Den eCommunity Award für Konzepte zur Bürgerbeteiligung gewinnt Münster. Die übrigen drei Preise gehen nach Ostdeutschland. Macht Nachholbedarf kreativ?

Deutschlands Kreise, Städte und Gemeinden forderte Innenminister Otto Schily im Juli vergangenen Jahres dazu auf, sich an dem mit 100.000 Euro dotierten
Bundeswettbewerb “eCommunity” zu beteiligen. Aus 62 eingegangenen Konzepten für mehr Bürgerbeteiligung via Internet hat die Experten-Jury die drei besten ausgewählt.

Münster konnte sich bei der hochrangigen Jury mit dem Bürgernetz klar gegen Parchim und Schwerin durchsetzen. Vollkommen überrascht seien die Mitarbeiter des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom großen Echo gewesen, das der Wettbewerb hervorgerufen hatte, verriet Staatssekretär Göttrik Wewer. “Insgesamt mehr als zwölf Millionen Bürgerinnen und Bürger leben in den 62 Kommunen, die sich mit Konzepten beteiligt haben.” Parteinahme zugunsten ostdeutscher Bewerber wollte Christa Maar, Präsidentin der Burda-Akademie zum dritten Jahrtausend, nicht gelten lassen: “Bei den alten Bundesländern wurden die meisten Web-Auftritte schon Mitte der Neunziger konzipiert. Die haben nicht mehr so hohen Nachholbedarf. Die große Kreativität aus den neuen Bundesländern liegt wohl an der Neuheit des Webs.”

Demokratische Beteiligung vor Ort

Das Ziel für den Wettbewerb war klar umrissen. eCommunity steht für die demokratische Beteiligung vor Ort. Die eingereichten Konzepte mussten zuallererst dem Bürger via Internet die Teilhabe an kommunalpolitischen Prozessen ermöglichen. “Das Internet”, so Christa Maar, “bietet im Gegensatz zu anderen Medien die Möglichkeit, die Menschen direkt anzusprechen und sie tatsächlich an Entscheidungsprozessen zu beteiligen.” Über das Hauptkriterium demokratischer Teilhabe einigte sich die Jury auf zusätzliche Bewertungsansätze. So musste den Konzepten ein konkretes Ziel und ein realistischer Zeitrahmen nebst Finanzierungsplan zugrunde liegen. Wichtig nahmen die Juroren die Frage der Zielführung mittels vorgesehener Beteiligungswerkzeuge, wie etwa Chats, Foren, Abstimmungen oder Beschwerdenmanagement; und auch, inwieweit die aktive bürgerliche Beteiligung an kommunalen Entscheidungsprozessen in den Konzepten verankert wurde. “Leere” Dienste, die bloß passive Transparenz in Entscheidungsprozesse bringen, wurden somit rasch entlarvt. Den letzten Ausschlag gab schließlich die Nachhaltigkeit der Idee und ihre Übertragbarkeit auf andere Kommunen.

Revolution in der kommunalen Freiwilligenarbeit

Satte 50.000 Euro Preisgeld konnten die Sieger aus Münster einstreichen. Mit dieser Anschubfinanzierung sollte der Realisierung ihres ehrgeizigen Projekts nichts mehr im Weg stehen. Ihr wegweisendes “Bürgernetz”-Konzept hat die Jury von Beginn an für sich eingenommen. Und das zurecht. Die Idee der kreativen Westfalen: ein Bürgerportal für ehrenamtliches Engagement in Form einer Freiwilligenagentur im Internet. Hier sollen Informationen und Angebote zu freiwilliger Bürgerarbeit zusammenfließen. Die Bürger können dann auf dieser Online-Börse Ehrenämter anbieten bzw. nachfragen. Schon jetzt zeichnet sich das
Bürgernetz durch ein riesiges Serviceangebot mit einfacher Navigation aus. Finanzamt-Online, Angebote für Frauen, Kinderbetreuung, Behinderte, wie auch Bringdienste runden den gelungenen Web-Auftritt der Viertelmillionenstadt ab.

Nachhaltigkeit und Bürgerbeteiligung zählt


BMI-Staatssekretär Göttrik Wewer: “Die meisten der eingereichten Konzepte zielen auf die Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an demokratischen Prozessen. Wohlgemerkt an Prozessen, nicht nur an der finalen Entscheidung.” Diese Entscheidung durch gewählte Repräsentanten stelle zwar ein zentrales Element der Demokratie dar, “aber Demokratie beginnt früher, nämlich bereits bei der entscheidungsvorbereitenden Kommunikation.”

Eine ungewöhnliche Entwicklung zeigt ein Blick auf die Statistik der Wettbewerber. 20 Konzepte stammen aus Kommunen mit weniger als 50.000 Einwohnern, weitere 16 aus Städten mit weniger als einer viertelmillion Bürgern. Nur vier Städte mit mehr als 250.000 (Hamburg, Köln, Düsseldorf, Magdeburg) beteiligten sich am eCommunity Award. Akzeptanz, Engagement und die Innovationsfreude in kleineren Kommunen lassen hier einen erfreulichen Trend in Sachen interaktiver Bürgerbeteiligung erkennen. Jurymitglied Christoph Dowe, Geschäftsführer von politik-digital.de: “Vor allem die Nachhaltigkeit der zu beurteilenden Konzepte war uns wichtig. So hoffen wir, gerade mit der Auszeichnung des Münsteraner Bürgernetzes ein Zeichen gesetzt zu haben, ein mehr an Bürgerbeteiligung in den einzelnen Kommunen zu wagen. Der Erfolg solcher Konzepte wird erst durch die aktive Teilnahme der Bürger messbar. Demzufolge stehen die Gemeinden auch in der Pflicht, ihre Serviceangebote kontinuierlich zu kommunizieren und zu modifizieren.”

Partizipationsmanagement: Mitsprache bei der Stadtentwicklung

Und so empfahl sich für den zweiten Platz samt 30.000 Euro Preisgeld Parchim mit seinem Konzept zum “Partizipationsmanagement”. Die 20.000-Seelen-Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern setzt auf Konsens im Ratschlagverfahren. Parchims Bürger sollen künftig aktiv an der innerstädtischen Entwicklung beteiligt werden. Politik, Wirtschaft und Bürger wollen hier gemeinsam ein tragfähiges Konzept zur Entwicklung der Innenstadt als Einkaufs- und Erlebnisstadt erarbeiten. Pluspunkt: Der avisierte Abstimmungsprozess sieht eine echte Beteiligung der Bürger an den zu treffenden kommunalpolitischen Entscheidungen vor. Christa Maar: “Das Projekt kombiniert beispielhaft unterschiedliche Beteiligungsverfahren: ein schwedisches Ratschlagverfahren, die Zukunftswerkstatt von Robert Jungk und das versammlungstechnische Verfahren Open Space aus den USA.” Gerade dem nachlassenden Interesse der Bürger an städtischer Entwicklung zollt dieses Projekt Tribut. Das Pilotprojekt muss seine Funktionsfähigkeit allerdings erst noch unter Beweis stellen.

Die “aktivierende Kommune”

Der Jugendserver Schwerin landete auf dem dritten Platz mit seiner Idee eines offenen Netzwerks. Die geplante Internetplattform soll Eigeninitiative fördern, Ratsuchenden helfen und Kontakte vermitteln. Die Macher verstehen Schwerin als “aktivierende Kommune” und stellen notwendige Module zur Verfügung. Die Verantwortung für die Updates sind getrennt. Sie liegt für alles, was mit News, Reportagen, Partytipps etc. bei den Jugendlichen selbst. Daneben werden Informationen von den zuständigen Institutionen eingestellt. Ein Prinzip, das ein Umdenken in Politikgestaltung und -vermittlung und eine Öffnung für die Erfordernisse und Chancen neuer Medien voraussetzt.

Außerdem haben die Juroren einen Sonderpreis über 5.000 Euro an Zossen verliehen. Der brandenburgische 6.800-Einwohner-Ort tritt damit ins kommunale Internetzeitalter ein. Die Jury war mit dem Antragsteller einer Meinung, dass allein die Art und Weise, wie diese Gemeinde ihren Internet-Auftritt plant, “ein Ausdruck erlebter Demokratie ist. Zur Vorbereitung der Website”, so Christa Maar, “arbeiten Jugendliche und Erwachsene ehrenamtlich in einer Projektgruppe, um die Interessen möglichst vieler Bürger und Gruppen im Zossen.net zu berücksichtigen. Mir persönlich gefällt am besten, dass im besonderen Maße auch an die Zukunftsperspektive der Jugend und das Vernetzen von Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Bildung gedacht wurde.”

eCommunity muss reizvoller werden

Damit die eCommunity tatsächlich einen demokratischen Mehrwert “erwirtschaften” kann, müssen sich die Bürger natürlich beteiligen, Services nutzen und Mitsprache kontinuierlich einfordern. Demokratie muss mit der Zeit gehen, um lebendig zu bleiben. IT und Internet erlauben völlig neue Beteiligungformen. Staatssekretär Wewer: “Sie erleichtern es vielen Bürgern, für die eine Parteimitgliedschaft oder Verbandszugehörigkeit nicht attraktiv ist, am politischen Leben teilzunehmen.” Gerade weil Deutschland im europäischen Vergleich noch eher zu den
Nachzüglern im eGovernment gehört, erwächst daraus auch eine Chance. Aus ernüchternden
Erfahrungen in Großbritannien über die Nutzung des eGovernment könnte man lernen In Großbritannien wurde zum einen das mangelhafte Online-Angebot der Websites angeprangert. Zudem erreichte das Angebot die Bürger noch nicht

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In der eCommunity müssen daher Anreize zur Nutzung geschaffen und das Online-Serviceangebot verlässlich ausgebaut werden. Viele Studien bestätigen zwar, dass sich die Bürger gerne Informationen aus dem Netz beschaffen, den Schritt zum eService machen dann allerdings nur wenige. Kommunen garantieren Demokratie von unten und wie die Beteiligung am Wettbewerb zeigte, stehen die Städte und Gemeinden zu dieser Verantwortung. Projekte, wie der „eCommunity award“ des BMI können erst der Anfang sein. Gerade von der obersten Verwaltungsebene müssen die Impulse zu mehr Nutzen und größerer Akzeptanz im eGovernment ausgehen. Der Fortschritt der Demokratie hängt schließlich auch von der Verbreiterung ihrer Rezeption ab.

Erschienen am 13.2.2003