Die Entwicklung von Internetwahlen befindet sich seit Beginn des Jahres in einer neuen Phase. politik-digital.de wirft einen Blick auf die aktuellen Projekte innerhalb Europas.
Nach anfänglicher Euphorie und der nach den ersten Pilotprojekten eingetretenen Ernüchterung, scheint für die Weiterentwicklung von Internetwahlen nun eine neue Runde eingeläutet worden zu sein. Interessanterweise werden dabei jetzt auch in Ländern Aktivitäten entwickelt, die vorher kein bzw. nur geringes Interesse an elektronischen Wahlverfahren gezeigt hatten. Während beispielsweise der deutsche Innenminister Schily nach zahlreichen Pilot- und Testprojekten noch vor kurzem konstatierte, dass es vorläufig keine Bundestagswahlen über das Internet geben werde, preschte Anfang diesen Jahres der britische Unterhaus-Chef Robin Cook nach vorn und erklärte das Vereinigte Königreich (UK) kurzerhand zur Führungsmacht auf dem Gebiet der elektronischen Demokratie. Inwieweit dies den Realitäten entspricht, wird später erläutert. Zunächst richtet sich der Blick jedoch auf ein anderes Königreich im informationstechnisch bekanntermaßen tatsächlich führenden Skandinavien.
.se: Klassenbester?
Von den Schweden, so wird oft behauptet, könne man in Punkto Demokratie, Bildung und moderner Kommunikation noch so einiges lernen. In Bezug auf Wahlen im Internet wäre dies dann wohl vor allem die tief sitzende Skepsis. Die schwedische Regierung lehnt echte landesweite Internetwahlen konsequent ab. Lediglich Wahlen an vernetzten Wahlmaschinen in den Wahllokalen werden als in Frage kommend angesehen.
Trotzdem hat es kürzlich in Schweden Internetwahlen-Testläufe gegeben. So wurde bereits im letzten Jahr die
studentische Vertretung der Universität Umeå via Internet gewählt. Die dadurch erhoffte Steigerung der Wahlbeteiligung blieb jedoch aus. Auch die Jugendwahlen Anfang 2002, bei der über 90.000 Schüler ihre Interessenvertreter bestimmten, waren wenig erfolgreich. Hierbei lagen die Gründe jedoch eher in der Technik als im Desinteresse der Zielgruppe. Die Wahlserver brachen unter der Belastung zu den Stoßzeiten einfach zusammen.
.fi: Keine Pläne
Auch Finnland ist eine der am weitesten entwickelten Gesellschaften hinsichtlich der Nutzung des Internets. Umso überraschender ist es, dass dort so gut wie keine Anstrengungen in Richtung Internetwahlen unternommen werden. Das finnische Wahlrecht, das nicht einmal Briefwahl zulässt, müsste dafür ohnehin geändert werden. Eine Ausnahme stellt lediglich die Insel Åland dar. Die dortigen 25.000 Einwohner werden im Jahr 2003 die Chance bekommen, die Zusammensetzung des Regionalparlaments Lagting vom heimischen PC aus zu bestimmen.
Skandinavien spielt also wider Erwarten keine führende Rolle bei der Entwicklung von Online-Wahlen. Die Regierungen weisen diesbezüglich vor allem auf die Bewahrung demokratischer Traditionen und die eventuellen Sicherheitsrisiken hin.
.ch: Eigentlich kein Bedarf, aber …
Das Land, das für seine Traditionen der direkten Demokratie bekannt ist, scheint die Potenziale des Internet bisher nicht erkannt zu haben. Vielleicht besteht in der Schweiz aber auch einfach nur kein Bedarf. Die lokalen und regionalen Netzwerke funktionieren auch offline sehr gut, so dass von den Bürgern kaum Gewinn durch politische Aktivitäten im Internet erwartet wird.
In diesem Jahr wurden in Neuchâtel, Zürich und Genf dennoch
erste Pilotprojekte (Link nicht mehr aktuell: Hier gelangen Sie zur
neuen Website, Anm. der Red. 20.07.2006) gestartet. Spannend ist dabei, dass es sich nicht um Wahltests, sondern vielmehr um Kombinationen aus Referenden, Wahlen und Diskussionen auf regionaler Ebene handelt. Dieser Ansatz ist viel versprechend, bis jetzt ist das Interesse der Bürger aus den oben angeführten Gründen jedoch äußerst gering. Zudem sind zahlreiche technische Probleme auch in der Schweiz noch ungelöst.
.uk: Ganz weit vorn?
Von einer Führungsrolle kann im UK wohl kaum die Rede sein, steckt doch die
elektronische Demokratie dort noch in den Kinderschuhen. In 2002 wurden jedoch einige Initiativen zum Leben erweckt. Man ist jedoch äußerst vorsichtig und versucht sich ausschließlich an sehr kleinen regionalen und lokalen Pilotprojekten. In 18 Städten werden verschiedene
E-Voting Ansätze auf kommunaler Ebene getestet. Dies beinhaltet sowohl das Aufstellen von Wahlmaschinen und elektronische Auszählungsverfahren, als auch das Wählen per Internet und Telefon. In Liverpool und Sheffield experimentiert man sogar mit der Stimmabgabe per SMS.
.fr: Erste Schritte
Während den Parlaments- und den Präsidentenwahlen wurden in Frankreich erstmalig
Online-Wahlen-Tests durchgeführt. Dies geschah im Rahmen des EU-geförderten Projektes E-Poll. Etwa 1.500 Wähler in zwei französischen Kleinstädten erhielten die Möglichkeit an rechtlich unverbindlichen Schattenwahlen parallel zu den eigentlichen Wahlen teilzunehmen.
.de: Mühsam …
In der Bundesrepublik gibt es mittlerweile zahlreiche Erfahrungen mit elektronischen Wahlen. Die bisherigen Pilotprojekte waren aber von zahlreichen technischen Problemen und Sicherheitsbedenken begleitet. Zu den zuletzt durchgeführten Projekten zählt u.a. die Wahl zum Jugendgemeinderat der
Gemeinde Fellbach, die auch als Internetwahl ermöglicht wurde. Dabei wurde auf den Einsatz von Chipkarten verzichtet. Mit Hilfe einer durch ein Trustcenter erstellten TAN (Transaktionsnummer) war die Stimmabgabe von jeden normalen Browser aus möglich. Die dadurch erhoffte höhere Wahlbeteiligung blieb jedoch aus, es war sogar ein Rückgang von etwa 10 Prozent festzustellen. “WIEN” – Wählen in elektronischen Netzwerken – so lautet der Name der aktuellsten Initiative, in welcher ein Konsortium aus ivl GmbH Leverkusen, T systems CSM, Forschungsgruppe Internetwahlen der Uni Osnabrück und LDS (Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik)
Brandenburg gemeinsam das Thema weiter erforschen. Bei T-Systems CSM und im LDS fanden unter Einsatz der Onlinewahl-Software i-vote im April und Mai 2002 Personalratswahlen statt, bei der die MitarbeiterInnen ihre Stimme ausschließlich am Computer abgaben. Zur Identifizierung diente eine Chipkarte mit der dazugehörigen PIN. Eine Internetwahlsimulation wurde im LDS bereits im Juni 2000 erfolgreich durchgeführt.
Blick nach Osten
Alles in allem wird man das Gefühl nicht los, mit den Internetwahlen gehe es momentan nicht so richtig vorwärts. Noch immer laufen die Tests in sehr kleinem Rahmen ab und werden in politisch kaum relevanten Organisationen durchgeführt. Die Teilnehmerzahlen sind sehr gering und technische Innovationen sind derzeit auch nicht erkennbar. Erkenntnisse für “echte” politische Wahlen im Internet werden dabei nur in geringem Umfang gewonnen. Die Sicherheitsstandards basieren in so gut wie allen Fällen mittlerweile auf Smartcards mit elektronischen Signaturen. Die scheint momentan die einzig anerkannte Lösung zu sein. Es ist aber sehr fraglich ob das Ziel der Steigerung der Wahlbeteiligung tatsächlich erreicht werden kann, wenn die Wähler gezwungen sind, sich vorher für eine Smartcard zu registrieren. Das Wahlverfahren wird für den Nutzer ja im Vergleich zur konventionellen Wahl damit sogar komplizierter und unbequemer. Auffällig ist auch, dass die Pilotprojekte zumeist rein nationaler Natur sind und man offensichtlich wenig voneinander lernt. Hier könnte so einiges verbessert werden. Es ist unverständlich, dass immer wieder die gleichen Probleme auftauchen und auch immer wieder die gleichen Fehler gemacht werden.
Wesentlich mutiger als die westeuropäischen Staaten zeigt sich die Republik Estland. Die Forscher und Politiker aller an E-Voting interessierten Länder blicken wohl gespannt auf die estnischen Parlamentswahlen 2003, die weltweit einmalig die rechtlich bindende Möglichkeit der Stimmabgabe via Internet enthalten. Vom Erfolg dieses ambitionierten Projekts hängt die Weiterentwicklung der Online-Wahlen in Europa ganz entscheidend ab. (Ein ausführlicher Bericht bei politik-digital.de wird folgen)
Erschienen am 25.07.2002
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