Twitter-LogoBundestagsabgeordnete, die mit ihren Smartphones im Plenarsaal sitzen und ihre Meinung zu dem Gesagten noch während der Sitzung twittern, sind zum Alltag geworden in der deutschen Politik. Im Gespräch mit dem Politik- und Digitalberater Martin Fuchs wird deutlich, wie dieser Trend die politische Debatte beeinflusst und wie die demokratische Meinungsbildung durch soziale Medien profitieren kann – wenn sie ernst genommen werden.
politik-digital.de: Social Media sind im politischen Alltag der Bundesrepublik  angekommen. Wie sind die Entwicklungen in der jüngeren Vergangenheit zu bewerten?
Martin Fuchs: Diese Entwicklung steht eng im Zusammenhang mit der sich verbessernden Verbreitung des Internetzugangs. Auf dieser Grundlage haben soziale Netzwerke eine größere Reichweite erhalten. Darin sehen die Politiker ein großes Potential, ihr Metier wieder attraktiv zu machen. Zum einen nutzen sie diese Plattformen dafür, um ihre Meinungen zu verbreiten. So tritt der Abgeordnete in direkten Kontakt zu den Bürgern, was den politischen Diskurs positiv beeinflusst. Zum anderen sind diese aber auch eine Möglichkeit, um Meinungsforschung zu betreiben. Allerdings ist es zeit- und auch kostenintensiv, zum Beispiel wenn Personal für diese Aufgaben eingestellt werden muss.
politik-digital.de: Sie haben bereits einige Vorteile angesprochen. Wäre es überhaupt möglich, dieselbe Reichweite in dieser Schnelligkeit auch ohne Twitter zu erreichen?

Portrait HAMBURGER WAHLBEOBACHTER_klein
Martin Fuchs war von 2005 bis 2011 als Lobbyist in Berlin und Brüssel tätig. Seit drei Jahren lebt und arbeitet er in Hamburg, wo er als Politik- und Digitalberater die Aktivitäten der Politiker in den sozialen Netzwerken beobachtet. Dazu hat er auch den Blog www.hamburger-wahlbeobachter.de ins Leben gerufen. Außerdem berät er mit seinem Unternehmen “Bürger & Freunde” Kommunen und Verwaltungen im Umgang mit Twitter, Facebook und anderen sozialen Medien.

Fuchs: Sicherlich gibt es andere Möglichkeiten, um eine schnelle und weitreichende Bürgernähe herzustellen. Nicht jeder Politiker muss Twitter, Facebook oder andere Dienste nutzen – und trotzdem können sie erfolgreich sein und sich großer Beliebtheit erfreuen. Politik und politische Diskussionen funktionierten auch ohne Social Media. Sichtbar wird dies vor allem in ländlicheren Gebieten, wo Bürgernähe immer noch „offline“ hergestellt wird. Diese Präsenz durch tatsächliche Anwesenheit ist nach wie vor sehr wichtig.
politik-digital.de: Die Entwicklung bringt nicht nur positive Wirkungen mit sich. Der Schutzraum der Anonymität lässt bei einigen Nutzern die Hemmschwelle sinken, was namhafte Politiker bereits zu spüren bekamen. Welche Möglichkeiten gibt es, dem entgegenzuwirken?
Fuchs: Diese Diskussion gibt es seit geraumer Zeit. Aus meiner Sicht ist es falsch, die Anonymität im Netz in Frage zu stellen. Die Problematik liegt darin, dass die wenigen schwarzen Schafe dafür sorgen können, dass die positiven Effekte vergiftet werden. Dieser geringe Teil unter allen Usern erhält eine große Beachtung, so dass die Problematik in der Außenwirkung aufgebauscht wird. Wenn sich Politiker für Twitter entscheiden, müssen sie den Umgang damit lernen. Regierungssprecher Seibert beispielsweise schaltet seinen Rechner ab, wenn ihm die ausfallenden Kommentare zu viel werden. Am nächsten Tag schaltet er wieder ein und die Ausuferungen sind vergessen. Die Methode, nicht alles nah an sich heranzulassen, scheint gut zu funktionieren. Die Idee eines „digital caring“, also eines Verhaltenskodex für den Meinungsaustausch im Netz, ist dabei der erste Schritt. Grundsätzlich gilt: erst denken, dann schreiben.
politik-digital.de: 140 Zeichen sind schnell getippt. Was macht den Reiz für einen Abgeordneten aus, wenn die Chance groß ist, dass sein Tweet in der Masse untergeht?
Fuchs: Da gibt es sicherlich einige Reize. Zum einen wissen die Politiker, dass Twitter so etwas wie ein Ersatz für Nachrichtenagenturen ist, weil wichtige Themen dort kurz und bündig angestoßen werden. Dadurch hat er selbst die Möglichkeit, politische Akzente zu setzen. Natürlich besteht die Gefahr, dass diese untergehen. Aber wenn er die Plattform überhaupt nicht nutzt, ist diese Chance nicht mal vorhanden. Ein gutes Beispiel dafür, dass soziale Netzwerke hilfreich sein können, ist der CDU-Generalsekretär. Peter Tauber erhielt unter anderem durch die professionelle Nutzung von sozialen Medien eine hohe Beliebtheit in der Netzgemeinde und somit auch eine erhöhte Aufmerksamkeit in der eigenen Partei. Diese brachte ihm schließlich den Aufstieg zu politischer Wichtigkeit.
Soziale Netzwerke sind außerdem direkter als die klassischen Medien. Politiker können schnell zentrale Statements für die Öffentlichkeit herausgeben. Das bietet Vorteile auch für Journalisten, die dadurch zitierfähiges Material erhalten.
politik-digital.de: Inwieweit können soziale Medien der Tragweite politischer Diskussionen gerecht werden und wie sieht der Umgang mit Twitter und anderen Plattformen in Zukunft aus ?
Fuchs: Die Kritik, dass durch diese Form die Diskussionen möglicherweise flacher werden, halte ich für nicht berechtigt. Jedem ist klar, dass auf sozialen Netzwerken keine hunderte Seiten langen Haushaltspläne diskutiert werden können. In 140 Zeichen kann nie eine diffizile Problematik behandelt werden. Das ist keineswegs der Anspruch. Allein die Möglichkeit, Twitter als Anstoß zur Diskussion zu benutzen, ist positiv zu bewerten. Es wird sich entwickeln – und schon im Bundestagswahlkampf 2017 wird dies zu beobachten sein. Wichtig dabei wird sein, dass sich die Politiker ernsthaft damit auseinandersetzen. Nahezu 100 Prozent der Bundestagsabgeordneten sind auf einer Social Media-Plattform angemeldet, aber maximal 20 Prozent davon nutzen diese richtig. Doch das wird sich entwickeln.
Bilder: oben: Master OSM 2011 (CC BY-NC-SA 2.0); Porträt: (C) Martin Fuchs
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