Frauen als Hackerinnen, Gamerinnen oder Entwicklerinnen werden noch immer als Exotinnen im männlich dominierten Internet betrachtet. Leonie Tanczer forscht zu Geschlechterstereotypen und der Rolle von Gender im Netz. Sie hat festegstellt, dass durch eine gezielte Frauenförderung in technischen Bereichen der Gender Gap geschlossen werden könnte. Im Interview spricht sie mit uns über Stammtischparolen, Genderwahnsinn und die vermeintliche Anonymität im Netz.
politik-digital.de: In der analogen Welt gibt es verschiedene Geschlechterstereotypen. Eine Krankenschwester ist häufig als Frau konnotiert, der Anwalt ist ein Mann. Wie sieht das Ganze im Internet aus, zum Beispiel bei den Begriffen Hacker, Spieleentwickler, Internetnutzer? Lässt sich dort ein ähnliches Bild ablesen?
Leonie Tanczer: Die Beispiele – Krankenschwester, Anwalt – reflektieren, was wir gegenwärtig, sowohl offline als auch online, als gesellschaftliche Wahrnehmung akzeptiert oder festgelegt haben. Wenn man plötzlich als Frau ein Anwalt ist, oder eine Anwältin eigentlich, dann fällt man aus der vermeintlichen Norm heraus. Das Gleiche gilt oft für die stärker online bezogenen Begriffe, wie Hacker oder Spieleentwickler. Da haben wir meist auch automatisch das Bild eines Mannes vor Augen. Selbst wenn wir zum Beispiel von dem HacktivistInnen-Kollektiv “Anonymus” sprechen – das schon im Wortlaut identitätslos sein sollte – ist in aller Regel eher der Bezug zu einem jungen Mann statt zu einer Frau vorhanden. Ich glaube, das liegt aber vielmehr an der sprachlichen Ebene, als an dem Umstand, dass es weniger Frauen unter Hackern etc. gibt. Mit der Frage, wie sich der Gedanke, dass Hacker nur Männer seien, auf Frauen und Männer in dieser Szene auswirkt, habe ich mich auch in meiner vergangenen Forschung genauer auseinandergesetzt. Ich habe dieses Phänomen, dass wir hierbei nur an Männer denken, als “Male-Only”-Stereotyp bezeichnet und mir die HacktivistInnen-Community genauer angeschaut.
politik-digital.de: Welchen Einfluss spielt die Sprache dabei?
L.T.: Ich glaube, Sprache hat viele Einflussmöglichkeiten. Es gibt einige interessante Studien, die verdeutlichen, wie wichtig es ist, Frauen oder prinzipiell Geschlechter in der Sprache hervorzuheben. Eine Studie aus dem Jahr 2014 hat Daten von Medien ausgewertet und gezeigt, dass das Wort “he”, also “er”, häufiger mit etwas Positivem konnotiert wird. Außerdem kommt es neun Mal häufiger vor als “she”, und wenn das weibliche Pronomen verwendet wird, dann vielerorts deshalb, weil der geschlechtliche Aspekt gezielt hervorgehoben wird.
politik-digital.de: Das Internet eröffnet Möglichkeiten des “Empowering” von Frauen und wird als Raum der Gleichberechtigung dargestellt. Gleichzeitig ist es vielerorts anonym. So kommt es immer wieder zu sexistischen Attacken auf Frauen oder Bloggerinnen, die sich als Feministinnen zu erkennen geben. Diese müssen dann sexistische und polemische Äußerungen über sich ergehen lassen. Wie kommt es dazu und wer äußert sich dort?
L.T.: Zuallererst habe ich ein Problem mit der Aussage, dass das Internet anonym ist. Vielleicht hat man ad hoc Anonymität, aber es gibt fast immer Hinweise, die auf die Identität einer Person schließen lassen, sei es das Profilbild, der Nickname, die Art zu schreiben etc. Eine Studie zeigt etwa, dass Menschen zu 99,7 Prozent akkurat auf das Geschlecht eines Autors bzw. einer Autorin schließen können, schlichtweg auf Basis des geschriebenen online Texts. Des Weiteren stelle ich die Möglichkeiten des “Empowering” in Frage, weil das ursprünglich der Gedanke des sogenannten Cyberfeminismus war – und das klingt für mich zu sehr nach 90er-Jahre. Studien verdeutlichen, dass das Internet schlichtweg ein Tool ist, so etwas wie ein verlängerter Arm. Ich bezweifle etwa, dass das Internet uns so elementar und radikal verändert haben soll. Wir sind noch immer in einer Offline-Welt sozialisiert worden und werden das auch noch eine Weile weiterhin so werden. Deshalb: Wenn es zu sexistischen und polemischen Äußerungen kommt, ist das nur ein Abbild dessen, was wir auch offline sehen. Das sind dieselben Leute, die man zum Beispiel auch am Stammtisch trifft und die argumentieren, dass jetzt Männer ungleich behandelt werden würden und dass dieser vermeintliche “Genderwahnsinn” aufhören muss. Die Besonderheit ist, dass sie durch das Internet einfach schneller eine Gruppe Gleichgesinnter – eben einen solchen Stammtisch – finden.
politik-digital.de: Die Initiative D21 stellt einmal im Jahr ihren D21-Digital-Index vor, der den aktuellen Stand der Digitalisierung und Internetnutzung in Deutschland darlegt. Die Studie von 2014 identifiziert dabei sechs Nutzertypen im Internet. Ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung ist dabei das Geschlecht. Gibt es Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Personen in der Internetnutzung und wenn ja: Worauf könnte man diese zurückführen?
L.T.: Ich würde schon sagen, dass es Unterschiede in der Internetnutzung gibt. Aber das hängt davon ab, worauf man den Fokus legt. Es gibt zum Beispiel auch eine Studie, in der die Internetnutzung von schwulen Männern untersucht wird. Was ich somit sagen will, ist, dass man Unterschiede findet, abhängig davon, wo man gerade hinschaut – sei es auf das Alter, das Geschlecht oder eben die sexuelle Orientierung. Nehmen wir zum Beispiel die Editierung von Wikipedia. Quantitativ sind es eindeutig mehr Männer, die dort Artikel schreiben und redigieren. Eine Publikation zeigt aber die dahinter liegenden Gründe genauer auf: Nicht primär das Geschlecht, sondern vielmehr die Unterschiede im technologischen Skill-Set führen dazu, dass mehr Männer bei Wikipedia mitarbeiten. Das heißt: Wenn man diesen Skill-Gap zwischen Männern und Frauen schließt, zum Beispiel durch die Förderung von Frauen, so dass sie eine technische Ausbildung einzuschlagen, würde sich auch der Gender Gap auf vielen Ebenen einrenken. Zusammenfassend sind es also somit wieder soziale Faktoren, die hier ins Spiel kommen und die bei solchen Unterschieden mitberücksichtigt werden müssen.
politik-digital.de: In der analogen Werbung werden Frauen oft in traditionellen Rollenbildern dargestellt, als Objekt der Begierde bzw. als passiv. Diese Klischees und Rollenbilder finden sich auch in der Internetwerbung wieder. Bildet die Werbung dort eine unrühmliche Ausnahme oder lassen sich Verhaltensmuster der analogen Welt im Internet wiederfinden?
L.T.: Mir sind ad hoc keine Studien bekannt, die das ausgewertet hätten. Persönlich glaube ich aber nicht, dass das Internet mehr Rollenbilder oder Stereotype als sowieso schon vorhanden erzeugt. Was ich aber hervorheben kann, ist, dass Webseiten wie etwa genderads.com ermöglichen, dass klischeehafte Bilder katalogisiert, geclustert und hinterfragt werden. Solche Online-Tools sollte man meines Erachtens gesamtgesellschaftlich teilen und befördern. Es wäre wünschenswert, wenn es dadurch zu einem Umdenken in der Gesellschaft käme, gerade weil man durch solch ein Wissen beginnt, sich selbst und sein eigenes Verhalten zu reflektieren. Dieses Wissen kann uns – glaube ich – somit unabhängiger von Werbung machen, und ich finde schon, dass uns solch eine umfangreiche Möglichkeit erst wirklich durch das Internet ermöglicht wurde.
politik-digital.de: Anfang 2013 berichteten viele Frauen unter dem Hashtag #aufschrei über sexistische Erfahrungen. War der Aufschrei nur ein vorübergehendes Phänomen oder hat sich seitdem am Alltagssexismus im Internet grundlegend etwas verändert?
L.T.: Ich würde das schon als Meilenstein bezeichnen. So haben die Twitterpostings, die unter anderem von Anne Wizorek (der Initiatorin der #aufschrei-Kampagne, Anm. d. Red.) mitgetragen wurden, sich in einem medialen Diskurs festgesetzt. Alleine der Umstand, dass wir heute in einem Interview darüber sprechen und Sie mich zum Thema “Geschlecht und Internet” interviewen, zeigt, dass eine Aufmerksamkeit für ein Thema geschaffen wurde, das vorher nicht so viel Öffentlichkeit hatte. Daher glaube ich schon, dass #aufschrei etwas bewirkt hat. Ob es etwas am Alltagssexismus verändert hat, ist für mich schwieriger zu ermessen und zu analysieren. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass der Alltagssexismus wahrscheinlich gleich geblieben ist, ja vielleicht sogar – und das ist jetzt pure persönliche Einschätzung – eine neue Angriffsfläche gefunden wurde.
Netzfeministische Akteurinnen sind jetzt bekannter, werden öfter in Zeitungen erwähnt, und erhalten damit aber leider auch viel mehr Hass-E-Mails und andere Formen der Drohung. Es gibt jetzt dezidiert Personen, von denen man weiß, dass sie für Feminismus und für Gleichberechtigung einstehen, und man hat nun die notwendigen Kontaktdaten, um sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Mit dem Internet hat man eine Plattform gefunden, um sie breitenwirksam zu diffamieren. Gleichzeitig glaube ich aber schon, dass man auch neue Expertinnen entdeckt und damit eine breitere Öffentlichkeit für Frauen geschaffen hat. Es ist somit wirklich schwer zu sagen, wie es um den Alltagssexismus steht und inwiefern #aufschrei zu Veränderungen beigetragen hat. Alles in allem finde ich aber, dass die Aktion wichtig und bahnbrechend war. Es ist jetzt schlichtweg notwendig, dass dieser Diskurs weitergeführt wird und nicht im Sand verläuft und dass noch viele solcher Aktionen mit entsprechenden Resultaten folgen.
Bild: Michael Coghlan