Erfahrungsbericht aus der virtuellen Amtsstube:
Ein Tester der Studie “E-Town – Deutschlands digitale Hauptstädte” schildert seine ganz persönlichen Eindrücke
Kommunale Verwaltungen haben keinen guten Ruf. Mangelnde Bürgernähe und umständliche Prozeduren werden den Verwaltungen nachgesagt. Bei diesen Stichwörtern ziehen wenig vorteilhafte Bilder an meinem geistigen Auge vorüber. Betonklötze, in denen sich Beamte hinter verschlossenen Türen verschanzen; wartende Bürger, die sich mit den beiden großen L der Verwaltung vertraut machen: Linoleum und Lysol.
Ob dieses Bild der Realität entspricht oder ob die Verwaltungen der Großstädte nicht längst mit Laptops und Internetformularen arbeiten, davon konnte ich mich selbst überzeugen. Als einer von fünf Testern der Studie “E-Town – Deutschlands digitale Hauptstädte”, die pol-di.net e.V./politik-digital.de im Auftrag der
Initiative D21 durchführte, nahm ich die E-Government-Angebote 25 deutscher Großstädte unter die Lupe. Fünfundzwanzigmal schlug ich mich als Tester durch den Verwaltungschungel im Internet.
Nützliche Orientierungshilfen
Meine Vorstellung von den lysolerfüllten Betonquadern sollte sich langsam wandeln. Unübersehbar war der Servicecharakter vieler Seiten. Alle getesteten Städte bemühen sich im Internet, ihre Arbeit dem Bürger näher zu bringen und ihm die Orientierung zu erleichtern. Von A wie Abmeldung bis Z wie Zweitwohnsteuer sind alle wichtigen Informationen zu Aufgaben und Dienstleistungen der Verwaltung verfügbar. Öffnungszeiten, Adressen und Kontaktmöglichkeiten der zuständigen Ansprechpartner gehören zum Standard der Webangebote.
Außerdem stellen viele Städte Formulare zum Download zur Verfügung. Leider fehlt hier häufig noch das i-Tüpfelchen. Nur in wenigen Ausnahmefällen können Nutzer diese Formulare am Rechner ausfüllen und abschicken, also den kompletten Vorgang von zu Hause durchführen. Der Weg zum Rathaus bleibt den meisten Bürgern vorerst nicht erspart, doch die Verwaltungen sorgen im Internet für mehr Bürgernähe und Orientierung.
Übersichtlicher Aufbau fehlt häufig
Um so mehr ärgerte mich die mangelnde Übersichtlichkeit vieler Webseiten. Häufig gibt es zu viele Menüpunkte in der Navigationsleiste; Banner für Filmpark, Theatersommer oder städtisches Sommerfest kommen hinzu. Der Einstieg in das meist umfangreiche Angebot wird dadurch erschwert, denn nicht alle Seiten verfügen über gute Sitemaps und leistungsfähige Suchmaschinen, um den Nutzer auf anderem Wege schnell zum Ziel zu führen. Viele Seiten verfügen über ein beachtliches Angebot, da schmerzt es umso mehr, dass der komplizierte Aufbau interessierte Nutzer womöglich abschreckt, sich näher mit der betreffenden Webeite auseinanderzusetzen.
Diese Unübersichtlichkeit wird durch ein weiteres Manko verstärkt. Die Inhalte der Webseite sind zwar für unterschiedliche Zielgruppen gedacht, sie sind aber häufig nicht voneinander abgegrenzt. Informationen für Bürger, Touristen und Investoren sind häufig von einer gemeinsamen Startseite aus zu erreichen. Diese Startseite wirkt entsprechend überfrachtet. Mitunter wirkten einige dieser Webseiten wie eine unüberwindliche Wand auf mich. Manche nervenaufreibende Überraschung harrte auf diesen Seiten ihrer Entdeckung. Rätselhafte Querverweise, die Franz Kafka alle Ehre machen würden, weil sie plötzlich von einer Rubrik in eine völlig andere führten, ohne diesen abrupten Wechsel in der Navigationsleiste anzuzeigen. E-Mail-Adressen von Oberbürgermeistern, offenbar wie die Ermittlungsakten zum Kennedy-Attentat eingestuft, blieben bisweilen trotz intensiven Suchens unauffindbar.
Dagegen war es eine große Freude, Webseiten mit klarem Aufbau zu begutachten. Diese Internetangebote sind auf verschiedene Zielgruppen zugeschnitten oder nach Lebenslagen sortiert. Dazu zählt eine Unterteilung in drei Bereiche: ein Bürgerportal für Einheimische, einen Touristenservice sowie eine Business-Lounge für Unternehmen und Investoren. Außerdem wird erklärt, welche kommunale Dienstleistung für verschiedene Lebenssituationen in Anspruch genommen werden kann und was bedacht werden muss, zum Beispiel bei Heirat, Umzug oder Todesfall in der Familie. Die Orientierung auf diesen Seiten verlor ich selten, die Bedienung war meist unproblematisch.
Interaktivität und politische Informationen sind ausbaufähig
Nachdem die Kommunen so viel Bürgernähe bei den Verwaltungsdienstleistungen zeigten, hatte ich den Internetangeboten stärkere interaktive Elemente zugetraut. Zwar sind die E-Mail-Adressen von Mitarbeitern der Verwaltung und von Kommunalpolitikern auf den meisten Seiten aufgeführt. Doch Bürgersprechstunden im Internet bleiben Zukunftsmusik in den von mir getesteten Städten. Ebenso fehlen politische Diskussionen sowie der Austausch zwischen Bürgern und Politikern.
Meist stieß ich auf wenig politische Inhalte. Ein paar Daten zum Stadtoberhaupt samt Lebenslauf und Foto, eine kurze Übersicht über den Stadtrat und die vertetenen Parteien – viel mehr boten die getesteten Seiten im politischen Bereich häufig nicht. Details zur inhaltlichen Arbeit von Stadtrat, lokalen Parteien oder gar Bürgerinitiativen erwiesen sich leider als Mangelware. Welche politischen Probleme in der jeweiligen Stadt diskutiert werden, welche Themen ganz oben auf der Tagesordnung von Stadtrat und lokalen Parteien stehen, das war selten zu erfahren. Einzige Ausnahme bildeten Themen aus dem Bereich Stadtplanung und Verkehr sowie Informationen über die Agenda21. Hier zeigten einige Städte beachtliches Engagement. Umfangreiche Inhalte für Touristen sowie Freizeit-, Sport- und Kulturthemen gehörten bei jeder Webseite zum Angebot.
Laptops in den Amtsstuben
Die kommunalen Verwaltungen können viel versprechende Ansätze vorweisen, haben aber noch längst nicht das ganze Potenzial für städtische Dienstleistungen und Informationen im Internet ausgeschöpft. Mit leichten Abstrichen überzeugen mich viele Webseiten. Alles in allem ist das für mich Grund genug, mein Bild von den Betonklötzen und den Linoleumfluren um eine paar flotte Laptops zu ergänzen.
Die Studie “E-Town – Deutschlands digitale Hauptstädte” wurde von pol-di.net e.V./politik-digital.de im Auftrag der Initiative D21 durchgeführt. Sie wird am 28.6.2002 auf dem Kongress der Initiative “Mit Internet Staat machen. E-Government und die Zukunft der Demokratie.” in Leipzig veröffentlicht. Zusätzlich können Sie die Studie ab Freitag, den 28.6.2002, auf den Seiten der
Initiative D21 und
politik-digital.de kostenlos herunterladen.
>> Studie “E-Town 2002” RTF
[Download rtf-Datei 9 KB]
>> Studie “E-Town 2002” PDF
[Download pdf-Datei 1,3 MB]
Und hier die glücklichen
Gewinner:
Sieger “E-Administration”:
Esssen
Sieger “E-Democracy”:
Stuttgart
Sieger “Nutzerfreundlichkeit”:
Magdeburg
Best-Practice “Vernetzung von Frauen”:
Heidelberg,
Münster,
Pforzheim
Best-Practice “kommunale Bebauung”:
Düsseldorf,
Moers,
Osnabrück
Erschienen am 27.06.2002
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