Über die Arbeit in der Wissensgesellschaft


Neue Arbeitsplätze erhoffen sich viele Politiker besonders in IT-Unternehmen. Mit den herkömmlichen Formen
industrieller Arbeit haben die entstehenden Jobs allerdings oft nicht mehr viel gemein. Aus Sicht der Arbeitnehmer
birgt diese Entwicklung sowohl Chancen als auch Gefahren.

Die Zukunft, darin scheinen sich alle einig zu sein, liegt in der
Wissensgesellschaft. In der
westlichen Welt lebe mehr als jeder zweite Erwerbstätige von Tätigkeiten, deren Rohstoff, deren Werkzeuge und
deren Resultate überwiegend Informationen seien, meint etwa der Gewerkschafter Ulrich Klotz in den
Gewerkschaftlichen Monatsheften.
Und dieser Trend werde zunehmen: "Treffen aktuelle Prognosen zu, werden schon im nächsten Jahrzehnt sogar
vier Fünftel aller menschlichen Arbeiten aus dem Umgang mit Information bestehen: beraten, informieren, forschen,
entwickeln, organisieren, vernetzen, managen, recherchieren, gestalten und präsentieren – das alles sind typische
Formen zukünftiger Arbeit. Kurz: Die Arbeit von immer mehr Menschen wird es sein, Daten in Wissen zu
verwandeln."

Dieser Arbeitswandel birgt für die Beschäftigten sowohl Chancen als auch Risiken. Gegenüber traditionellen
Berufen erscheinen die Tätigkeiten in der Wissensgesellschaft anspruchsvoller und erheblich weniger monoton.
"Durch Automatisierung der Routinetätigkeiten erhöht sich der intellektuelle Gehalt der (verbleibenden) Arbeit, sie
erfordert zunehmend die Fähigkeit, Informationen zu verstehen, auf sie zu reagieren, sie zu verwalten und
Mehrwert mit ihnen zu schaffen. Immaterielle Komponenten und Werte (Informationen, Dienstleistungen,
Beziehungen und Emotionen) sowie der Umgang mit Wissen haben einen immer größeren Anteil an der
Wertschöpfung." schreibt Klotz.

Die neuen Formen der Arbeit erlauben es den Beschäftigten, selbständiger und autonomer zu arbeiten. Damit
einher geht eine größere Flexibilisierung der Unternehmensstrukturen. Denn maßgeblich ist nun vor allem, die
firmeninterne Kommunikation zu optimieren. Netzartige Strukturen kleinerer Arbeitseinheiten, die einen
besseren Fluß der Ressource Information gewährleisten sollen, ersetzen streng funktionelle
Hierarchien. Es entsteht ein innerbetrieblicher Markt für Informationen und Ideen. Im Extremfall konkurrieren
verschiedene Einheiten des Unternehmens miteinander um und in Projekten, die jeweils eine andere Kombination
von Wissen, Fähigkeiten und Erfahrung erfordern.

Autonomie bedeutet allerdings keinesfalls wirkliche Unabhängigkeit. Durch Produktions- oder Gewinnvorgaben übt
die Unternehmensführung Kontrolle über eine breite Spanne von Gruppen aus. Innerhalb dieser Vorgaben kann jede
Einheit über deren Verwirklichung frei entscheiden. Nach Ansicht des amerikanischen Soziologen
Richard Sennett ist dies jedoch nur eine
vorgegaukelte Freiheit. Gewöhnlich stünden die Einheiten unter dem Druck, weit mehr zu leisten als in ihrer Macht
stehe. Das neue kooperative Ethos der Teamarbeit setze an die Stelle der alten Herren jene "Moderatoren" und
"Process-Manager", die der ehrlichen Auseinandersetzung mit ihren Dienern aus dem Weg gehen: "Das Fehlen
von Autorität gibt den Oberen die Freiheit umzuschichten, anzupassen oder zu reorganisieren, ohne ihr Handeln
zu rechtfertigen"

Gleichzeitig steigt auch der Druck von außen. Wilfried Glißmann,
Betriebsrat bei IBM Düsseldorf beschreibt die Situation folgendermaßen: "Der Unternehmer (Top-Manager) tritt zur
Seite, die Menschen in der Einheit werden unmittelbar mit ihrem Marktsegment konfrontiert. Es wird zu ihrer
Aufgabe, um das Überleben der Einheit am Markt zu kämpfen. Sie müssen die unternehmerischen Probleme der
Einheit lösen. Der wirkliche Unternehmer (Top-Manager) steuert nur noch indirekt (durch Setzung von
Rahmenbedingungen)." Die Beschäftigten fänden sich in einer Doppelrolle wieder: Sie seien "unselbständige
Selbständige" im Unternehmen.

Regelmäßiges Merkmal solcher Arbeitssysteme ist die chronische Überlastung kleiner Arbeitsgruppen durch viele
unterschiedliche Aufgaben. Dies führt zu sozialen und psychischen Problemen bei vielen Arbeitnehmern. Soziale
Probleme entstehen besonders aus den Projektstrukturen, die oft ein extrem hohes Maß an Arbeitseinsatz mit
sich bringen. Die Folge: massenhaft Überstunden, die ein geregeltes Sozial- oder Familienleben erschweren oder
ganz unmöglich machen. Psychische Probleme treten vor allem durch den enormen Druck auf, dem sich die
Beschäftigten direkt ausgesetzt sehen. Scheitert ein Projekt auf dem Markt oder gegenüber der firmeninternen
Konkurrenz, steht die Einheit als Verlierer da. Monatelange Arbeit wird unter Umständen bedeutungslos.

Wilfried Gließmann skizziert, welche psychologischen Mechanismen in solchen Situationen zur Wirkung kommen
können: Wenn es der Einheit wirtschaftlich schlecht gehe, stelle sich jeder in der Einheit "wie von selbst" die
Frage, ob die Aufträge für alle ausreichen. Ob es für das Überleben der Einheit nicht besser wäre, wenn weniger
"an Bord" wären. Die neue Dynamik (gemeinsamer Kampf am Markt) erweise sich als Mechanismus der
Vereinzelung:"peer-to-peer"-pressure – das Herausdrängen der "Schwachen" durch die "Starken".

Ein weiteres Merkmal der flexiblen Arbeit ist fehlende langfristige Bindung. Arbeitsplatz- und Unternehmenswechsel
werden zu einer Selbstverständlichkeit. In den USA, oft zitiertes Vorbild auf dem Weg in die Wissensgesellschaft,
müssen sich Arbeitssuchende schon rechtfertigen, wenn sie zuvor mehrere Jahre bei einer Firma verweilten.
Innerhalb eines Betriebes werden Einheiten regelmäßig neu zusammengesetzt. Umorganisierungen erfolgen oft
bereits, bevor die Wirkungen der letzten Aktionen evaluiert sind. Die Folge ist eine wachsende Fragmentierung der
Arbeitnehmer.

Insgesamt bietet sich also ein ambivalentes Bild. Der (Alp-)Traum des lebenslangen Normalarbeitsverhältnisses,
Kennzeichen der Industriegesellschaft, scheint ausgeträumt. Es bleibt abzuwarten, ob es in der
Wissensgesellschaft ein böses Erwachen geben wird.