Ein 20-jähriges Patent auf Software ist zurzeit viel diskutiertes Thema. Die Niederlande befürworten den neuesten Vorschlag, Software dem Patentrecht zu unterstellen – so glaubt man zumindest im Ausland. Schließlich haben die Niederlande für dieses Gesetz gestimmt, oder etwa nicht? Das niederländische Parlament hat jedoch mehrheitlich gegen den gegenwärtigen Vorschlag gestimmt und die Regierung vor mehreren Wochen angewiesen, seine Stimme zurückzuziehen und diesen Standpunkt während seiner gegenwärtigen EU-Präsidentschaft zu vertreten. Warum hat das übrige Europa nichts davon gehört?
Unklare Rechtslage
Können Sie Ihre selbstentwickelte Software frei verkaufen? Dürfen Sie
sie frei zur Verfügung stellen? Diese Fragen kann derzeit kein Anwalt
beantworten, denn sie sind stark mit der Rechtsprechung von Software-Patenten verknüpft. Stellen Sie sich vergleichbare Unsicherheiten in anderen Wirtschaftssegmenten vor: Darf ein Bäcker sein selbst-gebackenes Brot verkaufen? Darf ein Fahrradbauer ein Fahrrad auseinandernehmen? Eine unsichere Rechtslage in diesen Bereichen wäre katastrophal für die gesamte Wirtschaft, spiegelt jedoch die Situation in der Software-Industrie wider.
Die Europäische Union versuchte diese Problematik zu lösen, als sie ihre ersten Vorschläge zur Harmonisierung des Patentrechtes in Europa vorlegte. Im Jahr 1999 wurde das Patentproblem als prioritär eingestuft und zu Beginn des Jahres 2000 erstellte die Union einen Bericht zu den wirtschaftlichen Auswirkungen von Softwarepatenten.
Ende 2000 wurde ein Diskussionspapier ausgegeben, in dem die Mitgliedsstaaten und die europäische Öffentlichkeit ihre Meinungen und Vorschläge äußern konnten. Als dieses Diskussionspapier im Jahr 2002 veröffentlicht wurde, brach plötzlich ein Hagel von Protesten der Hersteller von Open Source- und proprietärer Software los.
EU Parlament und Ministerrat: Unterschiedliche Auffassungen
In der Zeit zwischen 2000 und 2002 hat sich viel verändert. Freie und Open Source- Software hat starke Resonanz gefunden und viele kleine, triviale Patente wurden anerkannt. Nur wenige Jahre zuvor interessierte sich lediglich eine kleine Expertengruppe für dieses Projekt. Im Jahr 2002 zeigte sich jedoch eine große Gruppe von Software-Experten besorgt. Das Europäische Parlament akzeptierte zwar die Vorschläge zur Software-Patentichtlinie mit überwiegender Mehrheit (361 dafür, 157 Gegenstimmen und 28 Enthaltungen) aber fügte – als Reaktion auf öffentliche Vorbehalte – soviele Anhänge hinzu, dass die Vorschläge nicht mehr funktionsfähig waren. Zu dieser Zeit hatte Irland die umlaufende EU-Präsidentschaft inne und schrieb einen Entwurf für den Ministerrat, der dem Gesetzesentwurf der Europäischen Kommission ähnelte. Die Änderungen des Europäischen Parlamentes waren nun kaum mehr erkennbar.
Der Richtlinienvorschlag des Europäischen Parlamentes vertrat die Auffassung, dass eine Patentierung von Software die Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft von kleineren und mittelständischen Unternehmen in der IT-Branche aufgrund teurer und aufwendiger Patentanmeldungen erschwere. Nach Meinung des Parlaments solle Computersoftware weitgehend urheberrechtlich geregelt werden. Das Patentrecht dagegen sei nur dann anzuwenden, wenn tatsächliche, genau festgelegte technische Neuerungen innerhalb des Computerprogrammes bestünden.
Der Entwurf der dem Ministerrat vorgelegt wurde, sah hingegen eine weitaus grosszügiger definierte Patentierungsrichtlinie vor. Diese Richtlinie, so kritisiert die Mehrheit der EU-Parlamentarier und eine Vielzahl von Open Source Experten, komme ausschließlich den multinationalen Unternehmen und den Patentanwälten zugute.
Die Rolle der Niederlande
An dieser Stelle wird die Rolle der Niederlande interessant. Der niederländische Wirtschaftsminister Brinkhorst und Außenhandels-Staatssekretärin Van Gennip schreiben in einem Brief an das niederländische Parlament, dass zwischen dem Europäischen Parlament und dem Ministerrat vollständige Übereinstimmung bezüglich der Software-Patentrichtlinie bestehe. Ein schweres Stück. Einige Tage später stimmt er im Namen der Niederlande für den neuen Gesetzesentwurf.
Als die Mitglieder des niederländischen Bundestages herausfinden, dass keinerlei Übereinstimmung besteht und dass die meisten Änderungen vom Europäischen Parlament ignoriert worden sind, wird Brinkhorst vor das Parlament zitiert. Er gesteht ein, dass die ausgegebenen Informationen falsch waren. Obwohl er keine andere Erklärung als einen „Fehler in der Textverarbeitungssoftware“ angeben kann, amüsiert er sich über das Parlament indem er sie für ihre Arbeit lobt, und dafür, dass sie das Europäische Parlament so ernst nähmen. Wie dem auch sei, fügt er hinzu, da die Wahl bereits stattgefunden habe, könnten die Niederlande die abgegebene Stimme nun nicht mehr ändern. In der darauffolgenden Debatte wird offensichtlich, dass eine Anpassung nicht möglich ist, da eine Stimmänderung einen „schlechten Eindruck“ machen würde.
Mit einer großen Mehrheit wird ein Beschluss verabschiedet, der Minister Brinkhorst anordnet, die Stimme der Niederlande zurückzuziehen. Van Gennip erklärt im Parlament, dass sie den Wünschen des Parlamentes entgegenkommen wird. In der niederländischen Presse wird das Europäische Protokoll zitiert – welches während Brinkhorsts Zeit im Europäischen Parlament verabschiedet wurde – dass eine Zeitspanne von sechs Wochen zwischen Absprache und der formellen Wahl vorgibt, um den nationalen Parlamenten die Chance zu geben, Stellung zu beziehen.
Am 7. Juli 2004 wird ein hoher Beamter aus England in der Herald Tribune zitiert. Er verkündet, dass der niederländische Minister sich nicht verpflichtet fühle, die niederländische Position zu ändern. Obwohl das niederländische Parlament nun offiziell gegen die Direktive sei, könne das Land diesen Standpunkt nicht mehr vertreten. Da die Niederlande die Präsidentschaft über die Europäische Union innehätten, müsse es den “gemeinsamen“ Standpunkt vertreten.
Als das Parlament am 12. Juli mit einer Reihe von Fragen reagiert, antwortete der Minister am 2. August, dass er die anderen Länder über die Bedenken des Parlamentes unterrichten wird, aber er garantiert nicht, dass die Regierung ihre Stimme zurückziehen werde. In einem zweiten Satz von Fragen wurde der Minister gefragt, ob er die Meinung des Parlamentes teile, dass er nicht den Wünschen des Parlamentes entspräche. Am 13. September schrie der Minister, dass er seiner Meinung nach in Übereinstimmung mit den Wünschen des Parlamentes arbeite.
Die Ratsentscheidung
Die geplante formelle Wahl zur Verabschiedung der Software-Patenrichtlinie wurde nicht wie geplant am 24. September im EU-Ministerrat verabschiedet. Offiziell wird dies damit begründet, dass die die Übersetzung der Richtlinie in die jeweiligen Landessprachen zu dem Zeitpunkt noch nicht vollständig war. Die Software Richtlinie soll nun offiziell Ende November/ Anfang Dezember 2004 „ohne weitere Diskussionen“ verabschiedet werden.
Inoffiziell wird jedoch gemutmaßt, dass auch die lautstarken Proteste gegen die Richtlinie zu der Aufschiebung geführt haben.
Dieser Text wurde bei politiek-digitaal.nl erstveröffentlicht.
Übersetzung aus dem Englischen von Tessa Hauswedell.