Am Institut der Sozialwissenschaften der Berliner Humboldt-Universität diskutierten am Dienstagabend auf Einladung der Berliner Landeszentrale für politische Bildung der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Jarzombek, der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix und Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club (CCC) und ehemalige Kandidatin der Thüringer Grünen als Datenschutzbeauftragte, über Demokratie im und durch das Internet. Moderiert von der taz-Journalistin Meike Laaff entspann sich eine interessante Debatte um das Internet als Freiheitsraum.
Die Politik muss für bessere Gesetze sorgen
Wie die Politik das Internet als Freiheitsraum gestaltet, wurde von allen drei Teilnehmern sehr unterschiedlich beantwortet. Thomas Jarzombek berichtete von Diskussionen mit seinen im cnetz organisierten Parteikollegen über die Frage, wie die Vorteile des Internet besser genutzt werden können und ob die Politik wirklich immer regulierend auf jede Entwicklung eingreifen muss. In der CDU gibt es laut Jarzombek viele Menschen, die das Internet primär als Chance betrachten und an das Thema weniger restriktiv als einige CDU-Politiker des Rechtsausschusses im Bundestag herangehen.
Auch Alexander Dix sieht das Internet als ein freiheitlich gedachtes Medium, stellt in seiner täglichen Arbeit jedoch eine andere Realität fest. Das Desinteresse der Menschen für den Datenschutz und das mangelnde Bewusstsein dafür sind Ursache für Unternehmen, die immer weniger Transparenz gewähren und stückweise die Autonomie der Nutzer untergraben. In seiner Rolle als Datenschützer sieht er sich aber nicht ″als Akzeptanzbeschaffer der Politik″ und fordert deshalb von der Politik von Anfang an bessere Gesetze.
ACTA war kein politischer Unfall
Die sieht auch Constanze Kurz noch nicht gegeben und zeigt mit dem internationalen Handelsabkommen ACTA und dem Bundestrojaner verschiedene Beispiele auf, in denen geltendes Gesetz gebrochen oder umgangen werden sollte. Das waren ″keine politischen Unfälle″, sondern der Versuch, mehr Protektionismus auf verschiedenen Ebenen durchzusetzen, stellte Kurz klar. Im Gegensatz zu Jarzombek, der ACTA als wie viele andere Politiker der Regierungsparteien als weitgehend harmlos empfand und die Diskussion zumindest als Ausdruck für ein funktionierendes System bezeichnete, ist auch Dix froh darüber, dass der digitale Protest sich gegen die massiven Interessen wirtschaftlicher und politischer Eliten durchsetzen konnte. Er findet es bemerkenswert, wie ernst die sogenannte Netzgemeinde in dem Moment genommen wurde, warnt aber davor, sich auf diesem ″Etappensieg″ auszuruhen. Dix informierte das Publikum über weitere Gesetzesvorhaben auf europäischer Ebene, die bei Überwachungs- und Speicherverfahren weiter gehen werden als es in ACTA vorgesehen war, wie zum Beispiel CleanIT oder IPRED.
Mehr Demokratie durch Online-Beteiligung?
Der Staat als Akteur in der Debatte wurde von Dix und Kurz mehr in die Pflicht genommen, wogegen Jarzombek auch die Bevölkerung in der Pflicht sieht, sich aktiver einzubringen. Als Mitglied der Enquete ″Internet und digitale Gesellschaft″ testete er in seiner Arbeitsgruppe ″Medienkompetenz und Jugendschutz″ ein Online-Beteiligungssystem, dass zwar in der Masse der Beteiligungsversuche enttäuschte, aber manch ″Perle hervorbrachte, die geborgen werden müsse″. Teilweise sind konkrete Vorschläge von Bürgern unverändert in Texten der Enquete übernommen wurden, wie Jarzombek berichtete. Die wahre Stärke dieser Form der Beteiligung sieht er aber auf kommunalpolitischer Ebene – obwohl er Bürgerhaushalte auf Grund der möglichen ungleichen Bevölkerungsverteilung in einer Kommune als eine falsche Form der Beteiligung betrachte.
Für Constanze Kurz sind Formen der Online-Beteiligung stets kritisch zu hinterfragen, steigt doch durch das ins Internet ausgelagerte Wahl- und Beteiligungsrecht auch die Gefahr des Missbrauchs. Gerade Lobbyisten werden dann aktiver und nicht unbedingt der einzelne Bürger. Ein weiteres Problem ist ihrer Meinung nach die Rechtsgültigkeit der Verlagerung von Entscheidungsfindungen von einem gewählten Volksvertreter auf technische Werkzeuge. Ähnlich sieht das Alexander Dix, der die Kompetenzverlagerung als eine ″schwierige Gratwanderung″ bezeichnete. Online-Wahlen zu Parlamenten schloss er auch in Zukunft kategorisch aus, da es nicht zu überprüfen sei, was mit der abgegebenen Stimme passiert.
Ist das Internet eine schützenswerte Infrastruktur?
Zum Ende der Veranstaltung redeten die drei Experten über Post-Privacy und die Bedeutung der Infrastruktur des Internets für die Meinungs- und Informationsfreiheit. Hier plädierte Alexander Dix für eine Laissez-faire-Position, was den Umgang mit den eigenen Daten angeht. Jeder Mensch müsse seiner Meinung nach selber entscheiden, wie man mit den persönlichen Daten umgehen soll, aber kein Gesetz und keine AGB darf das der Gesellschaft im Ganzen vorschreiben. Auch in einer utopischen Gesellschaft ohne Diskriminierung, werden ″Geheimnisse einen Wert haben″. Kurz beklagte, dass bereits ganze Dekaden auf Grund der Ignoranz der Politik gegenüber den Warnungen der Datenschützer verloren gegangen sind, während Jarzombek aufgrund der Marktinteressen von Unternehmen wie Facebook durchaus weniger regulieren möchte und an den Wettbewerb glaubt.
Aus dem Publikum heraus fragte der Berliner Informatiker Silvan Heintze nach der Möglichkeit der Bewertung des Internet als schützenswerte Infrastruktur, die ähnlich wie Gas-, Strom- und Wassernetze von einer Behörde wie der Bundesnetzagentur unter Wahrung von Neutralitätsprinzipien verwaltet werden könnte. Jarzombek bekundete Sympathie für diese Idee und gab zu, eine ähnliche Idee bereits intern in der CDU-Bundestagsfraktion besprochen zu haben. Dix wiederum sprach sich für eine bessere Rechtsdurchsetzung des Datenschutz aus, wogegen Kurz anstatt einer gesellschaftlichen Übereinkunft zu dem Thema eine kleine Lösung im privaten Freundeskreis bevorzugt, in dem geklärt wird, was erlaubt ist und was nicht.