"It´s not a tent, it´s a sony"
Warum das Kulturforum in ungewohntem Glanz erstrahlt
Zu Beginn eine Legende: Als Mies van der Rohe Ende der sechziger Jahre zum ersten und einzigen Mal seine
Neue Nationalgalerie in Augenschein nahm, ließ er das Taxi, das ihn von Tempelhof zum Kulturforum am
Tiergarten gebracht hatte, vor dem gerade fertiggestellten Gebäude warten. Er stieg aus, blickte sich kurz um –
und kletterte wieder ins Taxi. "So sieht es hier also aus" soll er noch gesagt haben, bevor er dem Fahrer bedeutete,
ihn zurück zum Flughafen zu fahren.
Daß er sich nicht mehr Zeit nahm, um an dem neuen Museum zu verweilen, lag vielleicht daran, daß er in eine
der unwirtlichsten und unwirklichsten Gegenden Berlins geraten war: Philharmonie, Nationalgalerie und die
gleichzeitig fertiggestellte Staatsbibliothek standen am Rande des Nichts, grenzten an Brache, Mauer und
Todesstreifen. Obwohl dort die vielleicht schönsten Gebäude des Berlin der Nachkriegszeit zu finden waren,
hatten Besucher den Eindruck, daß dieses Stück Stadt keinen eigenen Ort bildete. Das Kulturforum wirkte lange
Jahre unabgeschlossen. Es sah, als ob jemand die drei Solitäre hier abgestellt – und dann einfach vergessen hätte.
Und das blieb so, bis der Mauerfall das Areal wieder in den Mittelpunkt Berlins rückte.
Auf einmal war das Kulturforum ein zentraler Ort der Stadt geworden. Doch die Aufmerksamkeit richtete sich
zunächst auf das, was in dieser Mitte nicht mehr zu finden war: Die Geschichte hatte Mauer und Todesstreifen
verschwinden lassen und mit dem Potsdamer Platz eine Brache ausgespuckt, die mit Erinnerungen an die
vergangene Herrlichkeit der zwanziger Jahre so schwanger war, daß sie viele Begehrlichkeiten gebar. Man
verlangte nichts geringeres als die Wiederbelebung dieses Mythos – und als kleines Extra sollte die Reanimation
gleich auch noch eine Neudefinition der Stadt an sich werden. Urban, weltoffen, zukünftig und dabei durchaus
berlintypisch sollte das Stadtquartier werden. Der neue Potsdamer Platz sollte eine Visitenkarte werden,
die Berlin der Welt zu überreichen gedachte.
Zunächst begeisterten sich alle – zumindest die, die nicht täglich aufs neue im Stau stehen mußten – für das
Chaos und die Lebendigkeit der größten Baustelle der Welt, wie man sie stolz nannte. Als dann aber die tiefen
Gruben und Löcher mit Beton gefüllt waren und alles fertig gebaut war, da war man enttäuscht: In der Mitte
Berlins standen einfach nur Häuser. Sie waren groß und manche auch schön – aber es waren bloß Häuser.
So empörte man sich redlich und nannte den neuen Potsdamer Platz introvertiert, den Bauteil Sonys, der noch
nicht einmal fertiggestellt war, sogar autistisch – und wandte sich verärgert ab.
Zwar wurden Pianos Spielbank und Musicaltheater mit Lob bedacht, denn man mußte einräumen, daß beide
Gebäude an der Rückseite der Staatsbibliothek deutlich in Form und Material Bezug auf den Bau Scharouns
nahmen. Aber wo war die neue Berliner Urbanität? Vor lauter Ärger vergaß man, einmal am Kulturforum
vorbeizuschauen. Schade. Denn ein Blick über das Gelände von Vorplatz der Neuen Nationalgalerie aus – das
Bild früherer Zeit noch im Gedächtnis – kann den Betrachter durchaus in Erstaunen versetzen. "So sieht das hier
also aus" wird er denken und sich dann etwas Entzückung zugestehen über die Schönheit des Stadtteils, der vor
ihm liegt. Die Ironie dabei ist, daß es gerade Jahns viel gescholtenes Sony-Center ist, der das Forum aus seinem
Dornröschenschlaf geweckt hat.
An seinem nordöstlichen Rand hinter Scharouns Philharmonie, wo das Kulturforum bisher ohne Gliederung ins
Nichts auslief, verwiesen erste Bäume zaghaft auf den Tiergarten, zu zaghaft um dem Forum eine Begrenzung zu
sein. Nun erhebt sich dort neuerdings eine gläserne Wand, in der sich Bäume und Philharmonie spiegeln. Es ist
die westliche Flanke des Sony-Centers. Die zwei Gebäudeteile entlang der Entlastungsstraße sind klar und
einfach gegliedert: Beide besitzen eine glatte Glasfront, die auf ein Stahlgerüst mit dünnen Streben gesetzt ist,
die das Glas trägt und gleichzeitig die Front unauffällig gliedert. Es ist diese Stahl-Glas-Konstruktion, wegen der
Jahns Gebäude wahlweise gerne als High-Tech-, Flughafen-, oder Kommerzarchitektur geschmäht wird. Allerdings
verkennen die Kritiker, daß die Wahl des Materials hier durchaus Sinn macht, weil es sich in einer einfachen
Klarheit auf seine Umgebung bezieht: Die Fassade nimmt Formen der Philharmonie nicht auf wie Pianos
Musicaltheater die Formen der Staatsbibliothek, sondern läßt das Gebäude Scharouns in seiner Spiegelung
selbst erscheinen und schließt so das Forum ab, ohne sich selbst in den Vordergrund der Aufmerksamkeit zu
spielen. Sie ist als Glasfront Abschluß des Forums und doch keine abweisende Mauer, die sich ihm unfreundlich
verschließen würde: Sie schneidet sich scharf in die Gegend ein, wirft das Bild der Umgebung zurück und läßt
doch gläsern mit der gleichen, begrenzenden Bewegung den Blick in ihr Inneres zu.
Auch das Zeltdach über der Mitte des Sony-Centers öffnet sich in seiner Architektursprache der Philharmonie:
Wie ein riesiger Regenschirm mit Flächen aus Glas und Zeltbahnen überspannt es mit der Grundfläche einer
Ellipse den Platz im Herzen des Centers. Da sein höchster Punkt sich nicht genau über der Mitte erhebt,
sondern leicht nach Osten verschoben ist, steigt es vom Forum aus gesehen langsam an. Das Zeltdach drängt
sich so weder auf, noch versucht es, die Philharmonie zu übertrumpfen. Und auf eine ganz einfache Weise wird
hier auf die Philharmonie Bezug genommen: Im Faltenwurf der Zeltbahnen erkennt man plötzlich die
geschwungenen Formen der Dachlandschaft Scharouns wieder.
Natürlich wirken die Ensembles von Sony und Debis wegen ihrer auf Effizienz ausgerichteten Struktur auch
wie Inseln, das soll nicht verschwiegen werden. Die Gebäude organisieren die Nutzung auf das Innere der Areale,
dort wo vollklimatisiert Geschäfte gemacht werden. Inseln findet man jedoch einige in Berlins zentralen Bezirken:
Im Osten steht man am Alexanderplatz in einer osteuropäischen Hauptstadt des Sozialismus, im Westen auf
dem Wittenbergplatz im vergessenen Berlin der achtziger Jahre. Am Prenzlauer Berg findet sich das beliebte
alte Straßenbild mit Blockrandbebauung und im Hansaviertel stehen die Architektur gewordenen Vorstellungen
von Stadt der 50er Jahre. Berlin ist viele Städte, das macht die neue Hauptstadt gerade aus.
Die Insel in seiner Mitte ist jedoch größer als die Neubauten am Potsdamer Platz: Mit Forum, Sony-Center und
dem Dächermeer des Debis-Areals, das fast chaotisch anmutend hinter der Staatsbibliothek hervorschaut, ist ein
neuer Ort entstanden, den Kultur und Konsum gemeinsam bilden. Während sich die Bauten der Kultur großzügig
in der Weite eines offenen Raums verteilen und dem Blick die Freiheit lassen, ausgiebig zu schweifen, gibt die
enge, platzausnutzende Bebauung des Potsdamer Platz den spektakulären Hintergrund: Das Zelt für den
Kommerzzirkus bei Sony und die bestversteckteste Shopping-Mall Deutschlands im Terracotta-Disneyland von
Debis. Über die Architektur eröffnet sich so ein Blick in unsere Zeit. Nicht nur die Gebäude der großen Firmen
ragen im Hintergrund des Kulturforums in den Himmel – sie stehen als Geldgeber auch im Hintergrund von
Ausstellungen und Konzerten, finanzieren die Kulturszene Berlins mit.
Der Vorwurf also, der neue Potsdamer Platz verschließe sich in seiner Architektur der Stadt, kann höflich vom
Tisch gefegt werden – und den Ungläubigen sei geraten, einmal mit dem Taxi zur Neuen Nationalgalerie zu
fahren, auszusteigen und mit etwas mehr Zeit als Mies van der Rohe vor 30 Jahren den Blick streifen zu lassen:
Das neue Herz der Stadt ist eine Insel, die das Berlin-Archipel bereichert.