Online-Wahlen sind nach wie vor ein Thema. Wenngleich die erste Euphorie verflogen ist, laufen weiterhin praktische wie politische Prozesse, die auf die Einführung von Online-Wahlen zielen.
Mittlerweile liegen zahlreiche vielversprechende Erfahrungen aus Modellprojekten vor, die Fragen der technischen Sicherheit und der praktischen Machbarkeit von Online-Wahlen belegen. Damit sollen nicht pauschal alle technischen Bedenken gegen Online-Wahlen zerstreut werden. Die praktischen Versuche zeigen aber, dass sich die technischen Schwierigkeiten (Schutz vor Angriffen durch Hackern, Anonymisierung bei gleichzeitiger Eindeutigkeit etc.) gelöst sind oder bald gelöst werden können.
Politische Einigkeit
Auch von politischer Seite gibt es eine große Bereitschaft, sich den neuen technischen Möglichkeiten zu stellen und Online Wahlen – in welcher Form auch immer – einzuführen. Die
Bundesregierung hat angekündigt, die Wahllokale bis zur Bundestagswahl im Jahr 2006 zu vernetzen. Dies wäre eine erster wichtiger Schritt zu Online-Wahlen auf politischer Ebene. Auch die Oppositionsparteien stehen Online-Wahlen nicht negativ gegenüber: In der laufenden 14. Wahlperiode stand das Thema bislang
zweimal auf der Agenda des
Deutschen Bundstags. Dabei forderten die Oppositionsparteien die rot-grüne Bundesregierung auf, sich noch stärker für Online-Wahlen einzusetzen und diese konkret zu fördern. Ein möglicher Regierungswechsel im September würde die generell positive Einschätzung von elektronischen Wahlen daher kaum ändern.
Anwendungsbereiche von Online-Wahlen
Dabei ist aber zwischen den einzelnen Anwendungsbereichen zu unterscheiden. Einerseits können Online-Wahlen in Unternehmen eingesetzt werden, um den Betriebsrat zu bestellen oder um Abstimmungen auf Aktionärsversammlungen durchzuführen. Ein anderer Bereich liegt im engeren politischen Feld. Online-Wahlen können auch für die Wahl zum Deutschen Bundestag genutzt werden. Die zahlreichen Modellversuche fanden in der Regel für nicht-politische Wahlen statt. Erst vor wenigen Wochen wurde der Betriebsrat beim
Landesbetrieb für Datenverarbeitung und Statistik Brandenburg rechtsverbindlich elektronisch gewählt. Interessant ist vor allem die Ausgestaltung von Online Wahlen. Es sind verschiedene Modelle denkbar, die unterschiedlichen Einfluss auf das politische System und das Verständnis der Wahl haben.
Orte der Stimmabgabe und Symbolik der Wahl
Die Stimmabgabe könnte bei Online Wahlen von verschiedenen Orten erfolgen. Denkbar sind:
· das Wahllokal,
· Abstimmungskiosk,
· die eigene Wohnung, oder
· mobile Abstimmungsgeräte, beispielsweise Mobiltelefone
In der Regel werden Online-Wahlen mit der Abstimmung von zu Hause gleichgesetzt. Diese Form der Abstimmung ist, ebenso wie die per mobilem Kommunikationsgerät, die politisch/politikwissenschaftlich Interessanteste. Denn bislang wird die Wahl bekanntlich im Wahllokal, oder – offiziell in begründeten Ausnahmefällen – per Brief durchgeführt. Zentral sind hierbei die Faktoren Öffentlichkeit und Geschwindigkeit. Die Wahl wird zwar geheim, aber doch an einem öffentlichen Ort durchgeführt, worin sich die Sichtbarkeit der öffentlichen Bedeutung manifestiert. Pointiert gesprochen: man geht in die Öffentlichkeit, um sein Interesse an der Gestaltung der Gesellschaft zu bekunden und daran mitzuwirken. Und über den Gang zum Wahllokal wird der Prozess der Stimmabgabe entschleunigt, so dass Zeit zur Reflektion über die anstehende Wahl bleibt. Beide Faktoren fielen bei einer Online-Wahl von zu Hause oder per Mobilgerät unter den Tisch. Neben rechtlichen Bedenken – vor allem der Wahlrechtgrundsatz der geheimen Wahl, so argumentiert Hubertus Buchstein, ist ein schwerwiegendes verfassungsrechtliches Problem, da die Pflicht zur Geheimhaltung vom Staat auf den Bürger übertragen wird – stellen “Öffentlichkeit” und “Geschwindigkeit” wichtige politische Faktoren dar, die bei der Einführung von Online-Wahlen verändert und damit den Grundcharakter von Wahlen beeinflussen würden.
Den Befürwortern von Online-Wahlen ist dieser Zusammenhang bewusst. Die einen sehen die Gefahr des Verlusts der im politikwissenschaftlichen Sinne republikanischen Werte als gering an, die anderen fürchten die Sinnentleerung der Wahl. Doch könnte es sein, dass die Bedenkenträger der Online-Wahl von zu Hause durch die Technologieentwicklung ins Hintertreffen geraten. In den meisten Modellversuchen wurde die Stimmabgabe bislang von einem zentralen Ort vollzogen. Es ist aber sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die Versuche auch auf das heimische Arbeitszimmer ausdehnen. Bei Wahlen, bei denen der Aspekt der Gemeinschaft eher gering ist, ist dagegen sicherlich auch nichts einzuwenden. Doch was passiert, wenn sich die Bürger und Bürgerinnen bei vielen Gelegenheiten an die bequeme Stimmabgabe von zu Hause gewöhnt haben. Wie lässt sich plausibel machen, dass der Betriebsrat, die Vertreterversammlung bei Sozialwahlen etc. zeitsparend von zu Hause gewählt werden kann, während die Wahl zum Deutschen Bundestag weiterhin den lästigen Gang zum Wahllokal erfordert? Hier könnte die Politik durch die technische Weiterentwicklung in Bedrängnis kommen.
Gestaltet die Technik!
Eine Lösung dieses Dilemmas könnte in der Ausgestaltung der Technik liegen. Bislang wird im elektronische Wahlakt der Aspekt des Kreuzens abgebildet. Wahlen sind aber mehr. Öffentlichkeit, Entschleunigung, die Gleichheit aller Bürger bei der Stimmabgabe, die durch den Gang in die Öffentlichkeit signalisiert wird, sind wichtige Faktoren, die in der bisherigen Ausgestaltung der elektronischen Wahlen bislang wegfallen. Teilweise können sie aber abgebildet werden. Hier sollte weiter experimentiert werden. Beispielsweise könnte versucht werden, den Aspekt der Öffentlichkeit auf die Technologie zu übertragen, indem die Geschwindigkeit herausgenommen wird (der us-amerikanische Politikwissenschaftler Benjamin Barber nennt dies democratic speed bumps).
Notwendig ist aber vor allem eine intensive politische Diskussion über die Ausgestaltung und Einsatzmöglichkeiten, die sich nicht von der technischen Machbarkeit unter Druck setzen lassen sollte. Kombiniert mit einem kreativen Umgang mit der Technologie werden Online-Wahlen dann sehr reizvoll für die Entwicklung der Demokratie sein.
Erschienen am 25.07.2002
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