Deutschland wird die EU-Richtlinie gegen Spam verspätet umsetzen, sagt die CDU. Kritiker halten das Gesetz für machtlos. Die Regierung sollte SPAM zum Thema des UN-Gipfels zur Informationsgesellschaft machen.

Ein US-User bekommt im Durchschnitt gut dreimal soviel unerwünschte Werbemails wie ein deutscher User. Und dass, obwohl es in mehreren Bundesstaaten der USA Anti-Spam-Gesetze gibt. In Virginia, dem Bundesstaat mit den schärfsten Gesetzen, wird Spam als Einbruch in den Computer angesehen, strafrechtlich verfolgt und kann zu mehrjährigen Haftstrafen führen.

In Deutschland gibt es bisher kein Spam-Gesetz. Bis Ende Oktober müsste Deutschland eigentlich die
EU-Richtlinie zum Datenschutz für elektronische Kommunikation vom 12. Juli 2002 umsetzen. Die darin festgelegte Opt-in-Regelung wäre eine neue Grundlage in der Rechtssprechung. Bei Opt-in darf ein Versender nur mit vorheriger Erlaubnis des Empfängers Werbung verschicken. Nach der bisherigen Opt-out–Regelung darf das Unternehmen Werbung versenden bis der Empfänger die Werbesendung ausdrücklich abbestellt oder um Unterlassung bittet. Anfang Mai hat die Bundesregierung eine
Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vorgelegt, in der die EU-Richtlinie umgesetzt werden soll. Dass das Gesetz fristgemäß in Kraft tritt, darf bezweifelt werden. Martina Krogmann, IT-Expertin der CDU: “Eine verzögerte Umsetzung ist absehbar, zumal noch eine Anhörung des Rechtsausschusses zu Einzelfragen des UWG erfolgen soll.” Das Gesetz wird wohl frühestens Anfang nächsten Jahres rechtskräftig.

Regierungsparteien und Opposition befürworten das Gesetz grundsätzlich, ringen aber noch um Feinheiten. Renate Künast, deren Verbraucherschutzministerium an der UWG-Novelle beteiligt war, ist gegen eine Strafverfolgung wie es in Virginia der Fall ist. Die CDU fordert diese strafbewehrte Ahndung von Spam-Mails und die Einrichtung einer zentralen Melde- und Beschwerdestelle. Doch mit einer Entlastung der Posteingänge ist auch dann kaum zu rechnen. Das neue UWG ist ein erster Schritt in den digitalen Verbraucherschutz, aber kein Bollwerk gegen Spam.

Das UWG verbessert das Wettbewerbsrecht und damit vor allem die Rechtssituation von Unternehmen, deren Konkurrenten spammen. Private Spam-Opfer können nach wie vor nur mit einem
aufwendigem Prozedere gegen ihre Peiniger vorgehen. Eine mögliche Methode: Das Spam-Opfer fordert den Versender zu einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Darin muss sich der Unterzeichner verpflichten, die Belästigung zu unterlassen. Bei Verstoß drohen bis zu 5000 € Strafe.

Provider tanzen auf zwei Hochzeiten

Nicht zu Spam im rechtlichen Sinne zählen auch nach dem UWG Werbe-Mails von Unternehmen, mit denen der Empfänger bereits in geschäftlichem Kontakt gestanden hat. Dazu gehört die – ebenfalls häufig unerwünschte – Werbung von Providern wie YAHOO, AOL, GMX oder WEB.DE. Der als Cajun-Spammer bekannte Richard Scelson wirft den Providern deshalb nicht zu unrecht Heuchelei vor. Tatsächlich tanzen die Provider auf zwei Hochzeiten. In der Anti-Spam-Bewegung stehen sie an forderster Front. Sie spüren Spammer auf, bieten eMail-Filter an und stellen Aktionsseiten wie
www.antispamday.de ins Netz. Denn ihre Server ächzen unter der Last des Spam – und sie haben ein ehrliches Interesse daran, sich vom Spam zu befreien. Andererseits schicken sie ihren Kunden selbst fast täglich unerwünschte Mails und verdienen damit gutes Geld. Opt-in ändert daran nichts, weil es sich um eine bestehende Geschäftsbeziehung handelt.

Spammer sind Global Player und durch Netzrecht kaum zu beeindrucken

Machtlos bleibt das Gesetz gegen die zwei Hauptprobleme im Kampf gegen Werbemails: Die meisten Spammer bleiben anonym und der Großteil des Spam kommt aus dem nicht europäischen Ausland. Wer in Asien oder den USA sitzt und Spam anonym an eine deutsche Domain schickt, ist mit deutschem oder europäischem Recht nicht zu beeindrucken.

Die Industrie setzt deshalb auf eine technische Lösung. Der Verband der Internetwirtschaft eco begrüßt zwar die Gesetzesnovelle der Bundesregierung und
fordert eine schnelle Umsetzung. Er will das Problem aber – wie die US-Kollegen auch – durch Filtersysteme für eMails beheben. Dafür hat eco extra eine Anti-Spam-Task-Force eingerichtet. Denn „nationale Anti-Spam-Gesetze oder Rechtsprechungen sind gegen das globale Spam-Problem bisher weitgehend machtlos“, sagt Sven Karge, Koordinator der eco-Task-Force. Dr. Werner Ruether, Kriminologe an der Universität Bonn, pflichtet ihm bei: Was fehle, sind „weniger nationale, sondern vor allem supra-nationale Rechtsnormen“. Es handelt sich also um ein bekanntes Dilemma: nationalstaatliche Lösungen bleiben im globalen System wirkungslos.

Martina Krogmann von der CDU fordert: „Die Bundesregierung muss handeln und sich zum Vorreiter auf internationaler Ebene machen.“ Eine gute Chance sei der Ende des Jahres stattfindende
UNO-Weltgipfel zur Informations- und Wissensgesellschaft . Dort müsse Deutschland darauf hinwirken, „dass in den USA – entgegen der sich aktuell abzeichnenden Tendenz – ebenfalls eine Opt-In-Regelung getroffen wird“.

Spam-Profite einkassieren

Den Kopf müssen die nationalen Gesetzgeber trotzdem nicht in den Sand stecken. Man könne, so Kriminologe Ruether, zumindest auf die deutschen Spammer Einfluss nehmen, indem man ihre „bisher eindeutig positive Kostenbilanz in Zukunft negativer gestaltet“. Statistisch kommen auf 100.000 Spam-Mails 100 Rückfragen der User. Diese Quote von 0,1 Prozent rechnet sich für die Spammer, ihr Aufwand ist gleich Null. Verbraucherschutz-ministerin Renate Künast hat deshalb angekündigt, dass Gewinne die unter Verletzung der neuen Opt in-Regelung erzielt werden, demnächst eingezogen und dem Bundeshaushalt zugeführt würden. Dieser „Gewinnabschöpfungsanspruch“ ist Teil des neuen UWG-Entwurfes und resultiert aus der Tatsache, dass wettbewerbswidriger Spam zwar vielen schadet, es aber kaum zur Anklage kommt, weil die Schadenshöhe für den Einzelnen gering bleibt.

Was bleibt unterm Strich in der Mailbox? Die eco-Task Force, die Ende Mai 2003 ins Leben gerufen wurde, versichert in einem Schreiben: „90 Prozent des Spam kann durch Filtersysteme abgefangen werden“. Die Provider versprechen mit ihren Filterangeboten ähnliche Erfolgsquoten. Gesetze gegen Spam werden von allen begrüßt, aber keiner erhofft sich viel davon. Der eco-Verband fürchtet in
seinem Schreiben , Spam werde in den nächsten Monaten und Jahren eher noch ansteigen. Wir dürfen uns also auf amerikanische Verhältnisse gefasst machen und sind gespannt, ob die Politik geeignete Mittel gegen Spam findet.