Interaktive Bürgerbeteiligung Alexanderplatz Berlin
E-Democracy heißt nicht “elektronische Demokratie”. Vielmehr drückt der Begriff E-Democracy im Kern aus, dass durch das Hilfsmittel der elektronisch vermittelten Kommunikation ein Grad an Interaktivität erreicht werden kann, der bei der alleinigen Nutzung klassischer Kommunikationswege nicht zu erreichen wäre.
Als konkretes Beispiel für eine interaktiven Bürgerbeteiligung möchte ich von einem Projekt der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin berichten. Gegenstand der Diskussion ist der Alexanderplatz, ein Ort in der Mitte Berlins, überregional bekannt durch seinen Mythos in Döblins Roman und durch seine Funktion als Hauptstadtzentrum zu Zeiten der DDR.
Hintergrund
Das Stadtgebiet um den Alexanderplatz soll in den kommenden Jahren durch umfangreiche Neubautätigkeit stark aufgewertet werden. Ein Großteil der Bausubstanz wird von Grund auf erneuert oder durch wesentlich höhere Bauwerke ersetzt und erweitert. Die Veränderungen werden großen Einfluss auf die Nutzung des öffentlichen Raumes und insbesondere den Alexanderplatz haben.
Der Berliner Senat will die Nutzung und Gestaltung des Alexanderplatzes im Dialog mit der Bürgerschaft gestalten, damit der Alexanderplatz von möglichst vielen Menschen angenommen und genutzt wird. Zu diesem Zweck sollen zahlreiche Ideen und Anforderungen von den heutigen und zukünftigen Nutzergruppen gesammelt und diskutiert werden, die als Grundlage in einen Architektenwettbewerb eingehen. Diese Vorgehensweise nutzt die Bewertungsstärken der Laien wie auch der Experten. Die Ergebnisse des Beteiligungsverfahrens gehen in den Anforderungskatalog eines Architektenwettbewerbs ein, der im Anschluss an das Beteiligungsverfahren startet. Im Wettbewerb werden auf Basis der vielfältigen Anforderungen unterschiedliche Entwürfe entstehen, die dann von einer Jury bewertet und prämiert werden.
Ablauf der Bürgerbeteiligung
Das Verfahren ist so aufgebaut, dass die klassische Form der Präsenzveranstaltung durch moderne Kommunikationstechnologien im Internet ergänzt und qualifiziert wird. City & Bits organisiert im Auftrag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die Online-Phasen des Verfahrens.
Erste Ideensammlung – Online im Netz
Vom 30. April 2003, 10 Uhr bis zum 13. Mai 2003 werden die ersten Vorschläge und Ideen im Forum
http://www.alex.cityandbits.de/gesammelt: “Wie sehen wir den Alex heute? Welche Qualitäten und Mängel hat der Platz? Was ist uns bei der Gestaltung des Alexanderplatzes wichtig? Was wollen wir aus der Vergangenheit mitnehmen?”
Bürgerversammlung – persönlich präsent
Am 14. Mai 2003 präsentiert die Senatsverwaltung in einer öffentlichen Veranstaltung ihre Vorarbeiten zur Platzgestaltung. Auch die Ideen aus dem Internet-Forum werden vorgestellt und diskutiert.
Empfehlungen formulieren – Online im Netz
Anschließend wird die Diskussion im Internet fortgesetzt. Bis zum 27. Mai 2003, 24 Uhr können die Teilnehmer ihre Empfehlungen und Hinweise formulieren. Sie werden dabei von den Online-Moderatoren unterstützt.
Architektenwettbewerb – Ausarbeitung fachlicher Ideen
Die Diskussionsergebnisse gehen, zusammen mit den Vorarbeiten der Senatsverwaltung in die Unterlagen für einen Architektenwettbewerb ein, der im Anschluss daran ausgeschrieben wird.
Entscheidung durch die Jury – Öffentliche Begründung
Die anonym eingereichten Wettbewerbsbeiträge der Architekturbüros werden von einer Fachjury bewertet. Hierbei werden auch Mitwirkende der Bürgerbeteiligung hinzugezogen. Bei der Preisverleihung im Herbst wird die Jury erläutern, wie die Anforderungen der Bürger berücksichtigt wurden.
Die Herausforderung ein Forum ergebnisorientiert zu moderieren
Wichtigstes Ziel und gleichzeitig die größte Hürde in einem so angelegten Verfahren ist es, die Ergebnisorientierung und Relevanz der Diskussion vom ersten Tag an zu sichern und allen Teilnehmern deutlich zu machen. Internetforen haben bislang des Ruf eine nette, aber chaotische und nicht-zielführende Sache zu sein. Gut zum gelegentlichen Reinschauen und zur selektiven Informationssuche und -weitergabe.
Der Anspruch dieses Projekts, einen Themenkatalog zu erarbeiten, ihn in einer Versammlung vorzustellen und ihn anschließend online so auszuformulieren, dass er für die Architekten eine echte Hilfestellung darstellt, ist dagegen eine völlig neue Herangehensweise. Die ersten Tage im Forum zeigen aber, dass die Teilnehmer dieses Ziel sehr schnell aufgreifen und konzentriert an der gemeinsamen Aufgabe arbeiten.
Möglich ist dies durch eine zeitnahe Präsenz der Moderatoren, die immer wieder die Zwischenergebnisse zusammenfassen und Neuhinzugekommenen und Zaungästen den Einstieg ermöglichen. Gleichzeitig wird dadurch der Fortgang der Diskussion gewährleistet.
Einbettung in die weiteren Entscheidungsprozesse
Das A und O eines interaktiven Demokratieprojekts ist die Einbettung des Verfahrens in die vorausgehenden und nachfolgenden Entscheidungsabläufe. Ein wesentlicher Teil der Moderationsarbeit besteht daher darin, noch vor dem Start der eigentlichen Diskussionsphase Akteure und Multiplikatoren anzusprechen und für die zu erwartenden Ergebnisse zu sensibilisieren. Hier ist oft eine verständliche Skeptik festzustellen, die letztendlich erst durch ein erfolgreiches Verfahren mit qualifizierten Ergebnissen ausgeräumt werden kann.
Im Projekt Alexanderplatz wurden daher 50 und mehr (je nach Zählweise) Akteure und Organisationen angesprochen, die durch die Weitergabe der Information an ihre Hintergrundgruppe auch eine breite Verankerung des Verfahrens in allen gesellschaftlichen Teilgruppen ermöglichen sollte.
Nach Abschluss des Verfahrens wird es Aufgabe der Moderation sein, die erarbeiteten Ergebnisse im weiteren Wettbewerbsverfahren und während der Juryentscheidung immer in Erinnerung zu rufen und damit den Anspruch der interaktiven Bürgerbeteiligung einzulösen.
Zu einer abschließenden Bewertung des Projektes wird man also frühestens im Herbst dieses Jahres kommen. Wichtig ist, dass die Bürger der Demokratie ihren Platz innerhalb der Entscheidungsablaufe behaupten und mit durchdachten Beiträgen die Ergebnisse qualifizieren.
Hans Hagedorn arbeitet bei
City & Bits Berlin und leitet die Online-Phasen
der Interaktiven Bürgerbeteiligung Alexanderplatz und deren Einbettung in
die weiteren Entscheidungsprozesse. Die eingesetzte Diskurssoftware wurde
vom
Fraunhofer Institut AIS entwickelt und speziell für das Verfahren
angepasst.
Erschienen am 08.05.2003
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