Von Dr. Martin Hagen, Referet für E-Government beim Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen
Dr. Martin Hagen ist von Beginn an im Bremer MEDIA@Komm-Projekt beteiligt und gibt nun seine persönliche Erfahrungen mit dem bremer-online-service aus der Perspektive eines – betroffenen- Bürgers wider.
Neulich sind wir umgezogen. Zwischen Kofferpacken, Bilder abhängen und Tapeten kleben vergaßen wir, unsere Adressenänderung der Post, den Behörden, Versicherungen und anderen “Verdächtigen” mitzuteilen. Erst einen Tag bevor der Möbelwagen kam, haben wir uns daran erinnert. Zu spät? Nein. Denn obwohl es früher ein paar Tage brauchte, bevor die Post den Nachsendeauftrag verarbeitet hatte, gab es jetzt eine Alternative: die Online-Adressenänderung auf dem bremer-online-service. Mit Kartenleser und Signaturkarte ausgestattet, schickte ich den Auftrag noch am selben Tag per Computer ab. Das war ein Freitag, und am Montag drauf gab’s schon die Nachsendung an unsere neue Adresse. Möglich machte das die elektronische Unterschrift.
Sicher, nicht viele können diesen Service nutzen, denn wer hat schon jetzt eine Signaturkarte. Nur wenige Bürger sind mit der Technik vertraut oder verstehen die schwierigen krytopgraphischen Grundlagen. Und die, die eine Signaturkarte haben, arbeiten meist direkt oder indirekt in besonders geförderten Projekten zur Einführung elektronischer Signaturen mit, so wie ich im Bremer MEDIA@Komm-Projekt. Trotzdem zeigt das Beispiel, dass wir in der Praxis längst weiter sind als viele Kritiker glauben machen wollen: es ist auch für Bürger (oder: “Privatkunden”) in Deutschland möglich, mit der elektronischen Signatur Verwaltungsvorgänge online abwickeln zu können.
Das ist ein Fortschritt, erreicht in vergleichsweiser kurzer Zeit. Blenden wir zurück: 1999 gründeten die Freie Hansestadt Bremen, die Deutsche Telekom, die Sparkasse Bremen und andere Unternehmen eine Firma, bremen online service GmbH & Co KG, um das vom Bund mit ca. 10 Mio. EUR geförderte Projekt MEDIA@Komm in Bremen umzusetzen. Heute, drei Jahre später, sind durch dieses Projekt eine Reihe von “echten” Online-Transaktionen, die meisten mit, einige auch ohne Einsatz der elektronischen Signatur, realisiert worden:
– Bürger können neben der Adressenänderung bei der Deutschen Post auch Adressenänderungen bei der Bremer Straßenbahn AG, der Sparkasse Bremen und der swb Enordia, den ehemaligen Stadtwerken, vornehmen. Dazu kommen eine Reihe weiterer Geschäftsvorfälle, wie z.B. die Bestellung eines Jahresabos für den Verkehrsverbund, die Zählerstandsmitteilung oder die Änderung der Kontoführungsmodalitäten.
– Beim Standesamt können Geburtsurkunden, Heiratsurkunden usw. online bestellt und bezahlt werden. Dabei kommt ein Lastschrifteinzugsverfahren zum Einsatz, das mit elektronischer Signatur abgewickelt wird. Auch für UNICEF kann man so online spenden!
– Studierende können an den drei Bremer Hochschulen Urlaubssemester beantragen, ebenfalls ihre Adresse ändern oder sich exmatrikulieren. An der Universität Bremen sind zu Semesterbeginn auch Immatrikulationen möglich – im WS 2001/2002 machten davon 10 % aller Erstsemester Gebrauch. Und bei der Hochschule Bremerhaven kann man sich für Prüfungen anmelden.
– Rechtsanwälte und Unternehmen wickeln bereits in großer Anzahl per bremer-online-service Mahnanträge vollständig online ab und holen Auskünfte aus den verschiedenen gewerblichen Register ein. Letzteres passiert bereits 3000mal im Monat.
Weitere Anwendungen werden in den nächsten Monaten online gestellt, insbesondere die Online-Ummeldung beim Einwohnermeldeamt, die Kfz-Zulassung und Adressenänderung im Kfz-Schein, baurechtliche Formulare, elektronische Ausschreibungen und die Möglichkeit zur elektronischern Angebotsabgabe.
Für viele ist das nicht genug. Sie fordern weitaus mehr Anwendungen, die möglichst kurzfristig online gestellt werden sollen. Doch dabei wird die enorme Komplexität selbst vermeintlich “einfacher” Anwendungen, wie z.B. einer Adressenänderung, übersehen. Zentrales Problem dabei ist, dass die Datenverarbeitungsverfahren, die bisher geschlossen und nur von einem begrenzten Benutzerkreis in der Verwaltung zugänglich waren, jetzt nach außen geöffnet werden.
Die elektronische Signatur zur Authentifikation der Benutzer ist zwar ein wichtiger, aber eben nur ein Mosaikstein. Etwas zu Unrecht droht er die Diskussion um E-Government zu monopolisieren. Mindestens genauso kompliziert wie die Signatur sind die Gewährleistung der Vertraulichkeit (Verschlüsselung) und die Integration des Zahlungswesens, denn hier geht es nicht um eine elektronische Bezahlung, sondern auch die automatische Integration in das Buchungs- und Rechnungswesen der jeweiligen Verwaltungskasse. Um überdies langfristig teure Doppelentwicklungen zu vermeiden und bei der Anwendungsentwicklung Synergieeffekte zu erzielen, sind gemeinsame Standards, wie z.B.
OSCI, und gemeinsame Infrastrukturen, wie z.B.
Governikus, notwendig, die den speziellen Regelungen des Verwaltungsverfahrensrechtes und des Datenschutz gerecht werden.
Um nachhaltig erfolgreich zu sein, müssen zudem neben den Anwendungen und Infrastrukturen auch geeignete Zugangsformen gefunden werden. Dazu gehören eine benutzerfreundliche Signierkomponente, wie sie beim bremer-online-service eingesetzt wird, genauso wie der betreute Zugangsplatz, in dem Bürger an öffentlich zugänglichen Terminals z.B. in Jugendzentren oder der Stadtbibliothek die Online-Dienste nutzen können und dabei auch die persönliche Hilfe von entsprechend geschulten Betreuern in Anspruch nehmen können.
Angesichts dieser Herausforderungen und auch in Kenntnis viel längerer Entwicklungszeiträume für neue Computeranwendungen in der öffentlichen Verwaltung, muss der jetztige Entwicklungsstand meiner Meinung nach nicht mehr als “halb-leer”, sondern als “halb-voll” bzezeichnet werden. Auch in Nürnberg, Bremerhaven, Esslingen und Hannover kann man schon elektronische Signaturen benutzen.
Also: wer demnächst in Urlaub fährt und einen Nachsendeauftrag stellen will, sollte prüfen, ob er damit nicht auch einen persönlichen ersten Schritt in das Signaturzeitalter machen will, und sich eine elektronische Signatur besorgen. Zumindest, wenn er in Bremen wohnt … ;-).
Erschienen am 06.06.2002
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