ArtikelbildGrueneOnlineAbstimmungIm Vorfeld der Europawahl 2014 lässt die Europäische Grüne Partei online über ihre Spitzenkandidaten abstimmen. Dabei haben interessierte Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit, im Internet eine Vorauswahl des Spitzenpersonals zu treffen. Der Parteichef der Europäischen Grünen Partei, Reinhard Bütikofer, spricht von einer „noch nie dagewesenen Aktion“.
Keine 100 Tage sind es mehr bis zur Bundestagswahl, der Wahlkampf kommt langsam ins Laufen, die Parteien und Kandidaten positionieren sich. Doch auch die kommende Wahl zum Europaparlament im Mai 2014 wirft schon ihre Schatten voraus. Die Europäische Grüne Partei (EGP) möchte neue Akzente in Sachen Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie setzen und veranstaltet erstmals eine Online-Vorauswahl, um zwei gesamteuropäische Spitzenkandidaten zu bestimmen. Ähnliche Vorhaben gab und gibt es zwar immer wieder einmal, auf gesamteuropäischer Ebene ist dies aber eine Neuheit. Erstmals soll es demnach möglich sein, aus ganz Europa, also aus allen 33 nationalen Grünen Mitgliedsparteien der EGP, Bewerberinnen und Bewerber direkt als Spitzenkandidaten zu nominieren.
Reinhard Bütikofer, der Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei, begründet das Vorhaben so: „In der Europapolitik wird immer wieder der zu große Abstand zwischen Bürgern und politischen Entscheidungsträgern kritisiert. Es wird häufig geklagt, Europa sei nur eine Addition nationaler politischer Räume ohne gemeinsame europäische Öffentlichkeit. Darauf wollen wir antworten und mit einer europaweiten elektronischen Urwahl einen Schritt nach vorne gehen.“

Keine nationale Bindung

Die Besonderheit: Die Abstimmung ist nicht an eine Mitgliedschaft in einer Grünen Partei gebunden, sondern auch Sympathisanten grüner Ziele und Ideen sind explizit dazu aufgefordert, sich zu beteiligen. Auch besteht keine nationale Bindung, jeder, egal aus welchem EU-Mitgliedsstaat, kann für jeden aufgestellten Kandidaten votieren. Die Registrierung erfolgt über die Website der europäischen Grünen, die Software selber wird durch eine externe spezialisierte Firma in enger Abstimmung mit der EGP technisch betreut und auch die Datensicherheit gewährleistet.
Und wer kann kandidieren und letztlich um Stimmen der geneigten Grünen buhlen? „Prinzipiell jeder. Es gibt keine formalen Voraussetzungen, um Kandidat zu werden, nicht einmal eine Mitgliedschaft in einer unserer Grünen Parteien ist nötig“. Man brauche aber eine gewisse Mindestunterstützung. Um kandidieren zu können, ist die Unterstützung fünf nationaler Grüner Parteien aus EU-Mitgliedsländern notwendig. „Da jede Mitgliedspartei nur einen Bewerber unterstützen darf, ist die Anzahl an Kandidaten von vorneherein sehr begrenzt“, erklärt Bütikofer, der deshalb auch keine Manipulation der Abstimmung, etwa eine Torpedierung durch politische Gegner, fürchtet: „Alle Kandidaten, die letztlich zur Wahl stehen werden, werden die Grünen in Europa sehr gut repräsentieren. Außerdem garantieren wir ein Höchstmaß an Sicherheit und Datenschutz.“
Da es bei der EU-Wahl keine gesamteuropäischen Listen gibt, sondern nur nationale Listen für jedes Land, muss jeder Kandidat in seinem Heimatland antreten. Die Ergebnisse der internetbasierten Vorauswahl werden dennoch soweit verbindlich und gültig sein, dass diejenigen zwei Kandidaten mit den meisten Stimmen als Spitzenkandidaten für die gesamteuropäische Grüne Parteifamilie im Frühjahr 2014 in den Europawahlkampf ziehen werden. Eine Einschränkung gibt es aber doch bei der Kandidatenauswahl, „Gemäß unserer grünen Tradition gibt es eine Mindestquotierung für Frauen. Die Frau mit den meisten Stimmen wird auf jeden Fall zu den beiden Kampagnenführern gehören, auch, wenn sie insgesamt weniger als die zweitmeisten Stimmen erhält“, ergänzt der Kovorsitzende der europäischen Grünen.
Eine Mindestanzahl an Teilnehmern ist für die Online-Wahl übrigens nicht zwingend, jedoch peilt man – sehr ambitioniert – eine sechsstellige Teilnehmerzahl an. Dazu erklärt Reinhard Bütikofer, solch ein Experiment sei „völlig neu in Europa“ daher wolle man auf Mindestanforderungen bei den Stimmzahlen verzichten.
Eine wichtige Rolle spielt diese Urwahl übrigens auch auf einer weiteren Ebene: Da der Spitzenkandidat der Parteienfamilie, die bei der Europawahl am besten abschneidet, Präsident der Europäischen Kommission werden soll, wollen die europäischen Grünen die Wahl zu diesem Schlüsselposten politisieren und näher ans Volk bringen.

Online und offline mobilisieren

Damit eine anständige Mitmachzahl erreicht wird, muss die Online-Primary aber beim Wahlvolk noch bekannter gemacht werden. Da seien, so Bütokofer, „vor allem die nationalen Grünen Mitgliedsparteien gefragt, die das in den Heimatländern bewerben müssen“. So soll – wie bei einer Online-Kampagne nicht anders zu erwarten – Online-Werbung geschaltet werden, zudem wird die Wahl von Online-Debatten begleitet. Aber auch offline soll etwas passieren: „In verschiedenen europäischen Hauptstädten sind Diskussionsrunden geplant, an denen jeder teilnehmen kann. Und auch die Grüne Jugend wird für die Aktion mobilisieren. Ich denke, dass man von der Aktion hören wird!“, zeigt sich der geborene Mannheimer zuversichtlich.
Überhaupt hofft Bütikofer, mit einer solchen Aktion ein Zeichen für mehr direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung setzen zu können und ist schon seit Langem von der Idee überzeugt: „Ich glaube, derlei Instrumenten gehört die Zukunft der politischen Personalauswahl. Wenn unsere Aktion ein Erfolg wird, dann werden vielleicht auch andere Parteien diese Idee der bürgernahen Beteiligung aufgreifen,“ hofft Bütikofer auf einen Erfolg der Grünen Europa-Urwahl, und fügt hinzu: „Ganz wichtig ist aber, dass man die Bürgerinnen und Bürger nicht nur über Alternativen abstimmen lässt, sondern sie auch an einer entsprechenden Diskussion beteiligt und sie so voll in den Entscheidungsprozess einbindet. Für eine lebendige Demokratie ist die Debatte unerlässlich! Die Erörterung von Alternativen und das Vergleichen verschiedener Lösungen müssen in solche Formate direkter Beteiligung unbedingt integriert werden!“
Man darf gespannt sein, auf welches Interesse das Vorhaben stoßen wird. Im Sinne der Bürgerbeteiligung wäre es ohne Frage essentiell, wenn sich solcherlei Modelle längerfristig in allen Parteien national wie international durchsetzen könnten.
 
Bilder: Ernesto Ruge (CC BY-NC-SA 2.0)

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