lobbyismus_MerkelMit dem Lobbyradar erhalten User beim Surfen auf deutschen Nachrichtenseiten automatische Anzeigen über die Verbindungen zwischen Personen des politischen und öffentlichen Lebens und Organisationen. Die von ZDF heute gemeinsam mit dem Medieninnovationszentrum Babelsberg (MIZ) entwickelte Browsererweiterung wurde jüngst auf der re:publica vorgestellt.

Mehr als 5.000 Lobbyisten versuchen tagtäglich, die Entscheidungen von 600 Entscheidungsträgern in Berlin in ihrem Interesse zu beeinflussen. Mit selbst angefertigten Studien, Positionspapieren und in persönlichen Gesprächen wollen die Lobbyisten ihrem Standpunkt Gewicht verleihen. Vor allem große Unternehmen nehmen für diese Art der Einflussnahme viel Geld in die Hand – einer der Gründe dafür, dass Lobbying im öffentlichen Diskurs meist negativ behaftet ist. „Lobbyismus ist an sich nicht Schlechtes“ räumt der Journalist Dominik Wurnig ein, einer der Ideengeber des Lobbyradars. Doch es besteht die Gefahr, dass die Belange kleinerer Interessengruppen mit weniger Mitteln oder geringerer öffentlicher Aufmerksamkeit unter den Tisch fallen.

ZDF heute schrieb deshalb ein Projekt aus, um das Thema Lobbyismus anschaulich aufzuarbeiten. Wer hat Kontakte zu wem? Wer spendet wie viel? In welchen Vereinen, Stiftungen oder Unternehmen sitzen Politiker im Aufsichtsrat? So soll das vom ZDF entsprechend propagierte „Netzwerk der Macht“ sichtbar gemacht werden. Mit ihrem Konzept des Lobbyradars erhielten die drei Journalisten Dominik Wurnig, Jan Schneider und Michael Hartlep den Zuschlag.

Visualisierte Netzwerke der Macht

Hat man sich das Add-on heruntergeladen – was schnell und einfach funktioniert – markiert es Politiker und Interessenvertreter auf der jeweils aktuell geöffneten Seite. Geht man mit dem Mauszeiger über die Markierung, erscheint ein Pop-up, das die Verbindungen des Akteurs zu anderen Politikern, Parteien oder Interessenvertretern aufzeigt. Für weitere Informationen klickt man den Akteur im Pop-up an und wird zur Seite von Lobbyradar weitergeleitet.

Lobbyradar

Dort listet der Lobbyradar die Verbindungen nicht nur auf, sondern visualisiert sie mit einer interaktiven Grafik. Je mehr Verbindungen ein Akteur zur Politik besitzt, desto größer wird er dargestellt und desto näher befindet er sich am Zentrum der Karte – desto mehr Einfluss hat er also auch. Zusatzinformationen geben Aufschluss über Biografien und Nebentätigkeiten von Politikern oder Wirtschaftsvertretern, aber auch über Parteispenden von Unternehmen und Privatleuten.

Zur technischen Umsetzung bei der Erstellung der Datenbank hat man die Spezialisten von OpenDataCity hinzugezogen. Die Informationen, die die Datenjournalisten in einer Datenbank zusammengestellt haben, stammen von der Lobbyliste des Deutschen Bundestags, öffentlich abrufbaren Informationen über Parteispenden, den Webseiten der Abgeordneten sowie von bestehenden Datenbanken der Initiative LobbyControl sowie des Think Tank Directory Deutschland, dem Branchenbuch für Think Tanks. Überhaupt waren für die Realisierung des Projekts noch eine ganze Reihe weiterer Unternehmen notwendig. So programmierte die Berliner Firma wegewerk das Add-on, die Frankfurter Agentur dreimorgen war mit der Gestaltung der Webseite beauftragt.

Die Umsetzung ist trotz kleiner Mängel mehr als gelungen. Die interaktive Grafik vermittelt einen anschaulichen Eindruck über die Verflechtung von Politik und Interessenvertretern. Dabei sind die Informationen bewusst übersichtlich gehalten. Wer sich einen tieferen Einblick verschaffen will, kann auf weiterführende Links zurückgreifen. Auch kann jeder weitere Verbindungen melden, auf Fehler hinweisen und damit zum Wachstum der Datenbank beitragen. Durch die Offenlegung des Quellcodes des Add-ons laden die Entwickler außerdem die Crowd ein, weitere Entwicklungsschritte selbst in die Hand zu nehmen.

Doch das Projekt offenbart auch Schwächen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist die Datenbank nur auf Mitglieder des Deutschen Bundestags begrenzt. Sucht man nach dem Präsidenten des Europäischen Parlaments Martin Schulz – immerhin kürzlich wieder als möglicher Kanzlerkandidat der SPD gehandelt – landet man lediglich einen Treffer für den Vorsitzenden der Deutschen Arzneimittelkommission gleichen Namens.

Nächster Schritt: Europa?

Bei der Präsentation von Lobbyradar auf der re:publica15 äußerte sich Hubert Krech, Projektleiter beim ZDF, auch zu diesem Thema: „Es gibt einige interessante Ideen, wie wir den Lobbyradar weiterentwickeln. Europa ist eine davon“.

Bisher ist der Lobbyradar auch nur für Browser verfügbar. Bei der Benutzung von Nachrichten-Apps auf mobilen Geräten sind diese Informationen also gar nicht abrufbar. Für das Mobile-Format müsste jedoch auch die Visualisierung komplett überarbeitet werden. Dem hat Felix Feierabend von dreimorgen vorerst eine Absage erteilt: „Wir haben uns bewusst für eine Umsetzung im Browser entschieden. Webbrowser werden immer genutzt werden“. Auch die weitere Pflege und Erweiterung der Datenbank wird nicht ganz einfach. Viele Informationen müssen mühsam per Hand abgeglichen und aktualisiert werden.

Die ausnahmslos positive Resonanz auf der re:publica15 hat jedoch gezeigt: Lobbyradar ist ein gelungener und innovativer Beitrag, das Thema Lobbyismus stärker in das Bewusstsein der Bürger zu rücken. Dabei hat man bewusst darauf verzichtet, Lobbyismus pauschal zu dämonisieren. Wer mit Hilfe des Add-ons nach Skandalen sucht, wird sich also enttäuscht sehen. Zum Recherchieren und Weiterforschen lädt die Grafik jedoch allemal ein.

 

Bilder: Samsung Tomorrow; Screenshot von lobbyradar.zdf.de

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