Erst kam das Wasser, dann kamen die Bakterien: 15 Millionen Liter Abwasser ergossen sich Mitte
Juni über das kalifornische San-Fernando-Valley. Am nächsten Tag machten
Tagestemperaturen um 35 Grad das Gelände zur stinkenden Kloake; wegen möglicher
Bakterienverseuchung wurde die Gegend abgesperrt.
Ein Vorgeschmack auf den Jahresanfang 2000? Die Überschwemmung war durch den Millenium
Bug ausgelöst worden; bei einem Testlauf hatte ein Computer versagt und eine Schleuse
in einer nahegelegenen Kläranlage geschlossen gehalten, obwohl im Kontrollzentrum das
Gegenteil angezeigt war. Die Behörden hatten in einem Testlauf herausfinden wollen, wie
die Abwasserversorgung im Ort für den Millenium Bug gerüstet ist.
Am gleichen Wochenende tagten in Köln die Regierungschefs der G8-Staaten, und auf ihrer
Agenda stand auch das Jahr-2000-Problem. Bereits auf dem letzten G8-Gipfel in Birmingham hatten
die führenden Wirtschaftsnationen darauf gedrängt, negativen Folgen des Millenium
Bug entgegenzuwirken. Auf ihrem Treffen am Rhein zeigten sie sich zuversichtlich, in ihrem
eigenen Bereich die Probleme unter Kontrolle zu halten, auch wenn in den sechs Monaten bis zum
Jahresende noch viel zu tun sei. Experten hatten bereits vor dem Gipfel in einer Studie der
OECD angedeutet, daß in den wichtigsten Industrienationen die Computersysteme in
besonders sensiblen Bereichen weitgehend störungsfrei ins nächste Jahrtausend gehen
dürften.
Auch auf dem Kölner EU-Gipfel Anfang Juni war das Problem ein Thema gewesen: Die
Regierungschefs forderten die europäische Kommission auf, ihre Bemühungen um einen
reibungslosen Jahrtausendwechsel zu verstärken und die Öffentlichkeit umfassend zu
informieren. Zuvor hatten US-amerikanische Experten beklagt, in Europa nehme man das Problem
noch nicht ernst genug.
Die G8-Staaten sehen in der Telekommunikation, im Finanzbereich, im Verkehrswesen und in der
Gesundheitsversorgung Schlüsselbereiche, in denen sie alle Staaten auffordern, mit
besonderer Priorität am Jahr-2000-Problem zu arbeiten. Die Industrienationen sehen sich
für diese Sektoren gerüstet – ein Testlauf von 500 Banken aus 19 Ländern verlief
zufriedenstellend; selbst Fluglinien wollen entgegen aller früheren Bedenken in der
Neujahrsnacht in die Luft gehen.
Auch das Verteidigungswesen, der Umweltbereich und die öffentliche Sicherheit gelten als
Problemzonen. Horrorszenarien schildern immer wieder genüßlich die möglichen
Folgen: Verteidigungssysteme werden irrtümlich aktiviert, Nuklearanlagen geraten
außer Kontrolle, Stromausfälle führen zu Chaos und Plünderungen. Doch in
den Industrienationen dürften die Bewohner den Jahrtausendwechsel eher glimpflich
überstehen.
Dennoch fordern die G8-Regierungschefs in ihrem Abschlußpapier dazu auf, Pläne
für gezieltes Katastrophenmanagement zu entwerfen. So soll dem gröbsten Chaos
entgegengesteuert werden, wo die Zeit für eine Umrüstung mit millenium-bug-
sicherer Software nicht mehr reicht.
Selbst wenn die sensiblen Bereiche der Infrastruktur funktionieren, steckt der Teufel
allerdings im Detail: Große Firmen hatten Zeit und Mittel für die Umstellung ihrer
Systeme, nicht aber viele der kleinen und mittleren Betriebe. Sie könnten daher für
Chaos sorgen und auch die Abläufe in den großen Unternehmen durcheinanderbringen.
Zudem verweisen Experten auf die große Zahl von Chips, die im täglichen Leben fast
unbemerkt elektrische Geräte steuern – etwa in Aufzügen, Autos oder Herzschrittmachern.
In ihrem Kommuniqué richten sich die G8-Staaten unmittelbar an die Länder, in denen
bislang erst wenige Maßnahmen gegen das Jahr-2000-Problem ergriffen wurden. Besonders Afrika
und Asien gelten als problematische Regionen. In Rußland erklärte der
stellvertretende Ministerpräsident Wladimir Bulgak noch im Mai, in den meisten Ministerien
habe man sich noch keine Gedanken über das Problem gemacht, vorgesehene Gelder seien nicht
abgerufen worden. Im Ministerium für Atomenergie erklärte man, sich erst mit dem
Problem auseinandersetzen zu wollen, wenn es tatsächlich eintrete. Vor diesem Hintergrund
klingt es zweifellos beruhigend, wenn die zuständigen Stellen zumindest Pläne für
den Zivilschutz vorbereiten.
Die G8-Staaten haben für die zweite Jahreshälfte ein Sondertreffen zum
Millenium-Bug-Notfallmanagement angekündigt und wollen gerade in diesem Bereich auch mit
Drittstaaten kooperieren. Besonderen Wert legen sie auch auf eine umfassende Information, um
Panikreaktionen in der Öffentlichkeit zu vermeiden.