Gestern endete die Gamescom 2012. Mit mehr als 275.000 Besuchern war sie erneut ein voller Erfolg. politik-digital.de hat sich aus diesem Grund gemeinsam mit Gerhard Loosch und Ulrich Santo vom IT-Unternehmen Glamus mit der Frage auseinandergesetzt, ob Gaming und Politik zusammen passen und ob politisch-innovative Ideen im Bereich Computerspiele eine Zukunft haben.

In den 1990er Jahren waren politische Werbe- oder Lernspiele gang und gäbe. Sei es das Lernspiel “Unser Parlament – Forum der Demokratie” (1998), mit dem man – im Auftrag des Deutschen Bundestags –  interaktiv mehr über die deutsche Geschichte erfahren konnte; oder die vom Bundeswirtschaftsministerium initiierte “Energie-Manager”-Simulation (1993), mithilfe derer die Spieler eine Restaurantkette aufbauen, aber dabei auf ökologische Aspekte achten sollten. Selbst Parteien setzten vereinzelt auf Werbespiele, um die jüngeren Zielgruppen anzusprechen. So versuchte die damalige PDS (heute: Die Linke) mit dem Spiel “Captain Gysi und das Raumschiff Bonn” (1997) die Ära Kohl in ein neues Licht zu rücken. Spielend konnte man dabei dem grauen Planeten unter Commander Kohl entfliehen und das etwas marode Raumschiff Bonn mit Captain Gysi in die Galaxis Futura führen.

Alle diese Formate hatten das Ziel, mit einem neuen Format – den Computerspielen – politisch kaum interessierte Jugendliche für die Politik zu begeistern. Aber wie erfolgreich waren diese Politspiele? Einer, der es wissen muss, ist Gerhard Loosch. Er ist Geschäftsführer bei Glamus, einem Unternehmen, das in den 1990ern Spiele für politische Institutionen entwickelte. Für Loosch begann das Problem mit der großflächigen Distribution der Computerspiele: “Damals wurden die Spiele nur auf Diskette verteilt und das Internet steckte in den Kinderschuhen. Zur Erfolgsmessung konnte man also nur die Zahl der Diskettenbestellungen heranziehen”. Dennoch konnte Glamus mit Spielen wie „Auf dem Weg nach Europa“ (1993) und dem „Gesetzgebungsspiel“ (1994) einige Erfolge verbuchen. Immerhin wurden von diesen Lernspielen bis zu 500.000 Exemplare produziert und durch das Recht auf freie Vervielfältigung weiter verstreut. So dürften insbesondere Schulen und Lehrer von dem damaligen “neuen” Medium gebraucht gemacht haben. Das Feedback, das Glamus zu der Zeit bekommen hat, war sehr positiv: “Aus den Rückmeldungen ließ sich ableiten, dass die Spielenden durchaus einiges an Wissen über die behandelten Themen mitgenommen haben. Und das war für unsere Kunden natürlich das wesentlichere Erfolgskriterium”, so Loosch.

Rückzug aus dem Spielesektor – folgt der Wiedereintritt?

In der deutschen Politik sind Politspiele heute rar gesät. Nur das Umweltministerium besitzt noch einen eigenen Spielesektor, in dem Kinder den nachhaltigen Umgang mit der Umwelt lernen können. Es scheint, als hätten all die anderen Institutionen und Parteien das Projekt “Computerspiele” ad acta gelegt. Wahrscheinlich waren die Erfolge zu gering für ein solches Projekt. Dabei könnten Spiele auch in Zukunft helfen, Politikverdrossenheit bei Jugendlichen zu bekämpfen. Grund ist die gestiegene Nachfrage nach Online- oder Social Network-Spielen und sogenannte Spiele-Apps. Das bestätigt auch der IT-Entwickler Loosch: “Bei Apps & Co. gibt es sicherlich eine Menge Potential, um mit politischen und gesellschaftlichen Themen Menschen anzusprechen”. Das zeigt ebenfalls der in den vergangenen Jahren neu entstandene Markt von “serious” oder “social impact games”, die “ernsthafte” oder soziale Inhalte in den Fokus rücken. Durch die Revolution der Spielebranche dank Smartphones, Tablets etc. versuchen Firmen und auch Nichtregierungsorganisationen den Spielmarkt für sich zu gewinnen. Spiele müssen eben nicht nur der Unterhaltung dienen, sondern können auch Träger für Informationen, soziale Anliegen oder Bildung sein. Das hat auch die Europäische Union längst festgestellt, die für Kinder Spiele mit dem Thema Europa entwickeln ließ.

Also warum springt die deutsche Politik nicht (wieder) auf den “Spiele-Zug”? Wie der netzpolitische Sprecher der SPD Lars Klingbeil anlässlich der diesjährigen Gamescom verkündete, “stellen Computerspiele nicht nur einen erheblichen Wirtschafts- und Standortfaktor dar, sondern sind Teil unserer Kultur”. Ein Grund dafür, dass Computerspiele in der Politik trotzdem kaum einen Stellenwert haben, ist laut Loosch, dass die Politik Computerspiele primär als ein Problem ansehe: Nicht nur “Killer-Spiele” seien damit gemeint, sondern auch die Probleme, “die ein zeitlich exzessives Leben in virtuellen Welten wie World of Warcraft & Co mit sich bringen”. Seiner Ansicht nach sei in den Köpfen der Politiker noch nicht angekommen, dass inhaltlich entsprechend aufgeladene Spiele auch nach wie vor eine gute Kommunikationsstrategie darstellen können”, so Loosch. Die sogenannte “Gamifizierung” von spielfernen Systemen, zu denen die Politik mit Sicherheit gehört, wird künftig wohl wieder diskutiert werden müssen. Auch wenn Glamus sich in der jüngsten Vergangenheit fast gänzlich aus dem Spielesektor herausgezogen hat, sieht Geschäftsführer Loosch einen Markt für Politspiele. Allerdings gibt er zu bedenken, dass durch das Internet und die Etablierung der „Apps“ die Ansprüche natürlich deutlich gestiegen seien. Man müsse deshalb “mehr Aufwand betreiben” als früher und einfach den “richtigen Nerv” treffen.

Faktisch sind laut Loosch dem Medium Computerspiele keine Limits gesetzt. Eine originelle Idee sei mehr als die halbe Miete. Loosch weiter: “Auch unsere Spiele wurden nicht gespielt, weil man etwas über Gesetzgebung oder ein vereinigtes Europa und seine Mitglieder lernen wollte. Die Spiele waren nett und witzig gemacht. Und dass man dabei etwas lernte, schadete ja nicht”. Hinsichtlich der Auswahl gebe es sicherlich viele Themen, die sensibel behandelt werden müssen, so Loosch, aber dies vorausgesetzt, würde sich zu jedem Thema etwas machen lassen.

Der Wahl-O-Mat als Steckenpferd der politischen Bildung

Kein wirkliches Spiel, jedoch auf jeden Fall eine innovative Idee der politischen Bildung ist der Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), der erstmals zur Bundestagswahl 2002 online ging. Er veranschaulicht interaktiv die verschiedenen politische Programme bzw. Positionen der Parteien und trägt so dazu bei, die Bürger im politischen Sinne weiterzubilden. Dabei sei laut Ulrich Santo, der bei Glamus für die technische Umsetzung des Wahl-O-Mat zuständig ist, gerade der spielerische Ansatz interessant. Politik besitze – insbesondere bei jüngeren Zielgruppen – an sich keine besondere Strahlkraft. Die Besonderheit des Wahl-O-Mat ist daher, dass Bürger “nach wenigen Minuten ein recht gutes Bild haben, mit welcher Partei man in welchen Punkten gleicher Ansicht ist”, so Santo weiter. Wer den Wahl-O-Mat bei einer Europa-, Bundes- oder Landtagswahl schon mal ausprobiert hat, wird bestätigen, dass er im Gegensatz zu dem zeitlich intensiven Lesen von Parteiprogrammen nicht nur Spaß macht, sondern sehr informativ ist – und das nicht nur für Jung- und Erstwähler, sondern auch für ältere Wählergruppen oder Wahlinteressierte.

Der Wahl-O-Mat beweist, dass innovative und kreative Ideen im Spielesektor durchaus auch im politischen Bereich Erfolg versprechen. Das zeigen auch nicht-staatliche Projekte. Die mehrfach ausgezeichnete Politik-Online-Community “democracy online today (dol2day)” ist ein Beispiel dafür, wie Bürger mit guten Ideen selbst gegen Politikverdrossenheit vorgehen wollen. “dol2day” ist zwar (nur) eine Demokratie-Simulation, mit der Nutzer unter anderem Diskussionen über politische Themen führen oder jemanden zum “Internetkanzler” wählen können, allerdings dürfte auch dieses Format helfen, Nutzer politisch oder demokratisch zu bilden. Auch das Onlinespiel “Power of Politics”, ein privates Projekt der beiden Österreicher Peter Merschitz und Tim Preuster, zielt von vornherein darauf ab, Politikverdrossenheit spielend zu reduzieren. In “Power of Politics” steuert man die Karriere eines virtuellen Politikers, der in verschiedensten Bezirken in Österreich, Deutschland, Liechtenstein oder der Schweiz zu Wahlen antritt. Ziel des Spiels ist es, von der Bezirksebene bis zur Bundes- bzw. Kanzlerebene zu kommen. Dabei muss man wie im realen Leben thematische Schwerpunkte setzen, Debatten mit anderen Politikern führen und Wahlveranstaltungen organisieren.

Wie diese erfolgreichen Beispiele von Politik-Simulationen zeigen, können Politspiele oder computerspielbasierte Lernprogramme zukünftig wieder einen größeren Platz in der politischen Wirklichkeit einnehmen. In der heutigen Zeit, in der Handy-Apps und Onlinespiele zum täglichen Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gehören, könnten die politischen Institutionen diese Zielgruppen direkter und sogar „spielend leicht“ erreichen.