Von Gewinnern und Verlierern: E-Procurement ist für Professor Priddat,
Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaft und Philosophie an der
Uni Witten-Herdecke, ein zentraler Baustein zum political management. In klaren und verständlichen Worten geht er auf das Verhältnis von Staat, Politik und den Bürgerinnen ein. politik-digital hat mit Prof. Birger Priddat
gesprochen.

politik-digital: Ist der Bereich der Online-Beschaffung der öffentlichen Hand eine vernachlässigte Komponente des E-Government? Wenn ja warum?

Prof. Priddat: Ja. Weil er nicht allein die Verwaltung, sondern die Schnittstelle Verwaltung/Markt betrifft: eine brisante Stelle. Es geht um erhebliche Ausgabereduktionen bei effizienter Beschaffung: weltweit gibt es Erfahrungen von 10 – 30 Prozent Einsparungen.

politik-digital: Sind die Anstrengungen der Regierung zur Förderung von E-Procurement ausreichend oder was müsste noch gemacht werden?

Prof. Priddat: So wichtig die Anstrengungen der Regierung sind, so sehr müßten sie noch verstärkt werden: Beispielsweise müßten klare Aufhebungen kartellrechtlicher Restriktionen eingeführt werden, um z.B. Einkaufsgemeinschaften in den Ländern und länderübergreifend zu gestatten. Wenn es um Effizienz geht, dürfen die förderativen Strukturen keine künstlichen Barrieren bilden. Nicht regionale, sondern wirtschaftliche Standards könnten gefördert werden, so daß sich z.B. Kommunen aus allen Ländern, die beispielsweise Feuerwehrautos kaufen wollen, zu einer virtuellen Nachfragekommune zusammenschließen. So wären völlig neue Verhandlungen mit den potentiellen Anbietern möglich, die zu erheblichen Preisnachlässen führen werden.

politik-digital: Besteht die Gefahr, dass vielfältige Pilotprojekte des Bundes zu einer Wettbewerbsverzerrung führen und innovativen Wettbewerb um überlegene Lösungen einschränkt? Besonders für kleinere- und mittlere Unternehmen (KMU)?

Prof. Priddat: Vielfalt ist eine Wettbewerbsvoraussetzung. Wieso Verzerrung? Es ist lediglich darauf zu achten, daß die Konkurrenzarenen groß sind: eben europäisch, wie es sowieso vorgeschrieben ist bei höherwertigen Ausschreibungen. Es geht gegen den überall in der staatlichen Beschaffung gepflegten Lokalpatriotismus. Die KMU haben nicht automatisch Nachteile, wenn neue Mitbewerber jetzt erst überhaupt ins Spiel kommen. Es wäre ja gelogen, zu behaupten, daß gegenwärtig im lokalen Bereich wettbewerbsgerechte Zugänge bestehen. Es gibt Bevorzugungen von bestimmten KMU, aber auch Benachteiligungen für andere KMU. Der durch E-Procurement eingeführte Wettbewerb sortiert das alles neu. Vor allem stellt sich mir die Frage, warum sollte man KMU unterstützten, die sowieso nicht wettbewerbsfähig sind? Denn dann würde man ja eigentlich subventionieren. Aber ist die Beschaffung ein Instrument der Subventionspolitik? Natürlich nicht.

politik-digital: Werden in Zukunft weitere Ausgründungen/Outsourcing von marktfähigen Leistungsangeboten auf allen Verwaltungsebenen zu beobachten sein und wäre das sinnvoll?

Prof. Priddat: Wahrscheinlich. Ob es sinnvoll ist, hängt davon ab, welche Qualitätsgewährleistungen Ausgründungen für die Bereitstellung öffentlicher Güter bieten. Auch kommt es erstens darauf an, welche Verträge geschlossen sind, zweitens, welche Supervisionsmacht der Staat/die Kommune hat und drittens, mit welchen Sanktionsmitteln. Der Staat bzw. die Kommunen können sich den hohen Verwaltungsgrad nicht mehr leisten; sie müssen outsourcen und Leistungen von außen ankaufen. Die Personalkosten und Pensionen laufen sonst davon und blockieren die Haushalte.

politik-digital: Sie schreiben, E-Government bekomme eine “ökonomische Dimension”. Was verstehen sie darunter?

Prof. Priddat: Ganz einfach: Verwaltungsmaßnahmen werden ökonomisch und nach Kosten/Nutzen-Unterschieden bewertet. E-Government ist nicht nur ein neues Verwaltungsdesign, sondern ein ökonomisches Verwaltungsdesign. Es wird eine Zwischenstufe zum “political management”, das öffentliche Aufgaben nach optimaler Leistungsdurchführung evaluiert.

politik-digital: E-Procurement steigere die Transparenz. Ist es auch ein Instrument zur Korruptionsbekämpfung bzw. zur Aufdeckung illegitimer Absprachen? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) sieht da keinen Zusammenhang.

Prof. Priddat: Das BMWi muß natürlich vorsichtig sein, um keine Pauschalunterstellungen zu produzieren und um die Einführung von E-Government zu motivieren. Dennoch haben wir natürlich Korruptionsanmutungen auch in der deutschen Verwaltung, mit zum Teil erheblicher Energie und Dimension. Wenn die Politik, wie beim CDU Spendenskandal und beim SPD Spendenskandal in Nordrhein-Westfalen aktuell, es vormacht, sinken die Schamgrenzen auch der Verwaltung. Geben wir uns keinen Illusionen hin: In einer Gesellschaft, in der Steuerhinterziehung allgemeingültig ist, sind kleine Geschenke, die die Freundschaft erhalten, kein Tabu mehr. E-Procurement ist ein Instrument antikorruptionaler Art, weil es Transparenz erzeugt und legitimieren lassen muß, warum welche Geschäfte gemacht werden. Die Geschäftsabschlüsse würden öffentlich abgebildet, idealerweise auf der Homepage der Kommunen, am besten noch im Angebotsvergleich mit Offenlegung aller Angebotsdaten der entsprechenden Firmen. Um so schwieriger wäre es für die Beschaffer, korruptive Geschäfte durchzuziehen. Die demokratische Öffentlichkeit hat natürlich ein Recht, zu beobachten, wie die Verwaltung, die ja in ihrem Auftrag arbeitet, mit den Steuergeldern umgeht. Wer sich hier gegenstellt, muß sich fragen lassen, warum er in einer Demokratie nicht mit offenen Karten spielen will. Die Demokratie ist dort, wo sie öffentliche Güter erstellt, eine große AG, an der die Bürger als Anteilseigner (shareholders) beteiligt sind. Sie wollen natürlich wissen, wofür ihre Steuern ausgegeben werden, und mit welchem Effizienzgrad. Die Verwaltung ist die Verwaltung der Bürger, also auskunftspflichtig und sanktionierbar, wenn sie Fehler macht. E-Government erhöht den Durchblick.

politik-digital: Ist E-Procurement auch ein Instrument zur Vermeidung von überteuerten Beschaffungsmaßnahmen?

Prof. Priddat: Ja. Wenn man alle Angebote ins Internet stellt, zeigt sich, welche Differenzen ins Spiel kommen. Jede teuere Lösung muß politisch von der Verwaltung gerechtfertigt werden. Es gibt ja manchmal tatsächlich Gründe dafür. Aber es geht darum, das zu erklären, und sich zu verteidigen, wenn man teuere Lösungen bevorzugt. Anbieter sollten auch begründen, warum sie so teuer sind, welches Preis/Leistungsverhältnis sie anbieten, welche Qualitäten und Gewährleistungen. Jeder Supermarkt zeichnet seine Preise aus; das wird jetzt im Internet für jedes Beschaffungsobjekt ebenso getan. Denn es soll ausgeschlossen werden, daß teuere Lösungen Korruptionskosten enthalten. Die Beschaffer stehen fortan im Licht der Öffentlichkeit, die sie nicht scheuen brauchen, wenn sie redlich arbeiten. Jeder, der sich nicht beobachten lassen will, muß sich fragen lassen, warum. Die Beschaffer realisieren immer Gemeinwohl. Sie müssen zeigen, daß sie für die Bürger das Optimum herausholen.

politik-digital: Deutschland wird für seine geringe grenzüberschreitende Ausschreibungspraxis kritisiert? Wird dieser Aspekt ausreichend berücksichtigt im Projekt E-Vergabe?

Prof. Priddat: Nein. Natürlich müßten wir europäische Ausschreibungen veranlassen, bleiben aber in einer Art von nationaler Schutzzone, weil wir meinen, unsere Wirtschaft bevorzugen zu müssen. Die Subventionen, die wir faktisch wegen der wettbewerbsfremden höheren Preise erreichen, etwa aus Gründen der Arbeitsplatzerhaltung, zahlen aber nicht die beamteten Beschaffer, sondern die Bürger. Jede Klüngelwirtschaft ist teuerer als eine Marktwirtschaft. Beschaffung, die nicht nach Marktregeln läuft, erzeugt volkswirtschaftliche Kosten. Und warum sollen nationale/lokale Unternehmen bevorzugt werden, wenn sie teuerer sind als andere? Wieder läuft es oft darauf hin hinaus, ineffiziente Unternehmen staatlich/kommunal zu subventionieren. Das ist aber nicht der Beschaffungsauftrag. Beschaffung ist keine Form von Wirtschaftspolitik, sondern effizienter Einkauf. Die Verwaltung ist von unserer Verfassung nicht beauftragt, Politik zu machen.

politik-digital: Wird der Aspekt der Nachhaltigkeit (soziale, ökologische, ökonomische) öffentlicher Beschaffungsmassnahmen ausreichend berücksichtigt?

Prof. Priddat: Vorsicht. Was heißt das? Hier werden viele schöne Begriffe aufgefahren, die nicht den Kern der Aufgabe treffen: Reduktion der Staatskosten, potentielle Minderung der Steuerlast. E-Procurement ist nicht nur eine geänderte Verwaltungsaufgabe, sondern eine eminent politische Aufgabe, deren Ziel es sein muss, die Staatsquote mit senken zu helfen. Ökologische Aspekte sollen natürlich immer mitgedacht werden. Vorsicht aber bei der Einführung der Warnlampe “soziale Aspekte”, die in Deutschland oft blockierende Wirkung hat. Es ist bereits sozial, wenn der Staat seine Verwaltung anweisen kann, weniger Kosten zu erzeugen, weil er dann Mittel hat, die er für andere Aufgaben einsetzen kann.

politik-digital: Wie ist ihre Meinung zu umgekehrten Online-Auktionen (reverse auctions)? Darf die öffentliche Beschaffung solche Auktionen durchführen bzw teilnehmen?

Prof. Priddat: Rechtlich sind sie nicht zugelassen und zudem umstritten. Ökonomisch sind sie natürlich effizient. Wahrscheinlich muß man Kompromißformen finden, die aber über die jetzige Praxis hinausgehen. Wenn die us-amerikanischen und eurpäischen Erfahrungen zeigen, daß man durchschnittlich die Preisnachlässe, Rabatte etc. bekommen kann, die in der Wirtschaft im B2B üblich sind, wäre das eine erhebliche Entlastung öffentlicher Haushalte, die sich die Politik gar nicht nehmen lassen darf. E-Government und besonders E-Procurement steht im Interesse der Politik, nicht von vorn herein der Verwaltung selbst, die ihre Eigenheiten immer behalten und gegen die Politik verteidigen will. Aber wir haben solch erhebliche Kostenprobleme, daß wir gar keine andere Wahl haben, als E-Procurement einzuführen.

politik-digital: Was wünschen sie sich von der Bundesregierung, um das Thema E-Procurement weiter zu fördern?

Prof. Priddat: Mehr Information, mehr Marketing, und eine intelligente Lösung für das Problem, wie Kommunen, die kurz vorm finianziellen Aus stehen, die relativ teuren E-Governmemt-Lösungen für sich finanziert bekommen. Vielleicht eine private/public-Partnerschaft mit einer großen Bank. Ein Großteil des Erfolges der Bundesregierung wird davon abhängen, wie man finanzschwache Kommunen in ihren E-Government-Investitionen beispringt.

politik-digital: Vielen Dank für die Antworten!

Erschienen am 10.05.2002