Der weitere Ausbau von eGovernment-Angeboten leidet heute unter mangelnder öffentlicher Finanzierungsmasse auf Anbieterseite und mangelndem Nutzenverständnis auf Kundenseite. So sind einerseits die eGovernment-Budgets der öffentlichen Haushalte kontinuierlich gesunken. Andererseits ist zu beobachten, dass die Mehrheit der Bürger die Online-Angebote der öffentlichen Verwaltung in erster Linie zur reinen Informationsbeschaffung, nicht aber für Online-Transaktionen nutzt.
In Analogie zum Aufbau von E-Commerce-Dienstleistungen gehen wir davon aus, dass der Durchbruch im eGovernment über Government-to-Business und nicht über Government-to-Customer Angebote erfolgen wird. Das branchengetriebene eGovernment strebt für die unterschiedlichen Wirtschaftszweige eine Verzahnung von Verwaltungsprozessen und industriellen Wertschöpfungsketten an. Dies hat Vorteile für beide Seiten: Die Unternehmen sparen Geld; die Verwaltung trägt dazu bei, dass die Unternehmen am Standort bleiben. Die Fokussierung auf ausgewählte Branchen erleichtert es, eGovernment-geeignete Prozesse zu identifizieren und die erwarteten Effizienzsteigerungen zu quantifizieren – beides Voraussetzungen für Unternehmen, um einen überzeugenden Business Case für ihr Engagement in PPP zu entwickeln. Zugleich erleichtert die Sicht auf Branchen es, die für den Aufbau von G2B-Lösungen erforderliche kritische Masse zu erzielen.
Ein Beispiel für eine erfolgreiche industriegetriebene Partnerschaft ist die von der Audi AG in Zusammenarbeit mit der Stadt Ingolstadt entwickelte digitale Bauplattform („virtuelles Bauamt“). Ausgangspunkt für dieses Projekt war die hohe Zahl der jährlich anfallenden Um- und Neubauprojekte. Um das Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und Geschäftsprozesse zu vereinfachen, hat Audi die Behördenkontakte entlang des Produktentstehungsprozesses überprüft und diejenigen herausgefiltert, die bei einer Verknüpfung von eGovernment mit eBusiness einen finanziellen Mehrwert für das Unternehmen mit sich bringen. Als Folge hiervon wurde eine Lösung entwickelt, mit der jährliche Einsparungen im Bereich von einer halben Million Euro erwartet werden. Das Beispiel der virtuellen Bauplattform zeigt, dass das Mehrwertpotenzial von Government-to-Business-Lösungen dann erfolgreich erschlossen werden kann, wenn die Unternehmen selbst maßgeblich an der Gestaltung mitwirken und ihre Bedarfsadäquatheit sicherstellen.
Um die Anforderungen der Unternehmen an eGovernment-Lösungen systematisch zu erfassen, will das Land Rheinland-Pfalz im Rahmen seines eGovernment-Aktionsplans Prozessketten an der Schnittstelle Wirtschaft – Verwaltung branchenbezogen untersuchen. Die Verfahren sollen mit ihrem Nutzenpotenzial und einem Indikator für ihre eGovernment-Eignung in einem „Branchenhandbuch eGovernment“ beschrieben werden. Das geplante Handbuch kann Unternehmen als Entscheidungsunterstützung für Investitionen in branchenorientierte eGovernment-Lösungen und für ihr Engagement in PPP dienen.
In Zukunft wird der Staat für die erfolgreiche Umsetzung seiner eGovernment-Strategien aus Kostengründen noch viel stärker auf die Wirtschaft setzen müssen. PPP in Verbindung mit dem Konzept des branchengetriebenen eGovernment sind ein schlagkräftiges Instrument, um mehrwertorientierte, technologisch tragfähige und von den Anwendern akzeptierte Lösungen zu schaffen.
Der Autor Prof. Dr. Dieter Rombach, Leiter des Fraunhofer Instituts für Experimentelles Software Engineering IESE, hat den Text urprünglich als Statement zur Veranstaltung FORUM-eLife geschrieben.