Großes Geld, dreidimensionales Web, virtuelle Fernsehansagerinnen und alle Küchengeräte über die Maus zu bedienen. Das Internet werde unser aller Leben umkrempeln, heißt es seit langem. Heute surfen zwar die meisten und versenden E-Mails, aber der große technologische Umbruch scheint das nicht zu sein.
War dies schon die digitale Revolution oder steht uns dieser erst noch bevor? Was ist aus den Hypes geworden, die in den letzten Jahren aufkamen?

Gegen Ende der 1990er Jahre stürzten sich viele Menschen ins Internet-Business in der Manier des amerikanischen Goldrausch. Domainnamen wurden wie Claims abgesteckt und für Millionen Dollar weiterverkauft, wenn sie eingängig genug waren. Wer nicht in einer Internet-Agentur arbeitete, war out. Jede Woche tauchte in den Wirtschafts- und Nachrichtenmagazinen eine neue Gründer-Boygroup auf, alle mit riesigen Maskottchen, in Fabrik- oder Altbauetagen und mit ihrem Logo auf dem Shirt. Der Trend ging zum Zweit-Start-up. Das Internet, das in seinen Anfangszeiten für grenzenlose Information, Kommunikation und Freiheit stand, war ein Synonym für das schnelle Geld geworden.

Das Ende des Hypes ist bekannt:
Boo.com, der spektakulär gestartete und kaum bedienbar gestaltete Online-Fashionhändler, machte im Mai 2000 den Anfang. Gigabell folgte, hunderte weitere Firmen der Neuen Wirtschaft beantragten Insolvenz. Mit den handelnden Personen starb auch die Hofberichterstattung – Net-Business, econy und andere Magazine wurden eingestellt oder verkauft. “New Economy” ist für Unternehmen der Neuen Medien beinahe rufschädigend geworden. Sie sitzen noch immer in Fabrik- oder Altbauetagen, sind aber stolz darauf, keinen Risikokapitalgeber im Aufsichtsrat sitzen zu haben. Sogar
amazon.com, einer der Start-up-Pioniere, wird jetzt zu einem ganz normalen Unternehmen: Vor wenigen Tagen meldete Jeff Bezos die ersten schwarzen Zahlen.

Und in den Webrubriken und Netzwelten der Medienlandschaft rücken andere Themen in den Blickpunkt. Pornographie und Propaganda, die Schattenseiten des Internet, lösen den Hype des schnellen Geldes ab.

Mythos Multimedia

Glanz sollte auch durch Multimedia ins Web gebracht werden. Audio- und Videostreaming, also das direkte Abspielen von Musik- oder Filmdaten aus dem Internet, ohne dass diese erst heruntergeladen werden müssen, versprach, den vernetzten Rechner zum allumfassenden Medium werden zu lassen. Fernseher, Radio und (Bild-)Telefon zusätzlich zum unüberschaubaren Informationsangebot. Die nötige Technik und Bandbreite für reibungslose, sprich ruckelfreie Video-Konferenzen ist nicht leicht zu haben. In den meisten Fällen muss darum das kleine Fenster des
Real Player genügen, um beispielsweise bei ins Web übertragenen Nachrichtensendungen und Pressekonferenzen zuzusehen. Ein weiterer Grund dafür, dass das Streamen in Deutschland nicht so recht ankommt, könnten die vergleichsweise hohen Internetgebühren sein. Der durchschnittliche US-Amerikaner widmet eine Stunde seines Tages gestreamten Filmen oder Musik – der Deutsche bringt es nur auf durchschnittlich 11 Minuten. Die Flatrates, die hierzulande Abhilfe hätten schaffen können, haben weitgehend das Zeitliche gesegnet, eine bundesweit verfügbare Flatrate bietet nicht ein einziges Telekommunikationsunternehmen mehr an. Die letzten, wenigstens in Großstädten angebotenen Flatrates haben die
Telekom und
Arcor im Angebot.

Wenn die Anbieter der Streams auf die Idee kommen, sich ihre Leistung bezahlen zu lassen, könnte aber auch eine Flatrate zu spät kommen: Fernsehen im Internet, ob
Heute-Journal oder
Mode-Kanal kostet ja bisher noch nichts. Keine Rundfunkgebühren und Decoder-Pakete fallen an. Die nötige Software ist bei
Microsoft und Real Media kostenlos erhältlich. Tatsächlich kann vom Musikvideo, über den Westernklassiker bis hin zum Online-Radioprogramm bis heute ein großes Angebot an Digital-Waren kostenlos genutzt werden. Die Gratis-Musik-Quelle Napster, die noch bis zum letzten Sommer als der Inbegriff von neuer Preisfreiheit im Datennetz herhielt, ist jedoch vorerst versiegt. Musikanbieter wie
Music Net , dahinter stecken die Musikriesen BMG, Warner, EMI und Zomba, oder
Pressplay, der Konkurrent aus den Häusern Sony, Universal und Vivendi, erheben nicht nur Gebühren dafür, dass Musik heruntergeladen und auf CD gebrannt wird. Schon das bloße Streaming kostet Geld. So kostet ein Monatspaket von MusicNet, dass 100 Downloads und 100 Streams beinhaltet, US $9,95 in den Vereinigten Staaten – in Deutschland sogar ganze US $29,99. Auch beim Konkurrenten Pressplay müssen für das selbe Angebot satte 25 Dollar auf den Tische gelegt werden. Musik-Börsen wie Gnutella oder KaZaa, bei denen bis heute kostenfrei getauscht wird, versuchen dem Schicksal des Vorläufers Napster zu entrinnen. Ohne zentralen Server entgehen sie nationalen Gerichtsurteilen, die sie zum Abschalten verpflichten könnten. Napster, der inzwischen von Bertelsmann aufgekaufte Vorreiter im Plattentausch will in Kürze neu ins Netz starten – diesmal allerdings ohne die großen Namen der Musikszene im Angebot zu haben und außerdem gebührenpflichtig. Mit fünf bis zehn Dollar pro Monat wäre zumindest der bestehende Marktpreis unterboten. Ein Streaming-Programm, das richtig anmachen soll, verspricht der
Playboy auf seine Seite zu bringen. 20 Millionen US-Dollar stellte der Konzern im letzten Jahr bereit, um Technik und Inhalt für das sexy Streaming zu entwickeln. Bisher ist von Streaming jedoch beim Playboy noch nichts zu sehen. Ob man sich am Ende doch mit dem bewährten eigenem TV-Sender und Online-Video-Bestellung zufrieden geben wird? Streaming-Angebote fast jeder Art, die keinen müden Pfennig kosten, zeigt der
Webtimer. Bei der großen Auswahl liegt die Vermutung, die Streaming-Welle sei vorüber, einigermaßen fern. Wenn Breitbandzugänge sich weiter verbreiten, dürfte die Nachfrage steigen. Das könnte dann allerdings bald einen Preisanstieg zur Folge haben.

Avatare

Avatare sind animierte Figuren im Cyberspace. Mit ihrer Hilfe sollte sich das Web noch weiter von der Zweidimensionalität des Bildschirms lösen, gemütlicher, herzlicher – eben dreidimensionaler werden. Könnte sich der User im anonymen Datenraum vielleicht nach persönlicher Ansprache sehnen? Könnten virtuelle Berater den Verkauf im Netz begleiten, wenn die direkte Kundenbetreuung im Geschäft unter den Tisch fällt? Solche oder ähnliche Gedanken hatten wohl die Werbestrategen als sie sich Figuren wie Robert-T-Online, Cor@Deutsche Bank oder Liam Loewe ausdachten. Was bei Joe Camel, dem berühmten Werbekamel des gleichnamigen US-Zigarettenkonzerns, funktioniert hat, hätte ja auch zur Erfolgsnummer von T-Online oder der Deutschen Bank werden können.

Stattdessen wurde Robert-T-Online ungewollt zum
Absender des unangenehmen “Kournikova”-Wurms. Die Betreffzeile “Neues von Ihrem Internetdienstleister – Robert T. Online informiert” mit dem Absender “support@t-online.de” täuschte den Telekom-Kunden eine seriöse Herkunft der E-Mail vor. Heute ist der gescholtene Robert auf der Homepage des Konzerns nur nach langer Suche in alten Archiven zu finden. Burschikos und Blond strahlt zwar
Cor@ von der Deutschen Bank dem Besucher entgegen, leider führen aber sämtliche Navigationspunkte auf der Seite bei Anklicken ins Nichts. Ebenfalls blauäugig und mit einem charmantem Lächeln bietet sich Liam Loewe auf der Seite des Fernsehherstellers zur virtuellen Produktberatung an: “Ich bin Loewe Spezialist, Navigationshilfe und technisches Lexikon in Personalunion. Nutzen Sie diese Chance!”. Der nette Mattscheibenverkäufer im silbernen Zwirn gibt auch Auskunft über sein “Privatleben”. Er sei 27 Menschenjahre alt, jedoch erst am 13. August 2000 geboren und wohne im Cyberspace, auf der Festplatte des Hauses Loewe. Zur Information: Er hat keine Partnerin!

Immerhin weiß Liam, der auch mit den Augen zwinkern kann, dass er kein Mensch ist.

Aber auch an anderer Stelle im Netz tauchen die kleinen Figuren auf. Bei
Electronic Arts kann man sich einen Platz im Simulations-Spiel Sims kaufen. Mit $ 25,99 für die Spiel-CD-Rom darf bei dem virtuellen Single-Treff jeder “mal Kuppler sein” wird dort geworben. Avatare für alle! Bei
genie.de findet sich die Fantasiefigur “Baby Fred”. Grußpostkarten, schenkelklopfende “Cheffe”-Witze und Baby-Fred´s Begegnungen mit Stars wie Nadja ab del Farrag gehören zur Spaßpalette. Auch das Baby-Sprachlexikon oder die von Baby-Fred gelesenen Nachrichten scheinen mal ein Highlight der Seite gewesen zu sein. Der letzte Eintrag auf der News-Seite stammt allerdings vom Juli 2001. Hat die Sommerpause der Witzfigur den Garaus gemacht?

Digitale Geschöpfe, die das Kindchen-Schema gelangweilter Büroinsassen ansprechen sollen, haben es schwer zu überleben. Das Massensterben der Tamagotchis nach dem Abklingen des großen Hypes von 1997, sollte da als Mahnmal der Vergänglichkeit im Gedächtnis der computerisierten Welt erscheinen.

Mit anderem Ehrgeiz als die Spaßmacher und Kundenbetreuer, die Avatare erschaffen haben, nähert sich seit dem 1.Januar 2001 das
Frauenhofer-Institut den Cyber-Figuren. Im Projekt ”
Avatar-Conference” des Stuttgarter Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation haben sich die Forscher das Ziel gesetzt, die weltweit verstreute Wissenschafts-Gemeinde im virtuellen Raum zusammenzuführen. Experten sollen auf Avatar-Konferenzen über ihre Arbeit berichten. In Direktzeit könnten die Kollegen sich auf der Suche nach der Wahrheit letztem Schluss in die Debatten einschalten. Räumliche Distanz als Ursache ungleich verteilter Information und von Missverständnissen könnte so überwunden werden. Zukunftsmusik? Wie das Frauenhofer-Institut Anfang 2001 mitteilte, ist das Projekt auf 24 Monate angelegt. Am 28. Februar dieses Jahres sollen die Ergebnisse
publik gemacht werden.

Mobile Web

Der erste große Hype, der einen drahtlosen Internetzugang überall versprach, war WAP. Das erinnert allerdings bis heute eher an die Anfangstage des btx als an die Zukunft des World Wide Web. Auf kleinen Handydisplays, auf denen niemals die ganze Seite zu sehen ist, mit einer über die Telefontastatur nur mühsam zu bedienenden Navigation, das alles zu horrenden Preisen – es ist nicht weit her mit dem S-Bahn-Surfen.

Eine etwas ausgereiftere Technik des wireless web kommt – wenn auch nur mit sehr begrenzter Reichweite – aus Skandinavien. Mit dem Laptop auf dem Balkon sitzen und den Drucker im Arbeitszimmer aktivieren, die Heizung per Palm aufdrehen, über das Headset telefonieren, obwohl das Handy im Koffer auf dem Rücksitz liegt, und nie mehr Kabelstränge mit Tesafilm an Tischunterseiten befestigen müssen. Die Erfüllung all dieser Träume verspricht seit 1998 ein Chip, der kaum größer ist als ein Zwei-Euro-Stück und den Namen eines Vikingerkönigs aus dem 10. Jahrhundert trägt:
Bluetooth (vom skandinavischen Blatand, also Blauzahn).

Über Bluetooth können Daten per Funk von einem sogenannten Master-Gerät an bis zu sieben Peripheriegeräte übertragen werden. Das können zum Beispiel Organizer, Freisprecheinrichtungen, mp3-Player, Lautsprecher oder Haushaltsgeräte sein. Auch die Infrarot-Technik von Fernbedienungen und kabellosen Kopfhörern könnte von Bluetooth abgelöst werden. Das Netz von acht Geräten kann durch den Einsatz weiterer Master ausgebaut werden. Die Reichweite von 10 Metern ist für die meisten Anwendungen ausreichend und kann mit einem Verstärker auf 100 Meter erweitert werden. Bluetooth sendet im für jeden zugänglichen 2,4 GHz ISM-Band (Industrial Scientific Medical-Frequenz) und erreicht je nach Nutzung der Kanäle Übertragungsgeschwindigkeiten zwischen 64 kBit/s, was ISDN-Geschwindigkeit entspricht, und 721 kBit/s.

Fast 2.000 Unternehmen sind inzwischen in der 1998 gegründeten Special Interest Group versammelt und entwickeln Lösungen für die drahtlose Kommunikation mittels Bluetooth. Erste mit der Technik ausgestattete Geräte sind bereits auf dem Markt: Handys, Notebooks und Headsets.

Experten sagen Bluetooth eine große Zukunft voraus. Auch wenn das medieninteresse nachgelassen hat und gerüchteweise schon mal das Ende der Technologie verkündet wurde – da der Preis des Chips bei Serienfertigung auf unter 5 Euro sinken dürfte, könnte es tatsächlich zum überall verwendeten Modul werden.

Erschienen am 24.01.2002