Hätte ein Blick auf die privaten Facebook-Nachrichten von Tashfeen Malik den Terroranschlag im kalifornischen San Bernardino am 02. Dezember 2015 verhindern können? Nach dem Anschlag mit insgesamt 14 Toten gaben FBI-Ermittler bekannt, dass die Attentäterin kurz vor ihrer Einreise in die USA wiederholt Direktnachrichten mit islamistischem Gedankengut an ihren Ehemann und Komplizen Syed Farook geschickt hatte. Nun streitet Amerika darüber, ob ihre Sicherheitsbehörden künftig bei Einwanderungsanträgen auch die private Kommunikation von Bewerbern auf sozialen Medien überprüfen dürfen.
Den genauen Wortlaut des brisanten Facebook-Postings wollte FBI-Direktor James Comey den Journalisten nicht verraten. Nur so viel ließ er durchblicken: Das, was die Attentäterin Tashfeen Malik auf ihrer Timeline hinterließ, Sekunden bevor sie und ihr Ehemann Syed Farook das Feuer auf die Besucher einer Weihnachtsfeier im Inland Regional Center in San Bernardino eröffneten, sei nichts Geringeres als ein Treueschwur an die radikale Terrormiliz ‘Islamischer Staat’ und deren Anführer Abu Bakr al-Baghdadi. Comey beeilte sich klarzustellen, dass die beiden Attentäter in keiner direkten Verbindung zum IS gestanden hätten. Es gäbe keinerlei Hinweise darauf, dass sie logistische oder finanzielle Unterstützung erhalten oder Kontakt zu Angehörigen des IS gehabt haben. Ihre Tat sei lediglich von denen des IS inspiriert gewesen, so Comey. Beruhigen konnte er die verunsicherte amerikanische Öffentlichkeit damit allerdings nicht. Schließlich sind mit diesem Terroranschlag Amerikas schlimmste Befürchtungen wahr geworden: Ein islamistisches Attentat aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Verübt von Menschen mit muslimischen Wurzeln, die mitten unter ihnen lebten und sich über Jahre hinweg unbemerkt radikalisierten. Gerichtet gegen das Land, das ihnen eine Heimat, ein Zuhause und Arbeit geboten hatte.
US-Sicherheitsbehörden kalt erwischt
Von „self-radicalization“ ist in diesen Tagen in den US-Medien die Rede, und von „homegrown terrorists“. Zweifellos hat der Anschlag die amerikanischen Sicherheitsbehörden kalt erwischt: Keiner der beiden Attentäter war vorbestraft oder in irgendeiner Weise strafrechtlich aufgefallen. Auch standen sie nicht auf der Terrorliste des U.S. State Department. Die New York Times berichtete zunächst, den US-Sicherheitsbehörden hätten bis zum Zeitpunkt des Anschlags keinerlei Warnungen vorgelegen, dass von den beiden Attentätern eine konkrete Bedrohung ausging. Folglich könne man ihnen in dieser Sache keinen Vorwurf machen. Eine Einschätzung, die auf den ersten Blick als gerechtfertigt erscheint – wären da nicht diese verräterischen Nachrichten, die sich die beiden Attentäter bereits 2013 via Facebook gegenseitig geschickt hatten. Sie könnten für die US-Heimatschutzbehörde zum ‘Game Changer’ werden, stellen sie doch ihre Rolle in dieser Geschichte und die amerikanischen Sicherheitsgesetze im Allgemeinen in Frage.
Warnsignale übersehen
Mindestens zwei Direktnachrichten will das FBI bei der Durchsuchung verschiedener Social Media-Accounts der beiden Attentäter gefunden haben, die – wären sie rechtzeitig entdeckt worden – die Einreise Maliks und damit möglicherweise den blutigsten Terroranschlag in den USA seit dem 11. September 2001 hätten verhindern können. Als Ehefrau des pakistanischstämmigen US-Staatsbürgers Syed Farook war die 27-jährige Pakistanerin im Juli 2014 mit einem sogenannten ‘Verlobtenvisum’ nach Amerika gekommen. Das Paar hatte sich 2013 im Internet auf einem arabischsprachigen Dating-Portal kennengelernt und kurz darauf in Saudi-Arabien geheiratet. Noch während Malik darauf wartete, dass ihr Einreiseantrag den obligatorischen Security-Background-Check durchlief, sollen sie und Farook private Nachrichten auf Facebook ausgetauscht haben, in denen sie ihre Sympathie für den islamistischen Dschihad und den Märtyrertod bekundet haben sollen. Nachrichten, die erst entdeckt wurden, als es längst zu spät war und insgesamt 14 Opfer sowie die beiden Attentäter ihr Leben verloren hatten. US-Medien sprechen nach diesen Enthüllungen von „eindeutigen Warnsignalen“, die das Department of Homeland Security bei der Überprüfung von Maliks Einreiseantrag übersehen habe. Überall in Amerika stellt man sich nun die Frage, ob die gegenwärtigen Prüfverfahren überhaupt ausreichen, um unter der Masse an Einreisebewerbern potenzielle Terroristen frühzeitig ausfindig machen zu können. Tatsächlich ist die Kontrolle der Social Media-Aktivitäten von ausländischen Visa-Antragstellern in den USA bislang keine gängige Praxis. Zwar verwies die Sprecherin des Department of Homeland Security, Marsha Catron, kürzlich darauf, dass ihre Behörde seit Herbst 2014 im Rahmen von drei Pilotprojekten auch die Kommunikation auf sozialen Netzwerken ins Visier nehme, allerdings handelt es sich dabei um keine großflächigen Kontrollen, sondern allenfalls um Stichproben.
Aushorchen privater Nachrichten und E-Mails
Einem Vorstoß von Mitarbeitern der US-Einwanderungsbehörde Anfang 2014, den Security-Check auch auf soziale Medien auszuweiten, soll Präsident Obamas Minister für Innere Sicherheit, Jeh Johnson, laut Medienberichten klammheimlich einen Riegel vorgeschoben haben. Nach dem größten Überwachungsskandal in der Geschichte um den Geheimdienst NSA fürchtete Johnson, eine weitere Beschneidung von Bürgerrechten, wie etwa dem Recht auf Privatsphäre, könnte die Amerikaner wieder auf die Barrikaden treiben und darüber hinaus die Obama-Administration international erneut in ein schlechtes Licht rücken. Schließlich seien grundlegende Fragen noch immer nicht eindeutig geklärt, beispielsweise wer überhaupt von der Überwachung betroffen sein soll: Anlasslos jeder, der einen Einreiseantrag stellt? Oder sollten Kontrollen nur personenbezogen stattfinden? Und sollten etwaige Angehörige von Einreisebewerbern auch dann ins Visier genommen werden, wenn es sich – wie im Falle des San Bernardino-Attentäters Syed Farook – um US-amerikanische Staatsbürger handelt? Einer Studie des Pew Research Centers von 2015 zufolge sind die Amerikaner in der Frage der Überwachung gespalten, wobei 54 Prozent der US-Bürger die Beobachtung von Ausländern befürworten, während 57 Prozent der Befragten die Kontrolle von Amerikanern für inakzeptabel halten.
Keine Überwachung ohne konkreten Verdacht
Zumindest gegenüber US-Bürgern scheint die Obama-Regierung dann auch um Beruhigung der Gemüter bemüht: „Wir überwachen keine amerikanischen Bürger ohne Anlass oder die Überzeugung, dass sie in terroristische oder schwerwiegende kriminelle Aktivitäten verwickelt sind,“ erklärte FBI-Direktor Comey unlängst auf einer Pressekonferenz vor amerikanischen Journalisten. „Wir durchforsten nicht die privaten E-Mails oder Nachrichten von Leuten, über die wir nicht den geringsten Verdacht haben.“ Kritik an dieser Haltung kommt vor allem von Seiten der Republikaner, die im gegenwärtigen Wahlkampf jede Gelegenheit nutzen, um der aktuellen Regierung Unfähigkeit zu attestieren. So auch die republikanische Präsidentschaftskandidatin Carly Fiorina kürzlich bei der fünften TV-Debatte ihrer Partei: „Um Himmels willen, Eltern kontrollieren die Social Media-Aktivitäten ihrer Kinder, Arbeitgeber überwachen ihre Mitarbeiter – aber unsere eigene Regierung bringt es nicht fertig,“ keifte Fiorina. „Unsere Behörden hinken völlig hinterher. Die Regierung ist inkompetent und träge geworden. Und diese Inkompetenz, diese Unfähigkeit und Verantwortungslosigkeit ist nun zu einer Gefahr für uns alle geworden.“
Der Willkür von US-Einreisebehörden ausgeliefert
Dabei ist die Sorge um die Privatsphäre von US-Bürgern bei Weitem nicht das einzige Hindernis auf dem Weg zur Social Media-Überwachung. Unklar ist bislang auch, welche Inhalte erlaubt sind und welche nicht, sowie die Frage, wo genau die Grenze des Erlaubten verläuft und wer diese festlegt. Schließlich müssen Amerika-kritische Kommentare auf Facebook nicht zwangsläufig auf eine terroristische Gesinnung des jeweiligen Nutzers hindeuten, sondern könnten ebenso Ausdruck einer politisch-kritischen Haltung gegenüber den USA sein. Solange aber keine eindeutigen Kriterien zur Bewertung von Inhalten vorliegen, sind Einreisebewerber der Willkür der US-Behörden ausgeliefert. So mussten in den vergangenen Jahren auch deutsche Staatsbürger, wie etwa der Schriftsteller Ilja Trojanow, die Erfahrung machen, dass ihnen aus zunächst nicht nachvollziehbaren Gründen die Einreise in die USA verweigert wurde. In manchen Fällen erfuhren die betroffenen Personen erst am Flughafen, wenige Minuten vor dem Boarding, dass ihre Einreisegenehmigung widerrufen worden war. Da die verantwortlichen Behörden in solchen Situationen jegliche Auskünfte über die Gründe verweigern, sind Spekulationen Tür und Tor geöffnet. Im Fall Trojanows waren sich die deutschen Medien recht bald einig, dass seine Einreiseverweigerung in direktem Zusammenhang mit seiner Amerika-kritischen Haltung stünde. Denn Trojanow hatte kurz vor seiner geplanten USA-Reise öffentlich die Überwachungspraktiken des US-Geheimdienstes NSA angeprangert und Konsequenzen für Amerika gefordert. Dass ihm, der sich ansonsten nichts hatte zu Schulden kommen lassen, nun die Einreise verweigert wurde, werteten in Deutschland nicht wenige als Anzeichen dafür, dass die USA kritische Personen gezielt ins Visier nehmen. Sollte dem tatsächlich so sein, wäre dies ein gefährlicher Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung und somit eine denkbar schlechte Ausgangsbasis für die geplante Überwachung der privaten Kommunikation von Einreisebewerbern. Beobachter warnen deshalb davor, der Preis der Sicherheit könnte am Ende in Freiheitsrechten aller Bürger zu zahlen sein.
Social Media-Dienste wenig begeistert
Zustimmung finden sie ausgerechnet bei den für ihren oftmals laxen Umgang mit Nutzerdaten bekannten Social Media-Diensten. So bemerkte etwa Mark MacCarthy, Vize-Präsident der Software & Information Industry Association – einem Unternehmensverband von IT-Firmen, zu dem u.a. auch Facebook gehört –, dass er nicht gerade begeistert ist von den Plänen der US-Regierung. Demnach sei das Ausspähen der Social Media-Profile von Einreisebewerbern wenig hilfreich bei der Suche nach potenziellen Terroristen und berge darüber hinaus eigene Risiken und Gefahren. „Ein solches Gesetz würde die Betreiber von sozialen Netzwerken dazu zwingen, regelmäßig Informationen über ihre Nutzer an US-Geheimdienste und Behörden weiterzugeben, ohne dass diese zuvor eindeutig bestimmt hätten, was überhaupt unter einer ‘terroristische Handlung’ zu verstehen ist,“ so MacCarthy. Er verwies darauf, dass sich die großen amerikanischen Social Media-Dienste ohnehin längst gegen den digitalen Terror engagierten und dabei eng mit der US-Regierung zusammenarbeiteten. So würden beispielsweise Video-Dienste wie Youtube oder Vimeo systematisch Propaganda- und Rekrutierungsvideos des Islamischen Staates aufspüren und von ihren Seiten entfernen, Twitter sperre massenhaft die Nutzerkonten von IS-Sympathisanten und Facebook leite jeden noch so kleinen Hinweis auf terroristische Aktivitäten auf direktem Weg an die zuständigen US-Behörden weiter. „Der Wunsch nach mehr Überwachung ist gerade im Angesicht von Terroranschlägen wie dem in San Bernardino durchaus nachvollziehbar“, so MacCarthy weiter. „Doch er sollte den Kongress nicht blind dazu verleiten, unbescholtene Bürger unter Generalverdacht zu stellen – ohne jeden Nachweis darüber erbracht zu haben, dass die beschlossenen Maßnahmen tatsächlich zu mehr Sicherheit führen.“
Handlanger der US-Behörden
Ob es den IT-Firmen dabei tatsächlich nur um den Schutz der Privatsphäre ihrer Nutzer geht, ist fraglich. Vielmehr scheinen die Silicon Valley-Unternehmen seit den Enthüllungen von Edward Snowden um die Spähaktivitäten des NSA darum bemüht, nicht als Handlanger der US-Behörden zu erscheinen. Schließlich ist es um das Vertrauen der User in die Sicherheit ihrer Daten nicht allzu gut bestellt. So gibt es längst Hinweise darauf, dass Firmen wie Facebook, Google oder Whatsapp selbst in großem Stil Nutzerdaten sammeln und durchsuchen, die privaten Nachrichten ihrer User mitlesen und ihre Chats überwachen. Auch dass beispielsweise Facebook die erbeuteten Daten jahrelang für riesige Geldsummen an den NSA verscherbelt haben soll, selbst wenn diese gar keinen Bezug zu Terrorismus hatten, ist ein offenes Geheimnis. Vor diesem Hintergrund kann die neuerliche Zurückhaltung der IT-Firmen gegenüber der geplanten Social Media-Überwachung als Versuch gewertet werden, nicht auch noch den letzten Rest an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Wie lange sich die sozialen Netzwerke dem wachsenden Druck der US-Regierung werden widersetzen können, bleibt indes abzuwarten. Jüngsten Medienberichten zufolge fordert mit Hillary Clinton nun erstmals auch eine demokratische Präsidentschaftskandidatin eine stärkere Zusammenarbeit der IT-Firmen mit US-Behörden. Dabei hat sie es vor allem auf das Knacken von verschlüsselter Kommunikation abgesehen, um verdächtige Personen einfacher überwachen zu können. Ein Bereich, in dem die betreffenden Dienste der US-Regierung bislang keine Zugeständnisse machen wollen, da sie von der Netzgemeinde auch daran gemessen werden, wie sicher die Kommunikation auf ihren Plattformen ist. Für Unternehmen wie Facebook, Google oder Apple stellt sich damit die eigentliche Gretchenfrage, was ihnen wichtiger ist: Ein gutes Verhältnis zur US-Regierung oder das Vertrauen ihrer Nutzer.
Bild von michael pollak, CC BY 2.0