Professor Dr. Claus Leggewie, Professor für Politikwissenschaften und Experte für
neue Medien an der Justus-Liebig-Universität Gießen


politik-digital:
Warum gehen politisch aktive Menschen mit ihren Anliegen online?

Leggewie: Sofern sie denn wirklich Zugang zum Internet haben, was ja keineswegs
gang und gäbe ist, nutzen sie das Medium, weil sie mit ihm einfacher und kostengünstiger
kommunizieren können als über die gängigen Massenmedien. Außerdem bevorzugen sie das
Internet, weil seine Strukturen auf Interaktivität ausgelegt sind und Menschen sich in
digitalen Diskussionsforen direkt miteinander austauschen können. Man nennt das horizontale
Kommunikation.


politik-digital:
Wie intensiv nutzt die Bürgerbewegung das Internet?

Leggewie: De facto sehr wenig. Genutzt wird das Internet eher ergänzend zu
den bestehenden Medien. Auch die politischen Foren im Internet frequentieren meist
mehr jene Leute, die auch traditionelle Medien wie Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen
schon sehr intensiv nutzen. Surfen auf Spiegel-Online oder ZDF-Online dient also der
Gewinnung von Zusatzinfos, abgesehen vom Aktualitätsvorsprung. Eine ganz eigene Form
der politischen Kommunikation im Internet bietet dagegen der Chat, also das Plaudern
per Tastatur und die Diskussionsforen. Hier ist wirklich horizontale Kommunikation möglich.


politik-digital:
Wie denkt der typischen Netizen, der Netzbewohner, über Politik?

Leggewie: In den USA ist der typische Netizen eher libertär ausgerichtet. Offen für
Themen wie Umweltschutz und Bürgerrechte, aber eher staats- und parteienfern.


politik-digital:
Welche Strategie ist für Bürgerbewegungen im Internet erfolgversprechend?

Leggewie: Das kann man so pauschal nicht beantworten. Sicher ist, daß das Online-
Engagement eine Entsprechung außerhalb des Internet, also Offline haben muß.
Eine bloße Präsenz im Internet kann nicht ausreichen, um ein Anliegen durchzusetzen.


politik-digital:
Gibt es da Ausnahmen?

Leggewie: Ja, der Hochschulstreik in Deutschland im Jahre 97/98.
Dieser studentische Protest hat im wesentlichen über das Internet an Breite gewonnen.


politik-digital:
Kann das Internet die Macht des Establishments,
wie gerne die herrschenden Kräfte in Staat und Gesellschaft genannt werden,
über die Massenmedien brechen? Bricht mit der Vernetzung die weltweite Demokratisierung an?

Leggewie: Mit Sicherheit nicht! Eher hat sich schon das politische Establishment
des Internets bemächtigt. Softwareanbieter und Internet Provider bestimmen weitgehend
seine Strukturen. Dennoch war und bleibt das Internet ein Medium der oppositionellen
und der Gegenöffentlichkeit. Ich denke da an die serbische Opposition, die nicht erst
seit jetzt, sondern seit Jahren im Internet aktiv ist. Oder an die Demokratiebewegung
in China, die protestierenden Studenten im Iran, die sich über Zensur der staatlich
gelenkten Medien hinwegsetzen und so als eine Art digitale Bürgerbewegung Aufmerksamkeit
erlangen.


politik-digital:
Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview mit Prof. Claus Leggewie führte Achim Sawall.