Die politische Entscheidungslandschaft in puncto Neue Medien ändert inzwischen
beinahe tägliche ihre Gestalt, daran hat offenbar auch der Millennium-Bug nicht rütteln können. Dem jüngst nach Berlin
umgezogenen Organisationswirrwarr fügen sich mit schöner Regelmässigkeit neue Facetten hinzu – sowohl im
institutionellen Hauptstadtgefüge, das nach den Worten von Jörg Tauss fest in der Hand einer

baden-württembergischen SPD-Connection ist, wie auch
in der allmählich aufmüpfig werdenden Online-Gemeinde.

Seit Dezember ist der aus Bruchsal stammende Jörg Tauss
offiziell Beauftragter der Bundestagsfraktion für "Neue Medien" und
empfängt damit den symbolischen Lohn für seine Mühen, das Internet als
Thema auf die politische Tagesordnung zu setzen. Der
sozialdemokratische Online-Stratege wähnt mit dem parlamentarischen
Staatssekretär Siegmar Mosdorf (Esslingen) einen erfahrenen Gewährs- und nach dem Wechsel von Hans-Martin Bury (Bietigheim) ins Kanzleramt einen weiteren "Landsmann" an seiner digitalen Seite.

Auch auf Seiten der Opposition bewegt sich etwas: Martin Mayer
(Siegertsbrunn), Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag für
Bildung, Forschung, Kultur, Medien und Telekommunikation, hatte sich im
vergangenen Jahr als Wortführer bei der Großen Anfrage zur Informationsgesellschaft
hervorgetan, sucht bisweilen die parlamentarische Konfrontation mit der
baden-württembergischen Online-Riege und meldet offenbar Ansprüche auf
die Besetzung eines ähnlichen Expertenpostens an.

Ein
nicht unspannendes Aufeinandertreffen gerade dieser beiden
Multimediapolitiker ist seit einiger Zeit auf den Seiten der Initiative
"Internet ohne Taktung" (IOT) zu
beobachten. Der Berliner Student Philipp Sudholt hat mit dieser
Online-Kampagne für einen preisgünstigeren Netzzugang einen Stein ins
Rollen gebracht, der die Probleme und Defizite der deutschen
Multimediapolitik mustergültig einem breiteren Publikum vor Augen
führt. Die Initiative hat sich clever in das verworrene Netz aus
politischen Akteuren und Semi-Zuständigkeiten platziert und versucht,
die diversen Gremien gegeneinander auszuspielen – als Zielscheibe der
Online-Unterschriftensammlung nennt Sudholt explizit die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post.
Vorgeworfen wird der erst 1998 gegründeten Bundesbehörde eine verfehlte
Politik hinsichtlich der Rahmenbedingungen für den Wettbewerb auf dem
liberalisierten Telekommunikationsmarkt. Dieser vergleichsweise junge
politische Akteur, gewissermaßen als "Spin-Off" aus dem alten
Postministerium hervorgegangen, bekommt nun die Vielschichtigkeit
seines Aufgabenbereiches zu spüren. Die Online-Aktivisten beklagen das
Nichteinlösen des "Infrastrukturauftrags" der Behörde, die sich ins
Stammbuch geschrieben hat, "den Wettbewerb zu fördern und
flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen zu
gewährleisten." Ohne die Einrichtung von Pauschalpreisen für die Internet-Nutzung
könne dies jedoch nicht erfüllt werden und daher bestimmen die
"Einführung eines zeitlich nicht getakteten Zugangs zum Internet", die
"Zerschlagung des unglückseligen Kartells Kabelnetz und Telefonnetz"
sowie eine teilweise "Novellierung des Telekommunikationsgesetzes" den Forderungskatalog der IOT.

Bei
der Durchführung der Online-Kampagne setzt IOT recht geschickt auf die
Potenziale des dezentral organisierten Netzes, wie etwa ein
"Schneeball-Prinzip" zur Stimmensammlung – nicht nur auf der
IOT-Homepage können Unterstützungsbekundungen abgegeben werden, ein
kleiner HTML-Baukasten ermöglicht auch den Ausbau der eigenen Website
zur digitalen Sammelstelle. Wöchentlich werden die fünf erfolgreichsten
Unterschriftensammler mit der Aufnahme in eine Bestenliste auf der
IOT-Homepage belohnt. Philipp Sudholt betont im politik-digital-Interview
die Multiplikations- und Informationsmöglichkeiten des Internet: "Je
mehr Gelegenheiten man nutzt, um seine Listen zu präsentieren, desto
mehr Leute kann man erreichen und von seiner Argumentation überzeugen.
Wie bei einer Unterschriften-Sammlung in einer Fußgängerzone bieten wir
auch – nur einen Mausklick entfernt – ausführliche Möglichkeiten zur
Information über Fakten und Hintergründe." Die gewählte Form des
"Unterschriftenbanners" knüpft an die Tradition älterer
Online-Protestaktionen an, die meist noch eine klare Trennung zwischen
Sympathiebekundung mittels Protestschleife ("Ribbon") und Unterstützung
per E-Mail-Unterschrift einhielten.

Ein weiterer Mosaikstein der IOT-Strategie ist eine enge Zusammenarbeit mit dem unabhängigen Online-Magazin "T-Off",
das sich als informierende Bürgerinitiative versteht und mit einer
Vielzahl von Dokumentationen die "Probleme mit der Telekom- munikation"
(sic) begleitet. Die IOT-Website übernimmt dabei die Rolle eines
"Katalysators" und reicht die interessierten Onliner an die
Materialsammlung weiter. So geschehen auch im Falle der noch recht
zaghaften Bundestagsdiskussion um die "flat-rates" für den
Internet-Zugang. Die entsprechenden Auszüge aus dem Plenarprotokoll des Bundestages vom 1.12.1999
werden bei "T-Off" publiziert und mit weiterführenden Querverweisen
versehen. Dies ist an sich zwar ein eher unspektakuläres Vorgehen, das
allerdings dadurch an Bedeutung gewinnt, dass der Bundestag selbst die
Texte nur als Datenpaket zum Herunterladen anbietet. Digitale
Publikation und redaktionelle Nachbereitung können somit als gute
Beispiele für die vielzitierten Möglichkeiten zur Herstellung von
Transparenz via Internet gelten. Allerdings müssen offenbar engagierte
Bürgeriniativen den politischen Akteuren dabei ein wenig auf die
Sprünge helfen.

Solche
Aufklärungsarbeit zeitigt für die beteiligten Politiker allerdings
nicht unbedingt angenehme Folgen: Im Ping-Pong-Spiel der Websites macht
IOT aus dem Verlauf der Fragestunde dann sogleich den "Fall Mosdorf".
Die bislang ausbleibende Reaktion auf einen IOT-Brief an den
Parlamentarischen Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium wird
schnell als Enttäuschung gedeutet und liefert neues Wasser für die
virtuellen Aktionsmühlen. Allerdings könnte sich eine allzu schnell
steigende Einmischungsquote auch kontraproduktiv auswirken – nicht jede
Äusserung (oder Nicht-Äusserung) der Politiker ist einen digitalen
Aufschrei wert…

Das
kombinierte Engagement einer"aktivierenden" und einer
"dokumentierenden" Website hat inzwischen einen ansehlichen
Informationscocktail entstehen lassen. Die Vorgehensweise des
Kampagnen-Duos IOT/T-Off macht deutlich, wie sich Schnittstellen
zwischen informierter Netzgemeinde und einer offenbar immer stärker
sensiblisierten Politik ausbilden können. Ob allerdings ein direkter
kausaler Zusammenhang zwischen Netzaktion und materialer
Politikentscheidung hergestellt werden kann, wird sich spätestens dann
zeigen, wenn die "taktlosen" Netznutzer die Resultate ihrer
Sammlungsbewegung analogisieren und als Papierpaket zur
Regulierungsbehörde nach Bonn tragen. Es sind bereits 1000 Din
A4-Seiten bedruckt…