Der Islam und Muslime – Themen, die in deutschen Medien omnipräsent sind. Im Rahmen einer Blog-Reihe auf politik-digital.de stellen wir heute das Blog "ein fremdwoerterbuch" der jungen muslimischen Journalistin Kübra Gümüsay vor.

Wie letzte Woche schon angekündigt, stellen wir in den kommenden Wochen auf unserer Website im Rahmen einer Reihe mehrere Blogs und ihre Autoren vor. Damit wollen wir auf Blogger aufmerksam machen, die ihre Gedanken, politischen Ansichten und Interessen auf sehr persönliche oder besonders kreative Art und Weise äußern. Letzte Woche wurde bereits der „Sprengsatz“ von Michael Spreng vorgestellt.
Porträtiert werden die Entstehung der Blogs und die Absichten ihrer Autoren, und wir reden mit den Bloggern über ihre Erfolge, Finanzierungsmöglichkeiten und die Zukunftsaussichten ihrer Weblogs. Besonders originelle, humorvolle oder kritische Beiträge werden angesprochen. Dabei geht es uns nicht nur darum, interessante Blogs für unsere Leser zu porträtieren, sondern auch um die Menschen hinter den Texten, und darum, zu zeigen, was sie bewegt.

Wir erreichten Kübra Gümüsay am Telefon in Kairo, wo sie derzeit für einige Monate lebt. Bevor sie mit ihrem Mann nach Oxford umzieht, will sie sich über die aktuelle politische Lage informieren und in ihrem Blog darüber schreiben. 1988 wurde sie in Hamburg geboren, wo sie auch aufwuchs. Mit zehn Jahren entschied sich Kübra dazu, ein Kopftuch zu tragen. Ihre Eltern sind streng gläubig, überließen die religiöse Orientierung jedoch ihrer Tochter selbst. Anfänglich trug Kübra das Tuch aus Gewohnheit. Weil alle Frauen in ihrer Familie die Kopfbedeckung trug, wollte sie es ihnen gleichtun. Später entdeckte sie die religiöse Bedeutung der Verschleierung für sich. Früh engagierte sich die Journalistin in Projekten wie dem Young European Professional, einem Team junger Europäerinnen und Europäer, die über die Arbeit der EU aufklären. Gegenwärtig setzt sich die Politikwissenschaftlerin Gümüsay als Aktivistin für Rechte von Minderheiten und für den Kampf gegen Rassismus ein.

Hinter „ein fremdwoerterbuch“ stand ursprünglich die Absicht, Deutschland aus den Augen eines muslimisch-gläubigen Mädchens darzustellen. Neben allen Themen rund um „Politik, Gesellschaft, Islam und Medien“ interessiert Kübra sich für „London, Uni, Filme, Kunst, Musik und Kultur“, wie es im Blog heißt. Im Interview mit politik-digital.de schildert die junge Bloggerin Schlüsselerlebnisse, die sie dazu bewegten, das Blog zu verfassen. Die 23-jährige Autorin mit einem abgeschlossenen Politikstudium in Hamburg und einem Auslandsjahr in Großbritannien kam früh zu der Erkenntnis, dass es in der Bundesrepublik mehrere Gesellschaften gibt, die ohne jegliche Berührungspunkte nebeneinander leben. Dazu gehören sowohl Christen und Muslime als auch Akademiker und Menschen aus der Arbeiterklasse. Die Bloggerin wollte versuchen, die Parallelgesellschaften von Muslimen und Christen „aufzubrechen“. Ausschlaggebend für den Start ihres Blogs waren jedoch zwei Erlebnisse in ihrer Heimatstadt Hamburg. Als Chefredakteurin des Jugendmagazins „Freihafen“ war Kübra zu einer Demonstration von Rechtsradikalen gegangen, um einige von ihnen zu interviewen. Schnell packte sie die Angst und sie traute sich nicht mehr, wie geplant ihre Fragen zu stellen. Man warf ihr verächtliche und hasserfüllte Blicke entgegen, denen sie schließlich mit einem freundlichen Lächeln und einem Winken trotzte. Ein weiteres Erlebnis spielte sich in einem wohlhabenden Hamburger Wohnviertel ab. Damals lief Kübra Gümüsay über die Straße, als eine edel gekleidete Frau auf ihrem Fahrrad anhielt und die junge Frau als „Schleiereule“ beschimpfte. In diesem Moment wurde ihr klar, dass sie ihrer Wut über intolerante und diskriminierende Menschen in einem Blog Luft machen wollte. So entstand 2008 „ein fremdwoerterbuch“.

Es geht ihr in ihrem Blog nicht so sehr darum, den Islam zu repräsentieren, als vielmehr darum „den Stereotypen über Muslime zu widersprechen, die auch in den Medien produziert werden“, so Gümüsay im gegenüber politik-digital.de.
Wer Kübra Gümüsays Blog liest, versteht schnell, warum sie so erfolgreich ist. Kritisch, humorvoll, vielseitig, informativ und immer sehr individuell sind ihre Blog-Einträge. Das blieb auch der Öffentlichkeit nicht verborgen, und so erhielt sie zunächst das Angebot von der taz, eine Kolumne zu schreiben. Seit 2010 erscheinen nun auch einige ihrer Texte unter dem Titel “DasTuch“. Diese handeln beispielsweise von einer Debatte zwischen der jungen Frau und Thilo Sarrazin in einem Beitrag für die BBC. Sie schildert dem ehemaligen Berliner Finanzsenator und Vorstand der Bundesbank ihr politisches und soziales Engagement in Deutschland, berichtet über ihre Ausbildung und die Kolumnen. Auf die Frage, was der SPDler sonst noch von ihr erwartet, bekommt sie nur die Antwort: „Ich möchte, dass du dich integrierst“. Schließlich der Ritterschlag: Zu Beginn des Jahres wurde „ein fremdwoerterbuch“ für den Grimme Online Award nominiert. Leider erhielt sie die Auszeichnung nicht, doch schon die Nominierung ist bemerkenswert. Gümüsay ist laut eigenen Angaben stolz auf das Erreichte. In Zukunft möchte sie weniger über das selbst Erlebte und noch häufiger über Erfahrungen Anderer schreiben, so die Bloggerin.

Ihr Alltag spielt sich aktuell in Kairo ab. Dort will sie die komplexen Zusammenhänge in der Gesellschaft und den politischen Umbruch besser verstehen. Sie berichtet im Blog von ihren Praktika in London und von ihrer Hochzeit, von Erfahrungen junger Journalistinnen in Bahrain, dem Schicksal ihrer Tanten und vieler weiterer muslimischer Frauen, denen es in Deutschland ähnlich ergangen ist. Sie schreibt über die re:publica-Konferenz in Berlin, über Pluralität im Leben, postet Musik, die ihr gefällt, und Bilder, die sie bewegen.

„ein fremdwoerterbuch“ ist ein Blog, das Aufklärung über Muslime in Deutschland und anderen Staaten leisten kann. Denn die ist dringend nötig, wie es jüngst die Ereignisse in Norwegen demonstriert haben. Die Bloggerin selbst sieht es als große Genugtuung an, dass ihre Leserschaft größer und vielseitiger wird. Im Interview berichtet sie, dass sie zunehmend E-Mails von Lesern erhält, die vorher keinen Bezug zum Thema Muslime hatten. „Diese sehen meinen Blog als erheiternd an und gleichzeitig bilden sie sich damit weiter“. Die junge Frau betreibt das Blog als Hobby und das mit Leidenschaft : „Deshalb standen bei mir das Geldverdienen und die Finanzierung nicht im Vordergrund“. „ein fremdwoerterbuch“ wird von Gümüsay selbst finanziert, denn „in Deutschland ist es sehr schwierig, von der Arbeit als Bloggerin zu leben – das ist in den USA anders“. Es bleibt zu hoffen, dass die junge Journalistin sich ihr Blog auch in Zukunft leisten kann.