Finden die drei nördlichen Bundesländer zu einer gemeinsamen eGovernment-Strategie? Auf einem gut besuchten Kongress wurden Möglichkeiten und Realisierungschancen diskutiert.

Ein Mann lebt in Lüneburg (Niedersachsen), arbeitet in Hamburg und verliebt sich dort in eine Kollegin, die in Bargteheide (Schleswig-Holstein) wohnt. Aus dem Team wird ein Paar, das dann in Lüneburg heiratet und dort in eine gemeinsame Wohnung zieht. Nach einer gewissen Zeit scheitert die Ehe und es kommt zur Scheidung vor einem Lüneburger Amtsgericht. Während sich der Mann von einem befreundeten Hamburger Anwalt vertreten lässt, findet die Frau bei ihrem Vater anwaltlichen Beistand, der in Bargteheide eine Kanzlei unterhält.

Man kann sich leicht vorstellen, dass sich aus dieser “Lebenslage” ein nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand ergibt und zwar über die Grenzen der beteiligten Nordländer hinweg. Dies ist freilich auch der Sinn des Szenarios, mit dem Prof. Dr. Groß, Leiter des Lüneburger Instituts für interaktive Medien (iam) und Gastgeber der Konferenz ”
Digitaler Nordstaat“, die Notwendigkeit einer Bundesländer übergreifenden eGovernment-Strategie verdeutlichte.

Dass dies ein im Grunde anstrebenswertes Ziel ist, bezeugten die zahlreichen prominenten Teilnehmer eigentlich schon mit ihrer Anwesenheit: Der Niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, Hamburgs Finanzsenator Dr. Wolfgang Peiner, Ulrike Wolff-Gebhardt, Chefin der Staatskanzlei in Schleswig-Holstein – das Thema eGovernment scheint in der politischen Arena deutlich an Bedeutung gewonnen zu haben.

Wie profitiert der Bürger?

Auch “die Wirtschaft” war mit dem Vorstandsvorsitzenden der
Norddeutsche Affenerie AG und des
Hamburger Industrieverbandes, Dr. Werner Marnette, prominent repräsentiertvertreten.

Aber “wie profitiert der Bürger?” – auf diese Frage versuchte Prof. Groß in seinem Eröffnungsvortrag eine passende Antwort zu finden. Vor allem dadurch, dass er sich deutlich weniger physisch zwischen den verschiedenen zuständigen und beauftragten Stellen hin und her bewegen muss, weniger Schriftstücke zu versenden und zu empfangen hat und von einem insgesamt beschleunigten und transparenteren Verfahren.

Vielleicht können sich Eheleute künftig sogar komplett online scheiden lassen und dabei gleich noch die Anwälte sparen. In den USA geht das mit Hilfe spezieller Serviceanbieter wie DivorceWizard.com schon heute und selbst für die Schlichtung scheidungstypischer Konflikte muss dort niemand mehr ein Fuß vor die Tür setzen: OurDivorceAgreement.com bietet die entsprechenden “mediation-services” per “online audio”, Tele- oder Videokonferenz.

Damit wir auch in (Nord-) Deutschland in den Genuss dieser und ähnlicher Vorzüge kommen, bedürfe es aber einer top-down Strategie, um kostenträchtige Insellösungen zu vermeiden, die letztlich in die digitale Sackgasse führten:. “Politik, Organisation, Technik”, beschwor Groß den idealen Weg in die digitale Zukunft.

Top-down oder Buttom-up?

Schließlich seien schon enorme Summen vergeudet worden, in dem buttom-up aufwendige Lösungen realisiert wurden, die sich dann als nicht anschlussfähig erwiesen hätten. eGovernment müsse endlich zur Chefsache werden. “Können Sie sich vorstellen, dass Daimler-Benz oder Siemens Millionen Euro verschw…” – “Ja…” hallte es vielstimmig aus dem Auditorium zurück.

Bereits Dr. Peiner hat in seinem Vortrag darauf hingewiesen, dass Politik und Verwaltung durchaus gut beraten waren, zunächst in kleinem Maßstab mit digitalen Lösungen zu experimentieren. In der Wirtschaft habe es sich gerade als kostspieliger Fehler erwiesen, dass Onlineservices vorschnell zur Chesache gemacht wurden und sich die entsprechenden Strategien nicht bewährt haben.

Dies wurde von Dr. Marnette aus eigener Erfahrung bestätigt: “Ein reiner top-down Ansatz wird weder den mit der Informationstechnologie verbundenen Problemen, noch den Mitarbeitern gerecht.” So musste sich Prof. Groß in der Podiumsdiskussion von Moderator Herbert Schalthoff (Hamburg1) fragen lassen, ob er einem vielleicht etwas antiquiertem Politik- und Verwaltungsbild nachhänge.

Andererseits wurden auch die Risiken von Insellösungen und die Bedeutung einheitlicher Standards letztlich von keinem Diskussionsteilnehmer bestritten. Man konnte sich schließlich darauf einigen, dass Leitbilder von der Führungsebene vorgegeben werden müssen und die konkrete Ausbuchstabierung unter Einbeziehung aller Ebenen erfolgen sollte.

Wo ist oben?

Aber wo ist in einer föderalen Demokratie, in der die kommunale Selbstverwaltung in der Verfassung festgeschrieben ist, eigentlich “oben” und wo ist “unten”? Diese Frage wurde von Dr. Gamel Moukabary gestellt, Leiter der Public-Private-Partnership ”
Digitales Ruhrgebiet“.

Wenn das Land (hier: NRW) bestimmte Vorgaben beschließt, interessiere das den Bürgermeister einer bestimmten Gemeinde unter Umständen wenig. Im Zweifel lande man vor dem Bundesverfassungsgericht.

Um dies zu vermeiden, muss Überzeugungsarbeit geleistet werden, die sich vor allem auf zwei Argumente stützen kann: Kostenersparnis durch Effizienzsteigerung und zusätzliche Einnahmen durch die Erschließung neuer Geschäftsfelder. Beides verdeutlichte Moukabary am Beispiel der Digitalisierung der Melderegisterauskunft. Während durch die automatisierte Abfrage dieser Daten die Kosten deutlich gesenkt werden können, kommen durch die erheblich beschleunigte Bearbeitung der Anfragen neue Kunden in Betracht, wie beispielsweise Online-Shops. Durch die Bearbeitungszeiten von bis zu vier Wochen konnte diese Zielgruppe die Daten bisher nicht nutzen.

Darüber hinaus sei aber allein die Existenz einer eGovernmentstrategieeGovernment-Strategie und deren konsequente Umsetzung durch eine leistungsfähige PPP für ein Flächenland wie NRW ein beträchtlicher Standortvorteil. Bereits jetzt seien Neuansiedlungen von IT-Unternehmen aufgrund dieser Strategie nachweisbar, berichtete Moukabary nicht ohne Stolz. So verwundert es dann auch nicht, dass dieses Projekt soeben mit dem PPP-Award der I
nitiative D21 ausgezeichnet wurde .

Große Ziele, kleine Schritte

Das lenkte den Blick zurück auf den “Digitalen Nordstaat” und die Frage, was es denn bisher schon an vorzeigbaren Projekten gibt. Wolff-Gebhardt und Peiner konnten immerhin auf einige positive Ansätze verweisen. So beschäftigt sich in der Hamburger Finanzbehörde ein eigenes Projekt mit dem Thema eGovernment und es wurde ein detaillierter Fahrplan ausgearbeitet, nach dem die schon jetzt auf dem Stadtportal
hamburg.de verfügbaren Behördenangebote systematisch ausgebaut werden sollen.

Für die Metropolregion Hamburg, die auch Teile Schleswig-Holsteins und Niedersachsens umfasst, wird gegenwärtig eine Machbarkeitsstudie erstellt. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Frage, wie die elektronische An- und Abmeldung über die Ländergrenzen hinweg realisiert werden kann. Darüber hinaus werden derzeit die IuK Dienstleister von Hamburg und Schleswig-Holstein unter dem Namen “dataport” zusammengelegt und die Statistischen Landesämter fusioniert.

Christian Wulff beklagte allerdings, dass sich in den letzten Jahren vor allem bilaterale Kooperationen zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg sowie zwischen Niedersachsen und Bremen (warum war Bremen eigentlich nicht vertreten?) positiv entwickelt hätten. Die Zusammenarbeit zwischen den nördlichen Bundesländern insgesamt habe indes kaum Fortschritte gemacht. Der Ministerpräsident bekundete bei dieser Gelegenheit sogleich das Interesse Niedersachsens, das eigene Statistische Landesamt in die Fusion mit einzubringen und bat um eine entsprechende Öffnungsklausel.

Nun hat die Fusion von Ämtern erst einmal wenig mit einem gemeinsamen eGovernmentkonzept zu tun – bestenfalls werden damit günstigere Voraussetzungen für dessen Umsetzung geschaffen. Schon eher erinnert das an die alte und immer wieder auftauchende Forderung nach einer politischen Zusammenlegung der drei nördlichen Bundesländer. Diese Diskussion wollte man aber auf dem Kongress gerade nicht führen, wie allseits betont wurde. Deshalb habe man sich extra dafür entschieden, den “Digitalen Nordstaat” in Anführungszeichen zu setzten.

Schließlich kommt mit der Apostrophierung auch zum Ausdruck, dass es den Nordstaat bisher nicht gibt, weder real noch digital. Der Weg zum integrierten eGovernment ist noch weit, aber wie Wolff-Gebhardt anmerkte, “haben auch Zwerge mal klein angefangen”.

Erschienen am 12.06.2003