Wer im Internet Bücher oder Computer kauft, fürchtet den Frust, wenn mit der Lieferung etwas nicht stimmt. Denn dann geht der Streit los. Online-Mediation für eCommerce kann da helfen. Besser als Gerichte?
Der Begriff der Online Mediation wird regelmäßig mit dem elektronischen Handel verbunden. Denken wir an elektronischen Handel, fällt uns wiederum vor allem die Bestellung von Büchern, Flugreisen und die Teilnahme an Online Auktionen ein. Es handelt sich also um den typischen Verbrauchermarkt. Tatsächlich machen die Geschäfte von Verbrauchern im Internet nur einen kleinen Bruchteil des elektronischen Handels aus. Beschaffungsvorgänge von Großunternehmen dürften tatsächlich für 80 Prozent des Umsatzvolumens in diesem Marktbereich sorgen. Wir wissen außerdem, daß ein Großteil dieser Geschäfte grenzüberschreitend abgewickelt wird und daß die Teilnehmer eigene Regeln für die Konfliktlösungen vereinbaren – meist Schlichtung (Arbitration), gelegentlich auch schon elektronisch unterstützt. Die „Großen“ regeln ihre Angelegenheiten also selbst.
Die staatlichen Gerichte sind notorisch überlastet. Die Gesellschaft versucht Abhilfe zu schaffen, indem eine Zivilprozessreform nach der anderen den Zivilgerichten weitere „Beschleunigungsverfahren“ eröffnete, bis hin zur Möglichkeit, Urteile ohne Begründung auszuwerfen. Kritische Geister fragen, ob es bei derartigen Reformen überhaupt um einen verbesserten Zugang zur knappen Ressource Recht oder vielmehr um deren Rationierung geht. Zuletzt wurde es den Ländern erlaubt, Regelungen zu schaffen, die Parteien zu einem vorgerichtlichen Schlichtungsversuch zu verpflichten. Diese Regelungsbefugnis wurde nur zu einem geringen Maße ausgenutzt und in noch geringerem Maße umgesetzt.
Auf den elektronischem Handel angewandt, gehen alle Vorteile der Geschwindigkeit des Internets im Handumdrehen verloren, wenn auf ein Urteil etwa ein Jahr gewartet werden muß. Diese ungewollte Wiederentdeckung der Langsamkeit ist es wohl, die die oben genannten Händler von Büchern und Flugreisen, vor allem aber die Organisatoren von Online Auktionen immer raffinierte Taktiken zur Konfliktvermeidung im Internet ersinnen ließ. Die erfolgreichste Strategie ist für alle Beteiligten offensichtlich die Konfliktvermeidung. Abstinenz ist dabei in die unproduktivere Variante, wenn sie nämlich dazu führt, schon solche Geschäfte zu vermeiden. Die nächstbeste Variante wurde mit umfassende Rückgabe- und Rücktrittsrechten über das Fernabsatzgesetz zum Schutz der Verbraucher inzwischen in das BGB überführt. Für individuelle, komplizierte oder erklärungsbedürftige Produkte ist auch das offensichtlich nicht die Lösung.
Um dem nicht nur bei Verbrauchern mangelnden Vertrauen und dem mangelnden Gefühl der Rechtssicherheit zu begegnen, wurden schließlich raffinierte halbautomatisierte Mediationsverfahren entwickelt, die auf Internetplattformen eingesetzt werden können und sich natürlich auch mit herkömmlichen Methoden kombinieren lassen. Märker und Trénel erwähnen die für komplexe Fälle gut geeigneten Plattformen von Zeno und ResolutionRoom. Zusammen mit einfachen E-Mail oder Foren-gestützten Kommunikationsformen kann also heute davon ausgegangen werden, daß es ein volles Spektrum funktionierender und praxis-getesteter Hilfsmittel gibt, Konflikte auch Online zu bearbeiten.
Nimmt man also an, die Gerichte seien so konstruiert, daß sie Verbraucherstreitigkeiten, insbesondere solchen, die im Zusammenhang mit dem elektronischen Handel auftreten, eher abschrecken, als fair lösen, ist zu fragen, ob Online Mediation Verbesserungen bringen kann.
Kann Online Mediation Rechtsschutzlücken schließen?
Online Mediation für den elektronischen Handel ist nicht aufzuhalten. Das läßt sich ohne Risiko prognostizieren, wo die EU umfangreiche Vorschläge für ihre Umsetzung herausgegeben hat und sogar sehr konkrete Arbeiten an einem global kompatiblen Standard für eine Schnittstelle zwischen Handels- und Konfliktlösungsplattformen finanziert. Nach hiesiger Auffassung kann Online Mediation aber nicht Ersatz, sondern nur Ergänzung eines effizienten staatlichen Rechtsschutzes sein. Online Mediation ist seiner Natur nach ambivalent. Dies wird anhand der folgenden Aspekte dargestellt, die alle grundsätzlich für Online Mediation sprechen können.
Offensichtlich kann Online Mediation einen Konflikt, der sonst vor die staatlichen Gerichte getragen werden müßte, weitaus schneller behandeln. Bietet eine Plattform für elektronischen Handel direkten Zugang zu einer unabhängigen Institution, die auf derartige Konfliktlösung spezialisiert ist, ist Hilfe sozusagen nur einen Mausklick entfernt. Auch Online Mediation kann sich über einige Zeit hinziehen. Es kann nötig sein, Beweismittel oder unabhängige Expertenmeinungen zu beschaffen. Im ungünstigsten Falle dürfte aber eine Lösung in wenigen Wochen zu finden sein – im günstigsten schon in wenigen Stunden – jedenfalls nicht zu vergleichen mit dem Gang zu staatlichen Gerichten. Schnelle und im Wege der Mediation einvernehmliche Konfliktlösung mag ein Wert an sich sein.
Schnelle Konfliktlösung hilft unter Umständen, Ressourcen zu sparen. Die teuerste ist meist die Zeit von Rechtsanwälten oder Richtern. Es ist trotz der extremen Anwaltsschwemme der letzten Jahre nicht leicht, einen Anwalt zu finden, der sich mit dem nötigen Ernst einer Streitigkeit im Wert unter 2.000 € widmet – ein Teil dieser Streitigkeiten wird von den Gerichten zudem ohne Begründung entschieden. Für viele Menschen sind das aber schon die Summen, die sie in einem Jahr sparen können – also unter Umständen ein schmerzhafter Rechtsverlust. Online Mediation kann hier nur beschränkt helfen. Auch wenn eine Online Mediation nur wenige Tage dauert, können damit viele Stunden Arbeit verbunden sein, die bezahlt werden müssen. Die Lösung liegt wohl in den halbautomatisierten Verfahren. Ob diese ausreichend Gerechtigkeit bieten, um als Angebot, eine Rechtsschutzlücke zu schließen, verstanden zu werden, bleibt zunächst offen. Solche Methoden mögen speziell denen weiterhelfen, die effizient mit den angebotenen Werkzeugen arbeiten können und über gute Kommunikationsfähigkeiten in diesem Umfeld verfügen – erkennbar eine nicht ganz ungefährliche Voraussetzung.
Online Mediation hat klare Vorteile, wenn die Beteiligten eines Konflikts andernfalls weit reisen müßten, etwa um zu dem andernfalls geltenden Gerichtsstand zu kommen. Bei Streitigkeiten in der genannten Höhe verbietet es möglicherweise schon eine einfache Wirtschaftlichkeitsberechnung, überhaupt einen Prozeß zu führen. Der Verbraucher wird aber regelmäßig am Gerichtsstand seines Wohnsitzes verklagt. Also ist dies ein Vorteil, der typischerweise dem Kaufmann/Händler zugute kommt. Nachdem solche Risiken schon in der Ware eingepreist sein sollten, kann Online Mediation mittelbar aber auch dem Verbraucher zugute kommen, wenn sich die Konflikte, die andernfalls vor einem staatlichen Gericht landen würden, effizienter online lösen lassen.
Mediation gewährt den Parteien definitionsgemäß die Autonomie, die geeignete Lösung für ihren Konflikt selbst zu finden. Nicht anders die OM. Schön ist es, wenn solchermaßen der Kuchen größer gemacht werden kann. Mediation gerät aber an ihre Grenzen, wenn die Parteien ein eindimensionales Problem haben (Geld) und Zeit bzw. Effizienz es nicht erlauben, etwas mehr in die Tiefe zu gehen. Die Lösung liegt vielleicht wiederum in den halbautomatisierten Verfahren. Offen bleibt aber, ob damit den Beteiligten – insbesondere den weniger erfahrenen Benutzern, konkret Verbrauchern, ein Zugewinn gegenüber dem sonst vor staatlichen Gerichten Erreichbaren in Aussicht steht.
Der elektronische Handel ist naturgemäß international. Die Sprache, in der das Angebot gefaßt ist, beschränkt zwar faktisch den Kundenkreis indem etwa koreanische Käufer von deutschen Angeboten ausgeschlossen werden. Schon innerhalb des deutschen Sprachraums kann aber die Frage des anwendbaren Rechts aufkommen. Innerhalb der EU ist dies zwar weitgehend zugunsten der Verbraucher geregelt. Über die EU Grenzen hinweg oder unter Kaufleuten können jedoch unkalkulierbare Risiken entstehen, etwa dadurch daß das Gericht das erste Jahr des Prozesses mit Hilfe von Experten zubringt, die zutreffende Rechtsordnung zu bestimmen. Online Mediation ist dafür kein Allheilmittel. Im internationalen Schiedsgerichtswesen ist es zwar bekannt und nicht unüblich, zu vereinbaren, ohne Rücksicht auf eine konkrete Rechtsordnung nach dem zu entscheiden, was „recht und billig“ ist. Ob eine solche Entscheidung von den Parteien gesucht wird, oder aber die nach einer bestimmten, möglicherweise streitigen Rechtsordnung kann Gegenstand einer Online Mediation sein. Die Frage des anwendbaren Rechts darf aber in der Mediation nicht ignoriert werden.
Beschränkungen der Online Mediation
Eine Vielzahl ähnlicher Vorgänge kann für denjenigen, der selbst mit dieser Vielzahl konfrontiert ist, in der Konfliktlösung Effizienzgewinne mit sich bringen. Online Mediation hat allerdings den Nachteil, daß die Ergebnisse typischerweise unter den Beteiligten vertraulich bleiben. Den Vorteil hat hier also typischerweise der Händler, da es dem Verbraucher möglicherweise gerade aufgrund der Vertraulichkeit der Mediation verborgen bleibt, daß er mit seinem Problem nicht allein dasteht. Geht es also etwa um Gefahren die von einer defekten Produktserie ausgehen, kann eine „günstige“ Einigung mit einem Kunden Gefahren für alle anderen, uninformierten bedeuten. Verbraucherverbände fordern hier also zu Recht, ein gewisses Maß an Öffentlichkeit auch für die OM, sei es durch Berichtspflichten, sei es durch stichprobenartigen Zugang für Verbände.
Mediation ist grundsätzlich vertraulich. Das durchbricht die Online Mediation teilweise. Wenngleich die im Internet mögliche, geschützte Kommunikation ein zufriedenstellendes Maß an Datensicherheit bringen kann, ist in der Online Mediation meist doch alles zumindest für einen gewissen Zeitraum dokumentiert, abrufbar und vervielfältigbar. Einschränkende Regeln diesbezüglich sind sicher wünschenswert aber nur in Grenzen zu kontrollieren. Gleichzeitig ist damit aber der Verlauf des Mediationsverfahrens hervorragend dokumentiert, vielleicht besser als nach jeder anderen Methode. Dies stärkt wiederum die Rechtssicherheit, denn alle Beteiligten und soweit zulässig und gewünscht auch Dritte, können nachvollziehen, wie es zu der gefundenen Lösung gekommen ist. Dies kann die Haltbarkeit der Lösungen stärken.
Online Mediation kann für den Händler mit der unerwünschten Konsequenz verbunden sein, daß eine größere Anzahl von Kunden, die sonst von den Aussichten staatlicher Justiz abgeschreckt worden wären, ihr Glück in dieser Konfliktlösungsmethode suchen. Für Verbraucher besteht andererseits die Gefahr, daß sie in der Online Mediation unwissentlich auf Verbraucherschutzrechte verzichten.
Der Mediator soll stets unparteiisch, oder wie es in der Szene gerne heißt „allparteilich“ sein. Für den Mediator, um so mehr für einen Online Mediator, ist es weitaus einfacher über die regelmäßigen Nutzer an Aufträge zu kommen. Die Unvoreingenommenheit eines Mediators steht dann aber aus Sicht des Verbrauchers in Frage, wenn der Mediator z.B. ständig ähnlich gelagerte Fälle für das große Online Versandhaus XY bearbeitet. Diesem Risiko kann allenfalls durch ein hohes Maß an Transparenz über derartige Beziehungen und zusätzlich durch die Möglichkeit für den Verbraucher, aus einem möglichst großen Pool von Mediatoren auswählen zu können, begegnet werden. Alle Mediatoren sollten natürlich schon Online möglichst viele relevante Informationen über sich zur Verfügung stellen. Solche Informationen können einerseits als dokumentierte Erfahrungen Vertrauen schaffen, andererseits vor einer möglichen Voreingenommenheit warnen. Gibt es dann keinen geeigneten Mediator, mag schon aus diesem Grunde der Gang zu den staatlichen Gerichten vorzugswürdig sein.
Da der Händler die zu erwartenden Konflikte besser kennen wird, als der Verbraucher, kann an dieser Stelle schon festgehalten werden, daß sich Online Mediation für den Verbraucher dann anbietet, wenn er die Möglichkeit des „opting out“ behält. Ihm sollte also in jeder Phase des Verfahrens die Möglichkeit offenbleiben, sich insbesondere an die staatlichen Gerichte zu wenden, um deren Schutz als Mindeststandard nicht zu verlieren.
Erschienen am 05.11.2003
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