Über Online-Wahlen zerbrechen sich schon seit einiger Zeit Forscher in vielen Ländern den Kopf. Die deutschen eVoting-Spezialisten
Professor Dr. Otten von der Universität Osnabrück und
Professor Dr. Kubicek von der Universität Bremen hat politik-digital bereits ausführlich vorgestellt. Wer in den USA die Innovation bei der elektronischen Wahl vorantreibt, haben wir in drei Profilen zusammengestellt.


Lorrie Cranor

Am Ende bekam die Regierung von Costa Rica kalte Füße. Lorrie Cranor und ihre Kollegen vom
AT&T-Forschungslabor in New Jersey hatten seit 1997 den ersten großen Test einer Onlinewahl vorbereitet. Costa Rica hatte sich interessiert gezeigt und zugestimmt, für die
Parlamentswahlen 1998 ihr neu entwickeltes Wahlverfahren zu verwenden. Die virtuellen Wahlurnen sollten in den Schulen des Landes aufgestellt werden, was nicht nur die Wählerregistrierung, sondern auch die Stimmabgabe erleichtern sollte. Der Versuch wurde kurz vor den Wahlen ohne Begründung abgebrochen, wahrscheinlich aus Angst vor dem Protest der unterlegenen Parteien.

Lorrie Cranor wird die Absage mit Sicherheit als schmerzliche Niederlage empfunden haben. Seit 1994 beschäftigt sich die damalige Studentin mit den technischen Voraussetzungen von Onlinewahlen. Für ihre Abschlussarbeit entwickelte sie das elektronische Wahlsystem ”
Sensus“, dessen Prinzip der blinden Signatur als Vorbild für nachfolgende Systeme gelten kann. Ihre
eVoting-Hotlist war die erste ihrer Art und gilt bis heute als guter Einstieg für interessierte Surfer.

Cranor steht nach den Erfahrungen in Costa Rica einer allzu schnellen Einführung virtueller Wahlurnen
skeptisch gegenüber. Neben den hohen Einstiegskosten stellten auch immer noch ungenügende Sicherheit und Instabilität der Systeme Probleme bei der Durchführung von elektronischen Wahlen dar. Cranor zu Folge wird die schrittweise Einführung von Internetwahlen wohl zunächst mit der Vernetzung der Wahlkabinen beginnen müssen.

Aufgrund ihrer praktischen Erfahrung und vor allem weitreichenden technischen Kenntnissen genießt die Forscherin in der Fachwelt hohes Vertrauen und Anerkennung.


Andrew McLaughlin

Bei den
ICANN-Wahlen spielte politische Vorsicht keine so große Rolle wie in Costa Rica. Der groß angelegte eVoting-Versuch wurde im letzten Jahr unter viel Aufsehen durchgeführt. Zum ersten mal ließ die Organisation, die von manchen schon als erste Internetregierung bezeichnet wird, einen Teil ihrer Aufsichtsratsmitglieder über das Internet wählen. Andrew McLaughlin war als Chief Policy Officer von ICANN federführend bei der Organisation der Wahl, die Anfang Oktober 2000 mit Hilfe des Online-Wahl-Providers Election.com durchgeführt wurde.

Von den einen als erster Durchbruch der globalen Internet-Demokratie gefeiert, stellte sich die Wahl für andere eher als Beweis für die vielen praktischen Probleme des eVotings heraus. Von der Frage der Legitimität einmal abgesehen (die zur Wahl zugelassenen
At-Large-Mitglieder kamen hauptsächlich aus den USA), kam es zu zahlreichen Registrierungspannen und
Serverblockaden.

Allzu viele Rückschläge wie diesen dürfte es in der erfolgreichen Karriere des Harvard-Absolventen McLaughlin allerdings nicht gegeben haben. Der studierte Jurist, der sich seit einigen Jahren für ICANN engagiert, wurde vom TIME-Magazin in die Liste der ”
Digital Dozen 2001” aufgenommen, das
World Economic Forum kürte ihn zu einem der Global Leader for Tomorrow.

Die Konsequenzen, die McLaughlin und seine Kollegen aus dem Fehlschlag der ersten weltweiten Onlinewahl gezogen haben, dürfte allerdings auf breites Missfallen treffen: In Zukunft sollen nur noch Domain-Inhaber das Recht haben, ICANN-Direktoren zu wählen.


Avi Rubin

Dass auch herkömmliche Wahlen furchtbar schief gehen können, zeigte die verunglückte Kür des US-Präsidenten im letzten Jahr. Eine bessere Werbung für die schnelle und konsequente Einführung
elektronischer Wahlsysteme schien es nicht zu geben. Der IT-Sicherheitsexperte Avi Rubin hatte bereits seit einiger Zeit Interesse an den Möglichkeiten des eVoting entwickelt und nahm im Oktober 2000 am National Workshop on
Internet Voting teil. Sein anschließend veröffentlichtes
Essay gilt mittlerweile als das Referenzpapier in der Debatte über die Sicherheit von Online-Wahlen.

Avi Rubin arbeitet wie Lorrie Cranor am AT&T-Forschungslabor in New Jersey. Seine Erfahrungen auf den Gebieten der Kryptographie und Netzwerksicherheit lassen ihn zu der klaren Schlußfolgerung kommen, dass der gegenwärtige Stand der Technik es nicht erlaubt, öffentliche Internet-Wahlen durchzuführen. Den vielen Fortschritten in der Sicherheitstechnologie stehen weiterhin sehr viel größere Risiken gegenüber, die in der Euphorie leicht unterschätzt werden. Mit Programmen wie
Backorifice 2000 können z.B. Computer aus der Ferne überwacht und gegebenenfalls manipuliert werden, immer ausgefeiltere Viren könnten die Stimmabgabe entscheidend verzögern oder gar verhindern, Wählerstimmen könnten sogar gestohlen werden.

Rubin bleibt trotzdem Optimist, er glaubt, dass in Zukunft Technologien entwickelt werden könnten, die die Stimmabgabe auch für öffentliche Wahlen sicher genug machen. Seine Erkenntnisse wie auch die Erfahrungen von Lorrie Cranor und Andrew McLaughlin zeigen aber, dass wir uns vorerst daran gewöhnen sollten, dass Online-Wahlen vor allem in kleinerem Maßstab oder von Privatorganisationen durchgeführt werden. Das ist gegenwärtig zwar nicht sicher, dafür bleibt der Schaden im Ernstfall aber auch überschaubarer.

Erschienen am 13.12.2001