waage_großZum Jahreswechsel 2014 erreichte die erste Generation des Fairphones ihre Kunden. Das “nachhaltige Smartphone” ist zwar noch weit davon entfernt, fair hergestellt zu sein. Doch diese Hoffnung hatten die Gründer auch gar nicht. Es geht ihnen darum, Aufmerksamkeit für die Handels- und Produktionsstrukturen eines immer mächtiger werdenden Wirtschaftssektors zu schaffen – die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT). Eine netzpolitische Dimension hat das Projekt auch. Diese sollte in der Debatte nicht verloren gehen.
Jedes zweite Mobiltelefon wird heute in China zusammengebaut. Zum Symbol für unverantwortliches Verhalten gegenüber seinen Mitarbeitern – wie es in der herstellenden IKT-Industrie in China üblich ist – wurde das taiwanesische Unternehmen Foxconn Electronics/Hon Hai Precision Industry, das schon seit 2006 in der Kritik steht. Der “Gigant hinter Apple” zählt mit einem Umsatz von jährlich über 130 Milliarden Dollar zu den umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Allein in China beschäftigt es mehr als 1,3 Millionen Menschen, die u. a. das iPhone unter schwierigsten Bedingungen zusammenbauen: extrem lange Arbeitszeiten bei schlechter Bezahlung, Beschäftigung Minderjähriger und ein geringer Arbeitsschutz trotz Verwendung gefährlicher Chemikalien. Immer wieder wird über Selbstmorde von Foxconn-Beschäftigten berichtet.  Doch der ehemalige Apple-Chef Steve Jobs zeigte wenig Verständnis und verglich 2010 die Selbstmordrate bei Foxconn ernsthaft mit der Zahl der Suizide in den USA.
Der Bau eines nachhaltigen Hightech-Geräts kann heute nicht unabhängig von der globalen Arbeitsteilung umgesetzt werden. Die Identität und Arbeitsweise der vielen Hersteller kleinster Bauteile sowie von Zwischen- und Rohstoffhändlern in der Versorgungskette sind nur schwer zu rekonstruieren.

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Eine Kleinstbergbaumine im Osten des Kongos

Im Mittelpunkt der Debatte über die Rohstoffgewinnung stehen dabei die für ein Smartphone notwendigen Metalle. Einige dieser Metalle, z. B. Zinn oder Tantal, werden von Minen in Provinzen des östlichen Kongos geliefert. Die Arbeits-bedingungen der Minenarbeiter sind meistens sehr schlecht: Sie tragen keine Schutzkleidung, haben selten rechtliche und gesundheitliche Absicherung und erhalten nicht mehr als ein paar Euro am Tag.
 
Im östlichen Kongo kommt hinzu, dass es u. a. aufgrund eines nicht vorhandenen staatlichen Gewaltmonopols bewaffnete Konflikte um die Kontrolle über die Minen gibt. Die Abnahme der Ressourcen durch externe Akteure wie Unternehmen kann zur Fortdauer der Konflikte beitragen, während ein regionaler Boykott die Lage der Zivilbevölkerung beeinträchtigen kann. Darüber hinaus hat der Bergbau Konsequenzen für die Umwelt. Die giftigen Seen, die durch Zinnminen entstehen, können das ganze Ökosystem beträchtlich schädigen, wie dies auch über indonesischer Regionen berichtet wurde. Sind die Rohstoffe, die über den Weltmarkt bezogen werden, auf sozial und ökologisch nachhaltige Weise gewonnen worden? Schon beim Beantworten dieser Frage scheitert derzeit das Vorhaben, ein nachhaltiges Hightech-Gerät zu bauen.

“Fair” – ein vielschichtiger Begriff

Was also macht das durch Crowdfunding gegründete Fairphone-Unternehmen Fairphone B.V., das sich selbst als “social enterprise” bezeichnet, besser? Bisher fällt die Bilanz nüchtern aus. Um sich über die Bedingungen bei der Rohstoffgewinnung und bei der Fertigung ein direktes Bild zu verschaffen, hat das Fairphone-Team Reisen in den Kongo und nach China unternommen und diese dokumentiert. Das Team stellte fest, dass es bereits Initiativen gibt, die für bessere Verhältnisse und mehr Transparenz sorgen wollen – u. a. gefördert von Unternehmen wie Motorola, HP und Intel.
Auf diesen Zug ist Fairphone B.V. aufgesprungen und verwendet z. B. für seine Elektrolytkondensatoren Tantal aus konfliktfreien Minen im Kongo. Laut der Fairphone-Website hat sich die Situation der Minenarbeiter dort in den letzten Jahren verbessert. Doch die Herkunft der 28 verbauten Metalle neben Tantal und Zinn ist noch unbekannt. Fairphone B.V. kündigte an, die Versorgungskette Schritt für Schritt transparent machen zu wollen. Selbst bei ähnlichen Unternehmen, die bemüht sind, weniger komplexe Geräte nachhaltig herzustellen, wird dies noch Jahre dauern (z. B. im Fall der fairen Maus von Nager IT). Das Ganze muss also als eine Art “Forschungsprojekt” betrachtet werden. Für den Zusammenbau der ersten 25.000 Geräte beauftrage Fairphone B.V. den chinesischen Auftragsfertiger A’Hong.

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Das Fairphone-Team sieht sich Arbeitsbedingungen in einer chinesischen Fabrik an

Über die Arbeitsprozesse in der Fabrik in Chongqing wurde ein Video gedreht – was bei Foxconn undenkbar wäre. Die Beschäftigten von A´Hong arbeiteten ungefähr 60 Stunden die Woche für ca. 210-300 Euro im Monat. Für die meisten anderen Auftraggeber gelten bei A’Hong längere Arbeitszeiten. Das Gehalt entspricht dem freiwilligen Mindestlohn in der Region. In den kommenden Monaten soll ein von Fairphone B.V. eingerichteter Sozialfonds von über 90.000 Euro an die Arbeiter der Fabrik ausgeschüttet werden.
 
Das Endprodukt Fairphone beruht also auf vielen Arbeitsprozessen, die nicht vereinbar sind mit Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation. Mit A’Hong hat Fairphone B.V. einen Hersteller gewählt, der von sich behauptet, die Situation der Beschäftigen verbessern zu wollen – und überhaupt bereit war, diese geringe Menge an Geräten herzustellen. Es werden keine Leiharbeiter oder Kinder in den Fabriken beschäftigt. Das sonst geringe Mitspracherecht der Arbeiter wurde für den Fairphone-Produktionszeitraum verbessert. Überraschen sollte es daher nicht, dass es viel Lob für das Fairphone-Projekt gibt. Es zeige erstmals, was machbar ist, und übe Druck auf die großen Hersteller der Branche aus, heißt es wohlwollend von Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen.
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Das Fairphone der ersten Generation: Nachhaltig gebaut sind der herausnehmbare Akku und die zwei Simkarten-Slots

Auf den großen Absatzmärkten (USA und EU) werden Smartphones gewöhnlich für ein Vielfaches der Produktionskosten verkauft. Der Börsenkonzern Apple macht enorme Gewinne mit seinen teuren Geräten. Fairphone B.V. legt daher besonderen Wert auf die Transparenz bei der Preiszusammenstellung. Auf der Fairphone-Website kann man sich die Kostenaufstellung des Geräts herunterladen. Fairphone B.V. geht also noch einen Schritt weiter und hebt sich dadurch positiv von Herstellern wie Motorola, HP und Intel ab.
 

Moderne Demokratie oder antike Dekadenz?

Es wird schnell deutlich: Ein nachhaltiges Smartphone zu bauen, muss ein langfristiges Projekt sein. Der Einfluss, den z. B. europäische Firmen und Politiker auf diesen Prozess haben, bleibt in bestimmten Punkten begrenzt. Demokratische Subsidiarität verlangt von den Bürgern, dass sie sich organisieren und lokale Institutionen selbst regulieren. Es liegt zwar auch an den Chinesen, Indonesiern und Kongolesen, sich bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen und für eine gemäßigte Belastung der Natur zu sorgen. Doch das entbindet ausländische Abnehmer und Politik nicht davon, Transparenz zu schaffen und bessere Arbeitsbedingungen einzufordern. Die deutsche Bundesregierung lehnt hingegen den aktuellen Vorschlag der EU-Kommission für mehr Transparenz ab. Dieser sieht vor, große Unternehmen zu Berichten über ihre ökologische und soziale Auswirkung zu verpflichten, was bisher nur freiwillig geschieht.
Sollen unsere “herrschaftsfreien Diskurse” mittels Geräten geführt werden, die auf Ausbeutung von Mensch und Natur beruhen? Demokratie ist historisch ein exklusives Phänomen und demokratische Teilhabe heute stark geografisch bedingt. Die digitale Vernetzung schließt nicht alle Menschen mit ein. Die digitale Kluft ist vor allem ein globales Problem. Mit einem aufgeklärten Eigeninteresse – also dem Wissen, dass die Entwicklung des  Gemeinwohls im Interesse jedes einzelnen liegt – fordert die globaler werdende Zivilgesellschaft eine demokratische Globalisierung. Dabei sollte sie sich nicht auf den Wirtschaftsstrukturen in der IKT-Branche ausruhen. Gerade weil die derzeitigen Produktionsstrukturen sich nicht über Nacht umwälzen lassen, fällt ihr die Aufgabe zu, die entscheidenden Akteure unter Druck zu setzen.
Im antiken Griechenland wurde die Demokratie  durch die Unfreiheit vieler Sklaven ermöglicht. Schon heute zeigt sich, dass digitale Medien zu mehr politischer Partizipation führen, und der Einfluss des Internets auf unsere politische Kultur wird weiter zunehmen. Ein Vergleich zu den antiken gesellschaftlichen Verhältnissen drängt sich umso mehr auf, wenn wir künftig unsere Wahlen elektronisch abhalten. Stattdessen sollte sichergestellt werden, dass die für eine Cyberdemokratie notwendige Technik der Idee der Demokratie nicht zuwider läuft. Auch für eine reflexive Netzpolitik gilt es daher, sich des Widerspruchs zwischen demokratischer Verantwortung und nationalen Grenzen bewusst zu werden. Würde diese Reflexivität auf “Privacy” und andere negative Freiheiten beschränkt bleiben, läuft auch der Kulturwandel durch das Internet Gefahr, kein wirklich demokratischer zu werden.
Bilder: Fairphone (CC BY-NC-SA 2.0)
Buch-Cover von Marina Weisband

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