Behördeneinkauf über das Internet
Nicht nur beim Thema E-Government, auch beim so genannten E-Procurement – also der Beschaffung von Waren und Dienstleistungen für Ämter und Behörden über das Internet – hinkt die Bundesrepublik der allgemeinen Entwicklung hinterher. Denn, dass deutsche Behörden in Sachen Internet-Beschaffung enormen Nachholbedarf haben, hat die Unternehmensberatung
accenture ermittelt (
politik-digital berichtete). Danach belegt Deutschland in Sachen Internet-Kompetenz unter 22 Nationen nur den 15. Platz hinter Spanien, Irland und Portugal, während Norwegen in Europa führend ist. Während die online Beschaffung in anderen europäischen Ländern bereits gang und gäbe ist, wird in deutschen Amtsstuben meist noch mit Brief, Fax und Telefon gearbeitet. Zudem werden die Beschaffungsprozesse in der Regel nicht gebündelt, so dass jede Dienststelle für sich selber sorgen muss. Teure und langwierige Prozessketten sind die Folge. Dabei bietet die elektronische Beschaffung – gerade in Anbetracht der angespannten Haushaltslage vieler Städte und Gemeinden – ein enormes Potenzial. Doch Änderung ist in Sicht.
Nach Schätzungen der im Bundesinnenministerium ins Leben gerufenen “Stabsstelle Moderner Staat – Moderne Verwaltung” könnten deutsche Ämter und Behörden allein bis zu 15 Milliarden Euro einsparen, wenn es gelänge, nur die Hälfte der Beschaffungsvorgänge elektronisch abzuwickeln. Doch “das immense Potenzial für E-Procurement wird immer noch durch die rechtlichen Besonderheiten in diesem Segment behindert”, so Wolfgang Röcher vom Global Portfolio Management Government bei
Siemens Business Services in München. Denn bei der öffentlichen Auftragsvergabe im so genannten Business-to-Government (B2G) muss – anders als im Business-to-Business-Bereich (B2B) – beispielsweise das Vergaberecht beachtet und im Internet entsprechend umgesetzt werden. Und auch die kameralistische Buchführung (das besondere, in Verwaltungsbetrieben gebräuchliche System der Einnahmen-Ausgaben-Rechnung bei einem festen Etat) oder die Zuteilung des Budgets, das jeweils am Jahresende ausgeschöpft sein muss, sind Faktoren, aufgrund derer das Thema E-Procurement in den Verwaltungen im Vergleich zur Wirtschaft wesentlich differenzierter zu betrachten ist.
Zunehmend erkennen sowohl die öffentliche Hand, als auch die Wirtschaft, die Vorteile der elektronischen Beschaffung und entsprechende Lösungen haben Hochkonjunktur. So könnten die Lieferanten unter anderem durch die aktive Einbindung von Bedarfsträgern in den Beschaffungsprozess, die einfache Integration in standardisierte Schnittstellen oder reduzierte Medienbrüche profitieren. Auf Behördenseite seien gleichzeitig durch Bündelungseffekte innerhalb der Verwaltungen Kostenreduzierungen und eine automatisierte Budgetprüfung möglich.
Dass derartige Lösungen durchaus zu einem erheblichen Zeitgewinn bei der Abwicklung eines Beschaffungsverfahrens führen können, ist sogar in der EU-Richtlinie zur digitalen Vergabe und dem elektronischen Geschäftsverkehr nachzulesen: “Aufgrund der elektronischen Übermittlung kann die derzeit geltende 12-Tages-Frist für die Übermittlung an das Amt für Veröffentlichungen und für die Veröffentlichung im Amtsblatt verkürzt werden”, so der Gesetzestext. Und auch die Politik hat die Zeichen der Zeit erkannt und schafft zunehmend bessere Voraussetzungen für den Einkauf im World Wide Web. “Vor allem seit der Bundesrat im Frühjahr 2001 die digitale Signatur mit der handschriftlichen Unterschrift gleichgestellt hat, steht der Öffentliche Dienst unter enormen Zugzwang”, verdeutlicht Franz Lisson, Leiter der Geschäftseinheit Public Services bei Siemens Business Services Deutschland in Nürnberg. Denn das “Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen und zur Änderung weiterer Vorschriften”, das am 22. Mai 2001 in Kraft trat und den europaweiten Einsatz elektronischer Signaturen zulässt, regelt die notwendige Sicherheitsinfrastruktur für die elektronische Unterschrift, die der eigenhändigen Unterschrift gleichgestellt wird.
Mussten bisher wichtige Geschäftspapiere, rechtswirksame Verträge und amtliche Dokumente aufwändig via Post oder Boten überbracht werden, können nun auch die sensibelsten Daten und sogar Dokumente, die aus juristischen Gründen einer rechtsgültigen Unterschrift bedürfen, mit modernen elektronischen Systemen übertragen und archiviert werden, sobald die Umsetzung in die entsprechenden Gesetze vollzogen ist. So kann in Zukunft nicht nur ein Falschparker per E-Mail Einspruch gegen ein Bußgeldverfahren einlegen, sondern auch ein rechtsgültiger Vertrag über die Lieferung von Druckerpapier oder eines neuen Bürostuhls elektronisch abgewickelt werden.
Zwar werden Lösungen zum E-Procurement in Deutschland noch längst nicht flächendeckend eingesetzt, doch verschiedene Pilotprojekte zeigen, welchen Stellenwert die elektronische Beschaffung in Zukunft haben könnte. Im
Freistaat Bayern wurde bereits 1998 der erste Pilotversuch zur Online-Beschaffung von Toner für die Kopiergeräte der Landesbehörden gestartet, im Februar 2000 kam ein zweites Projekt im Bereich Papierbeschaffung für das Innen-, Finanz- und Landwirtschaftsministerium sowie die Polizei und die Staatskanzlei hinzu. Auch das Leitprojekt
e-Vergabe des Bundes fördert diese Entwicklung.
Noch einen Schritt weiter gehen die Pläne des IMAGINE-Konsortiums (Integrated Multimedia Applications Generating Innovative Networks in European Digital Towns). Dieses wird von den Städten Casale Monferrato in Italien, Pathenay in Frankreich, den deutschen Kommunen Torgau und Weinstadt, kleinen und mittelständischen lokalen Unternehmen sowie von Siemens, Microsoft, Finsiel und France Telecom wirtschaftlich getragen, von mehreren Universitäten wissenschaftliche begleitet und von der Europäischen Kommission gefördert. Sein Ziel ist die Entwicklung der “digitalen Stadt”, also der flächendeckenden Integration von Telematik-Anwendungen und Telematik-Diensten in größter Breite in den städtischen Alltag. Neben Angeboten für Telelearning, Telemedizin und Freizeitgestaltung spielt auch das E-Procurement eine große Rolle. In Verbindung mit einem elektronischen Marktplatz oder einer Börse, wo die Firmen ihre Waren und Dienstleistungen anbieten oder versteigern und ihre Ausschreibungen öffentlich machen, ist dann das globale Dorf wirklich nur noch einen Mausklick entfernt – auch für die öffentliche Verwaltung in Deutschland.
Erschienen am 10.05.2002
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