Unübersichtliche Papierdschungel an Formularen oder lange Wartezeiten in Bürgerämtern: Die Bürokratie hat zweifellos großes Potential, Bürgern den letzten Nerv zu rauben. Dabei könnte vieles schon jetzt ganz einfach sein. Staatliche Dienstleistungen sind immer öfter online bequem verfügbar. Doch der eGovernment-Monitor 2016 zeigt: Dieses Potential der Verwaltung bleibt in Deutschland noch bei weitem unausgeschöpft. Im Weg stehen etwa alte Nutzungsgewohnheiten und der Datenschutz.
Quantensprung, Meilenstein, Revolution: Viele Superlative werden bemüht, wenn es um den digitalen Wandel der Gesellschaft geht. Das eigentlich Revolutionäre zeigt sich aber im Alltäglichen. Und tatsächlich ist die Nutzung von Online-Diensten in vielen Bereichen ganz normal geworden: Vom Online-Einkauf über die Google-Navigation bis zum Verschicken von Kurznachrichten. Die Nutzung von Informationen und Dienstleistungen staatlicher Behörden ist dagegen noch alles andere als selbstverständlich. Das zeigen die aktuellen Zahlen des am vergangenen Freitag vorgestellten eGovernment-Monitors 2016; eine Studie der Initiative D21 und des „insitute for public information management“ (ipima).
So haben im vergangenen Jahr gerade mal 45 Prozent der befragten Deutschen E-Government-Angebote in Anspruch genommen. Damit hinken die Deutschen den Schweizern und Österreichern um 20 beziehungsweise fast 30 Prozentpunkte hinterher. Am häufigsten wurden dabei noch Informationen zu Zuständigkeiten über die städtische Internetseite eingeholt (59 Prozent) oder aber Infos zu kommunalen Freizeitangeboten online nachgesehen (56 Prozent). Viele Funktionen sind den Nutzern aber unbekannt. Nur rund ein Viertel der Befragten wusste etwa von Möglichkeiten, online Anzeige erstatten oder Mängel wie kaputte Gehsteige melden zu können. Dabei würden 46 beziehungsweise 59 Prozent diese Funktionen durchaus gerne in Anspruch nehmen. Doch selbst wenn den Bürgern die Angebote bekannt sind, heißt das offenbar noch lange nicht, dass sie sie auch nutzen. So kannten zwar 70 Prozent der Befragten etwa die rein elektronische Steuererklärung. Ihre Steuererklärung auf diesem Weg bereits abgegeben hatten aber nur 36 Prozent.
eGovernment wird beliebter, liegt aber noch nicht im Trend
Unterm Strich stieg 2015 die Nutzung von eGovernment im Vergleich zum Vorjahr um sechs Prozentpunkte. „So richtig hebt die Trendkurve aber noch nicht ab“, konstatierte Malthe Wolf, Leiter des Future Research Centre Kantar TNS, bei der Vorstellung des eGovernment-Monitors. Schließlich sei der diesjährige Gesamtwert von 45 Prozent schon in den Jahren 2012 und 2014 gemessen worden. Und das, obwohl 78 Prozent der Bevölkerung im Internet unterwegs sind. Trotzdem: „Das Potential ist relativ hoch“, glaubt Wolf. Schließlich wollten grundsätzlich bei allen abgefragten eGovernment-Angeboten deutlich mehr Bürger diese künftig nutzen als bislang.
Doch was steht der stärkeren Nutzung noch im Weg? Professor Helmut Krcmar, Scientific Director bei ipima, wies auf die mangelnde Bekanntheit als zentrale Barriere hin: „Was die Leute nicht kennen, nutzen sie auch nicht.“ Hinzu komme eine „undurchschaubare Angebotsstruktur“, also dass Bürger im Internet gar nicht die eGovernment-Angebote finden, die sie suchen. Ob diese in Anspruch genommen werden, werde darüber hinaus immer noch vom Bildungsgrad mitbestimmt: So machten 72 Prozent der höher Gebildeten von staatlichen Online-Dienstleistungen Gebrauch, aber nur 41 Prozent der geringer Gebildeten.
Weitere Hindernisse zeigen sich aber auch mit Blick auf die technischen Voraussetzungen. So können bislang nur gut ein Sechstel der Befragten überhaupt etwas mit einem De-Mail-Konto anfangen, das im Geschäftsverkehr die Vorteile der herkömmlichen E-Mail mit der Verlässlichkeit und Vertraulichkeit eines Briefes verbinden soll. Ein Großteil weiß zwar von einem solchen Konto, sieht aber keinen Mehrwert darin. Und obwohl offenbar knapp jeder zweite Bürger einen neuen Personalausweis besitzt, haben nur 13 Prozent den „elektronischen Identitätsnachweis“ (eID-Funktion) darauf freigeschaltet. Mit dieser Funktion können sie sich online gegenüber den beteiligten Institutionen ausweisen, sofern sie ein entsprechendes Lesegerät besitzen. Allerdings haben ein solches Gerät auch nur vier Prozent der Befragten. Pikant: 42 Prozent sahen sich bei der Freischaltung des eID-Funktion durch die Behörden nicht ausreichend unterstützt, 16 Prozent gaben sogar an, ihnen sei von Mitarbeitern der Behörden davon abgeraten worden.
Bürokratie leicht gemacht: ein bundesweites Verwaltungsportal soll für Durchblick sorgen
Immerhin: Die Barrieren nehmen insgesamt ab. Das zeigt sich nicht nur am gestiegenen Bekanntheitsgrad der eGovernment-Angebote, sondern vor allem auch am deutlichen Rückgang von Datenschutz- und Datensicherheitsbedenken. In Deutschland sind diese im Vergleich zum Vorjahr um etwa die Hälfte (minus 32 Prozentpunkte) gesunken. Außerdem: Diejenigen, die das eGovernment-Angebot bereits nutzen, sind so zufrieden damit wie noch nie (62 Prozent). Eine gute Voraussetzung findet Helmut Krcmar, denn die Zufriedenheit sei ein „wesentliches Nutzungskriterium“.
Deshalb müsse der Zugang zu den staatlichen Online-Dienstleistungen noch einfacher werden, meint Klaus Vitt, Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik. „Die eGovernment-Angebote müssen aus Sicht der Nutzer und Unternehmen strukturiert sein“, betonte der Staatssekretär in einer Diskussion nach der Vorstellung des eGovernment-Monitors 2016. „Denn wenn man nicht nach drei Klicks findet, was man sucht, lässt man es bleiben.“ Bund, Länder und Kommunen planten deshalb einen Portal-Verbund: „Sodass es egal ist, wo der Bürger im Internet einsteigt. Er meldet sich einmal an und wird dorthin weitergeleitet, wo sein Anliegen bearbeitet wird.“ Das Momentum der Zusammenarbeit mit den Ländern zur Optimierung der Asyl-Verfahren müsse nun genutzt werden, um bundesweit auch ein vergleichbares Niveau an eGovernment-Angeboten zu erreichen.
Im Kleinen gibt es ein solches Portal bereits in Bayern. Dort profitieren aber nicht nur die Bürger davon. Auch den Kommunen werden wichtige Basisdienste, wie digitale Authentifizierung, der digitale Postkorb oder digitales Bezahlen, vom Land kostenlos zur Verfügung gestellt. Das Anbieten von eGovernment-Diensten wird somit auch für kleine Gemeinden bezahlbar. Trotzdem können Nutzer noch nicht immer vollelektronisch mit Behörden kommunizieren, da teils nur PDF-Dokumente verfügbar sind. Carolin Stimmelmayr vom zuständigen bayerischen Finanzministerium stellte jedoch in Aussicht, dass bereits in einem Jahr ein Formular-Server ähnlich dem Elster-Verfahren bei der Steuererklärung im Bayern-Portal zur Verfügung stehen könnte.
Bis die Bürger die Verwaltung gar nicht mehr spüren
Dass es bald auch bundesweit einen solchen Portal-Verbund geben soll, hält auch Johannes Ludewig, Vorsitzender des Nationalen Normenkontrollrats, für die richtige Antwort auf den Föderalismus: „So langsam gibt es ein Erwachen.“ Denn dass die Politik auf oberster Ebene aktiv die Initiative ergreife, sei der „springende Punkt“ für den Erfolg, so Ludewig. Bislang würde vieles an eGovernment-Angeboten völlig unkoordiniert in vielen verschiedenen Kommunen angefangen: „Jeder will die Welt neu erfinden.“ Doch genau das verzögere die Digitalisierung.
„Das Commitment auf politischer Ebene ist unbedingt notwendig!“, bestätigt auch Roland Ledinger. Er ist Bereichsleiter für Digitales und eGovernment im österreichischen Bundeskanzleramt und kann auf eine eGovernment-Nutzungsquote von 74 Prozent in seinem Land verweisen. Seit 2003 habe die Bundesregierung in Wien die Digitalisierung der Verwaltungsdienste forciert. Außerdem werde in der Alpenrepublik gezielt auf Anreizsysteme gesetzt, damit immer mehr Bürger eGovernment-Angebote in Anspruch nehmen: „Wenn man Nutzen schafft, holt man die Leute auch ab“, so Ledinger. So müssten etwa Jäger in Österreich für die regelmäßige Nachmeldung ihrer Waffen beim Händler 50 Euro je Stück bezahlen. Wickelten sie die Nachmeldung dagegen online ab, sei das für sie kostenlos. Ermäßigte Gebühren könnten also ein Stellhebel zu mehr eGovernment sein. Staatssekretär Vitt möchte gegebenenfalls aber nicht nur auf Anreize setzen, sondern auch die Bürger direkt in die Pflicht nehmen, indem etwa die eID-Funktion mit Erhalt des neuen Personalausweises sofort freigeschaltet wird.
Denn dass in eGovernment ganz neue Möglichkeiten stecken, darin waren sich die Experten einig. Staatssekretär Vitt hält es etwa für möglich, dass die Daten, die verschiedene staatliche Stellen vom Bürger haben, nur noch einmal zentral gespeichert werden. Der Österreicher Roland Ledinger führt die Vorteile davon so aus: Wenn Behörden über gebündelte Informationen, einschließlich der Konto-Nummer seiner Bürger, verfügten, könnten staatliche Leistungen ohne vorherige Beantragung einfach überwiesen werden. Oder bei einem Umzug könnte es genügen, wenn der Vermieter die Informationen, einschließlich einer möglichen Namensänderung, ein Mal weiterleitet: „Der Mieter müsste sich dann um nichts mehr kümmern.“ Und auch wenn es noch dauern werde, bis das alles soweit sei: „Es geht darum, dass die Bürger die Verwaltung gar nicht mehr spüren“, so Ledinger.
eGovernment spart Geld und steigert die Lebensqualität
Kai Whittaker, eGovernment-Experte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sieht in eGovernment jedenfalls „eine Riesenchance für die Modernisierung unseres Landes.“ Ähnlich wie Ledinger kann sich auch Whittaker vorstellen, dass etwa mit der Geburt eines Kindes ohne formale Antragstellung sofort das Elterngeld überwiesen wird und den Eltern sogar schon ein Vorschlag zur Kita-Anmeldung ihres Kindes gemacht wird. „Lebenssituationen-orientiert“ nennt er das. „Das einzige, was der Staat bei uns bislang macht, ist, dass er sofort eine Steuernummer vergibt“, kritisiert Whittaker. Für ihn ist Estland die Top-Benchmark für Europa: Der Bundestagsabgeordnete hat sich die digitale Staatsverwaltung dort vor Ort genau angeschaut. Sein Befund: Die Esten hätten nach 15 Jahren eGovernment nicht nur Verwaltungskosten und damit zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts eingespart, die Vorteile zeigten sich auch ganz konkret im Alltag. So sei das Land etwa komplett kartographiert und die Daten zu allen Grundstücken und ihren Besitzern digitalisiert. Auf diese Weise könnten diese bei drohendem Hochwasser zur Vorsorge direkt informiert werden. „Viele Dinge müssen dann im Nachhinein nicht mehr repariert werden. Das sorgt für eine höhere Lebensqualität“, so Whittaker.
Ein Hindernis für eine solche Online-Verwaltung ist jedoch hierzulande der Datenschutz. Auch wenn Whittaker glaubt, dass trotz der Vernetzung der Daten in Estland dort der Datenschutz viel eher gelingt als in der Bundesrepublik. Schließlich werde jeder Datensatz nur einmal zentral gespeichert. Die Daten daraus stünden den jeweiligen Behörden auch nur dann eingeschränkt zur Verfügung, wenn sie sie für die Erbringung einer Dienstleistung benötigen, mit der die Bürger sie beauftragt haben. Whittaker: „Wir können also den Bürger bevollmächtigen, wie und wann er seine Daten nutzt.“
Wie der eGovernment-Monitor zeigt, bleiben neben dem Datenschutz vorerst aber auch die Nutzungsgewohnheiten eine Barriere zur neuen digitalen Bürokratie. „Wenn ich es nicht gewohnt bin, nutze ich es nicht“, erklärt Cornelia Gottbehüt von der Unternehmensberatung Ernst & Young die schleppende Digitalisierung der Verwaltungsdienste. Die Digitalisierung dürfe deshalb nicht erst bei der elektronischen Steuerklärung anfangen, sondern müsse stärker in den erlebten Alltag gebracht werden. Das betreffe etwa Online-Parkscheine oder die schnelle Info übers Internet, ob die Erzieherin des eigenen Kindes heute krank ist. Vermutlich wäre die digitale Revolution in der Verwaltung dann schon zur Hälfte geschafft.
Titelbild: Buchhaltung von jackmac34 via pixabay, licenced CC0 Public Domain