eGovernment steht vor einem Qualitätssprung. Neue Interaktionsangebote, die über die Abwicklung von Verwaltungsabläufen hinaus gehen, sollen die Beziehungen zwischen Staat und Bürger verbessern.
Die E-Government-Evolution steht vor einem Qualitätssprung: “E-Participation”, als Zwischenschritt auf dem Weg zur E-Democracy, heißt die neue Herausforderung. Weltweit, auch in Deutschland, wird zunehmend mit Interaktionsangeboten experimentiert, die teilweise deutlich über die bloße Abwicklung der üblichen Verwaltungsangelegenheiten hinausgehen und eventuell langfristige Auswirkun-gen auf unser Bild vom Verhältnis zwischen Staat und Bürgern haben können.
E-Democracy in den Kinderschuhen
E-Participation, und damit E-Democracy, steckt noch in den Kinderschuhen. Zwar gibt es auf staatlicher wie privater Seite interessante Ansätze, doch konkretisiert sich noch kein zukunftsweisendes Modell, das den weiteren Weg weisen könnte. Einzelne Funktionen, insbesondere die so genannten „Foren“, sind teilweise schon weit ausgefeilt – es fehlt jedoch immer an dem integrierenden Gesamtkonzept. Eine Verknüpfung mit rechtlich verbindlichen Willensbildungsprozessen hat bislang kaum stattgefunden.
Technologisch sind mittlerweile alle bekannten Ideen auch umsetzbar. Was die Realisierung von internetvermittelter Bürgerbeteiligung anbelangt, ist anscheinend das
DEMOS-System führend, das im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts unter Leitung der TU-Harburg entwickelt worden ist. Die Erprobung des Systems in
Hamburg zählt zu den bisher erfolgreichsten Experimenten im Bereich elektronischer Demokratie – allerdings noch immer ohne rechtsverbindliche Elemente. Die Rechtsverbindlichkeit eines E-Government-Auftrittes ist in erster Linie ein politisches bzw. juristisches Problem, so dass schon jetzt der verstärkten Bürgerbeteiligung technologisch nichts mehr entgegen stünde. Bei vielen “Einstiegsoptionen” kann die etwaige finanzielle Mehrbelastung als minimal eingeschätzt werden. Rechtzeitig eingeplant, sind sogar Kostensenkungen denkbar.
Bunte Vielfalt an Erscheinungsformen
Es ist eine Vielzahl von Optionen (vgl. Artikel
Votes & Quotes) für mehr bürgerschaftliches Engagement und Partizipation zu identifizieren. Unter dem Aspekt der Erhöhung von Transparenz und der Verbesserung von Informationsflüssen kann zuerst auf neue Möglichkeiten der Individualisierung von Newslettern und Webseiten hingewiesen werden. Newsletter sind zunehmend an individuelle Informationsbedürfnisse anpassbar, ebenso moderne Webauftritte. Eine gesteigerte Kundenfreundlichkeit hat durchaus auch demokratische Aspekte, werden so doch Hemmschwellen verringert und kann die Identifikation des Bürgers mit „seinem“ Staat gestärkt werden. Ferner wird die Transparenz öffentlichen Handelns auch durch das so genannte „Webcasting“ erhöht, also die Live-Übertragung von Bild und Ton aus Sitzungen ins Internet. Die Archivierung solcher Mediendateien, die ebenfalls online abrufbar sein sollten, macht Entwicklungsprozesse deutlich und stärkt das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Repräsentanten. Mit zunehmender Verbreitung von Breitbandtechnologien ist eine rasch wachsende Nachfrage zu erwarten.
Daneben entwickelt die öffentliche Verwaltung langsam aber stetig auch neue Interaktionsmöglichkeiten. Die einfachste Form in diesem Zusammenhang ist vielleicht das Feedback-Formular. Als einzelne Seite für generelles Feedback und allgemeine Fragen hat ein solches Formular sicherlich kein Recht, als „E-Participation“ zu firmieren. Setzt man solche Formulare aber themenbezogen ein und formuliert aussagekräftige, die Eingaben standardisierende Multiple-Choice-Optionen, so entwickelt sich schnell eine Funktionalität nahe der Online-Umfrage – auch eine Möglichkeit, die sich steigender Beliebtheit erfreut. Werden Umfra-gen auf konkrete Entscheidungen herunter gebrochen, so dass der Bürger sich für oder gegen ein bestimmtes Vorhaben aussprechen kann, dann wird die Umfrage zu einem – allerdings unverbindlichen – „E-Voting“. Kritische Frage ist hier aber natürlich, inwieweit die einmal gewonnenen Informationen tatsächlich in die Verwaltungsprozesse effektiv einfließen.
Eher diskursiven Charakter haben die so genannten Foren und Chats. Während letztere meist nur zeitlich begrenzt und projektbezogen zum Einsatz kommen, entwickeln sich die Foren mehr und mehr zum typischen Merkmal von demokratisch ambitionierten Online-Auftritten. Allerdings trennt sich hier schnell die Spreu vom Weizen: Während die Einbindung eines einfachen Diskussionsforums in eine öffentliche Website technisch kein Problem darstellt, ist es doch um so schwieriger, das Angebot populär zu machen, ein hohes Diskussionsniveau zu erreichen und eine Schnittstelle zwischen den dortigen Willensäußerungen und der Verwaltung zu schaffen und zu pflegen. Will man in diesem Zusammenhang E-Democracy ernst nehmen, so müssen mittel- und langfristig die verwaltungsinternen Geschäftsprozesse mit der freien, zivilgesellschaftlichen Willensbildung kompatibel gemacht werden.
Ein erster Schritt zur rechtsverbindlichen Interaktion wurde in
Schottland mit der so genannte „E-Petition“ unternommen. Dahinter steht das Prinzip, Anträge und Petitionen zu formulieren und dann über das Internet für deren Unterstützung zu werben. Als basisdemokratisches Instrument stößt die E-Petition allerdings in Deutschland noch immer auf große Vorbehalte und verfassungsrechtliche Hindernisse. Ein Gleiches gilt für die „E-Lection“, also die rechtsverbindliche Wahl von Abgeordneten oder, im Vorfeld von Wahlen, Kandidaten. Ein erster Versuch in den USA (Vorwahlen der Demokratischen Partei 2000) war zwar erfolgreich, hat aber keineswegs zu einer konsequenten Verbreitung geführt. Die technische Machbarkeit wurde auch in Deutschland mittlerweile bewiesen, doch fehlt es am politischen Willen, außerhalb von betriebs- oder universitätsinternen Wahlnotwendigkeiten auch die staatstragenden Wahlen einzubinden.
Neben den öffentlichen engagieren sich auch private Träger für die E-Democracy. Namentlich in den USA haben sich interessante Modelle entwickelt, die erst langsam nach Europa vordringen. Speziell der Aspekt des Votings, bei dem also Bürgermeinungen zu diversen und meist konkreten Fragen gesammelt werden, existiert dort in den verschiedensten Spielarten, so dass einem z.B. versprochen wird, dass alle gesammelten Daten über die Volksmeinung zur rechten Zeit den relevanten Entscheidungsträgern vorgelegt würden. Hier wäre noch die politische Unabhängigkeit der jeweiligen Anbieter sorgfältig zu untersuchen, denn ein Missbrauch der Daten erscheint nicht ausgeschlossen. Teilweise gibt es auch Verknüpfungen mit einer E-Mail-Weiterleitung: Ein individueller oder standardisierter Text wird an einzelne oder gruppierte Entscheidungsträger per E-Mail weitergeleitet. Letztgenannte Variante wird teilweise auch als „E-Activism“ bezeichnet.
Quo Vadis E-Democracy?
Vergleichend kann die überraschende Feststellung getroffen werden, dass andere Staaten hinsichtlich öffentlich-rechtlich getragener Partizipationsmöglichkeiten keinen signifikanten Vorsprung haben. Allein auf dem Bereich des politisch motivierten Privatsektors gibt es im Ausland, namentlich in den USA, die deutlich innovativeren Ansätze.
Kennzeichnend für die jetzige Situation ist ferner, dass Partizipationsmöglichkeiten nur in den seltensten Fällen – von staatlicher Seite – offensiv und „neugierig“ genutzt werden und sich vielmehr der Eindruck aufdrängt, dass sie einen geduldeten Status haben. Positive Ausnahmen finden sich hauptsächlich im Bereich der Stadtentwicklung. Neben dem eingangs beschriebenen Projekt in Hamburg gibt es z.B. auch in
Berlin vielversprechenden Ansätze.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass es – zumindest in Deutschland – momentan für ein Mehr an E-Democracy allein am politischen Willen fehlt. Diesen vorausgesetzt, könnten wir in kürzester Zeit zu internationalen Vorreitern und Vorbildern auf diesem Gebiet werden und so die Bürgergesellschaft in Europa fundamental stärken.
Tobias Ernst ist Lehrbeauftragter der Universität Hamburg für das Recht der Informationswirtschaft.