Ebenso hat Genua,
das stellvertretend für den Protest an und für sich steht, zum
Vorschein gebracht, dass nur durch die Vermittlung realisierbarer Ziele
und Inhalte eine konstruktive Diskussion mit den Regierungs- und
Staatschefs dieser Welt einzufordern ist. Denn der Kampf auf der Straße
schafft zwar eine große Öffentlichkeit, diese hat jedoch mit Inhalten
und ernstzunehmenden Kritiken wenig gemein. Die zentrale Vermittlung
der Ziele tritt in der medialen Berichterstattung aufgrund der
gewaltvollen Demonstrationen in den Hintergrund
Durch Genua, die Gewalt und die
einsetzende Reflexion erleben Protest und Demonstration eine
ernstzunehmende Wiedergeburt. Diese Form des gesellschaftlichen
Widerstandes und ihre Aggregatzustände von hitzig bis besonnen sind
nicht neu. Neu und zugleich zwiespältig
ist die Situation der Protestbewegung. Einerseits hat sie sich dem
Kampf gegen die Folgen der Globalisierung verschrieben, andererseits
basieren Struktur und Organisation, die globale Vernetzung und
Mobilität der Bewegung auf den kapitalistischen Neuerungen der
bekämpften Weltpolitik. Es ist ein Krieg, in dem sich die Gegner mit
den eigenen Waffen schlagen. Wäre diese internationale Bewegung ebenso
existent, wenn sie sich nicht des Internet und anderer moderner
Kommunikationsmittel bedienen würde, um die Massen auf dem ganzen
Globus zu mobilisieren? Die Antwort ist nein. Aus dieser dialektischen
Beziehung zur Globalisierung erklärt sich auch die These, dass in Genau
die Verschmelzung der medialen Netzgeneration und einer globalen
Protestbewegung stattfand. Das Resultat ist eine neue Generation Genu@,
bei der die vorangegangenen Proteste in Seattle, Prag, Nizza und
Göteborg als das stetige Heranwachsen der Bewegung gelten können. Die
Kennzeichen dieser Generation Genu@ sind eine interaktive Vernetzung,
die große Mobilisierungsgabe, Organisationsfähigkeit, ein vertrauter
Umgang mit den Medien der Gegenwart, politisches Interesse und ein
interkultureller Aktivismus.
Genua soll nicht der letzte
Gipfel der Protestbewegung gewesen sein. Nach den großen realen
Protesten Ende Juli in der norditalienischen Hafenstadt organisieren
einige Initiativen von Netzaktivisten bereits das nächste Projekt: die
Online-Demonstration der offiziellen Seite zum nächsten G8-Gipfel in
Kanada im Jahre 2002. Im Zuge der Diskussionen um die Form des
Protestes beschreitet die Generation Genu@ hiermit eigene Wege.
Mithilfe eines Virtuellen Sit-Ins – der die Reload-Funktion der
Internet-Browser gebraucht, um ein ständiges Neuladen der Webseiten
durch unzählige Teilnehmer weltweit zu erreichen – soll am 31. August
der Server der kanadischen Website vor unlösbare Aufgaben gestellt
werden.
Der geplante Online-Protest weist
eine interessante Komponente auf: das Kommunikationsmittel der neuen
Protest-Generation, das Internet, dient nicht mehr nur als
Interaktions-Instrument, sondern wird auch zur Durchführung des
politischen Widerstands verwandt und schafft somit einen weiteren Raum
für internationale Protest-Aktionen. Denn ebenso global Widerstand zu
leisten, wie der mondiale Kapitalismus agiert, das ist nach
gipfelsturm.net die zentrale Maxime für wirksamen Protest.