Die ursprüngliche Vision des „World Wide Web“, eine global frei zugängliche Vielfalt an Informationen bereitzustellen, wird immer häufiger durch Software für „Geolocation“ unterlaufen. Diese ermöglicht es Website-Anbietern, anhand der IP-Adresse eines Nutzers dessen Aufenthaltsort zu bestimmen. Wo Datenschützer die Anonymität der Internetnutzer gefährdet sehen, wittern Online-Werber und Internet-Händler eine neue Goldgrube. Doch welche Chancen und Risiken birgt Geolocation aus Sicht der Konsumenten?
Die wenigsten Internet-Nutzer werden bisher von Geolocation (auch Geotargeting bzw. Geotracking) gehört haben. Gleichwohl kommen sie bei zahlreichen Aufenthalten im Netz damit in Berührung. Manch einer wird sich wohl schon gewundert haben, warum er beim Versuch, die englischsprachige Google-Seite
www.google.com von Deutschland aus aufzurufen, doch wieder auf der deutschen Seite gelandet ist. Vom Nutzer unbemerkt, wird im Hintergrund anhand seiner IP-Adresse sein geographischer Standort ermittelt. Die angeforderte Seite wird dann in der entsprechenden Landessprache angezeigt. Dieses Geolocation genannte Verfahren kann laut dessen Anbietern mittlerweile mit einer Trefferquote von 99 Prozent das Herkunftsland und mit sogar 80 Prozent die
Herkunftsstadt des Internet-Nutzers berechnen.
Ursprünglich für die Online-Werbebranche entwickelt, um personifizierte Werbebanner schalten zu können, kommt Geolocation-Software neuerdings immer häufiger auch in anderen Bereichen digitaler Dienste (wie Online-Casinos oder Handy-Applikationen) zur Anwendung. Web-Inhalte werden dabei je nach Aufenthaltsort des Nutzers entsprechend gefiltert und modifiziert. Manche Websites werden gar nur für bestimmte nationale oder regionale Nutzergruppen angeboten. Problematisch hieran ist nicht nur das Verfahren an sich, sondern die Tatsache, dass dem Nutzer keinerlei Information darüber zukommt, ob und wann es bei seinen Surftrips angewandt wird. Kann sich der Kunde eines Online-Shopping-Portals so noch sicher sein, ob er nicht aufgrund seines Standortes für gleiche Produkte höhere Preise angezeigt bekommt als in anderen Ländern? Möchte er dann zum Preisvergleich Seiten anderer Länder aufrufen, wird er möglicherweise wie bei
www.google.com immer wieder auf seine Heimatseite umgeleitet. Solche Eingriffe in den einst freien Informationsfluss des WWW dürften von den meisten Internet-Nutzern als Bevormundung und Ausgrenzung empfunden werden. Denn ihre Browser-Eingabe
www.google.com ist wohl weniger ein Tippfehler, als vielmehr der bewusste Aufruf der englischsprachigen Seite. Darüber hinaus widerspricht dieses Verfahren dem Grundgedanken des Internets, welchen dessen Erfinder Tim Berners-Lee, die “Allgemeingültigkeit im Web”
nennt: “ein Web – für jeden, alles und überall”.
Was für die User ein klarer Nachteil ist, eröffnet neue Chancen für private wie kommerzielle Website-Inhaber. Sahen sich diese bisher überfordert, ihre Inhalte im globalen Netz einem Patchwork an lokalen Vorschriften anzupassen, haben sie nun die Möglichkeit, mithilfe von Geolocation nur Nutzern aus ausgewählten Ländern den Zugriff auf ihre Seiten zu gestatten. Online-Casinos können so verhindern, dass ihre Angebote von Spielern aus Ländern genutzt werden, in denen das Online-Glückspiel verboten ist.
Die Möglichkeit, bestimmte Nutzergruppen gezielt auszugrenzen, kann allerdings auch schwerwiegende Folgen haben. Totalitäre Staaten wie China und Saudi-Arabien sind bereits dafür bekannt, staatskritische Seiten aus dem Ausland für die eigenen Bürger zu sperren. Sie könnten die Geolocation-Software für weitergehende politische Zensurmaßnahmen missbrauchen. Die Surfer haben keine Chance, die Anwendung von Geolocation zu unterbinden. Wenn sie überhaupt von dessen Anwendung erfahren. Anonymisierungsdienste, welche den Aufenthaltsort des Nutzers verschleiern, können nur eingeschränkt Abhilfe leisten, denn immer mehr Online-Firmen verweigern anonymen Besuchern den Zugriff auf ihre Dienste. Eine weitere Möglichkeit ist es, die Internetverbindung über einen entfernten Rechner herzustellen. Der Nutzen dieses Vorgehens zeigt sich an einem aktuellen Beispiel: Die Wahlkampfseite des amerikanischen Präsidenten
www.georgewbush.com war in der Woche vor der US-Wahl nur von Nordamerika aus erreichbar. Sie kann von anderen Orten aber über einen amerikanischen Proxyserver abgerufen werden. Die Verwendung eines Proxys verlagert das Problem jedoch lediglich: Auch dieser kann ebenso wie der PC des Nutzers aufgrund seines Standortes vom Zugriff auf bestimmte Webseiten ausgeschlossen sein.
Längst hat sich die Geolocation-Software wie ein Lauffeuer verbreitet. Verschiedenste Branchen haben sie für sich entdeckt und nutzen sie zur Verbesserung ihrer Produkte. Frei nach dem anschaulichen Motto “Go global – be local” wird neuerdings der Handy-Dienst
WorldMate angepriesen. Dieser zeigt dem mobilen Nutzer seinen Standort auf einer Weltkarte an oder versorgt ihn mit den regionalen Wettervorhersagen. Und der angeschlagenen Musikindustrie wiederum eröffnet das Verfahren ganz neue Formen der Marktanalyse: Anhand der IP-Adressen von Nutzern illegaler Tauschbörsen im Internet – den eigentlichen Erzfeinden großer Musikkonzerne – können Aussagen über die Beliebtheit bestimmter Songs in verschiedenen Ländern getroffen werden.
Diese Vorteile der neuartigen Software für digitale Dienstleister macht sich auch die Werbung zunutze. Geolocation-Anbieter stimmen ihre Werbestrategien speziell auf die Verwertung der Technologie durch die Wirtschaft ab. Dass Geolocation den Profit des Unternehmens vermehrt, verspricht nicht nur der Slogan “Because Location Matters” des kommerziellen “Geolocaters” Quova. Solange dies der Effizienz und der Kundenzufriedenheit dient, ist dagegen nichts einzuwenden. Gefährlich ist die Anwendung aber dann, wenn der Nutzer nicht mehr frei zwischen Inhalten wählen kann, und Wirtschaft oder Politik entscheiden, welche Informationen er erhält. Dass dies kein Zukunftsszenario sondern schon Realität ist, zeigen Suchergebnisseiten, welche je nach Aufenthaltsland oder -stadt verschiedene Links auflisten.
Je nach Anwendung kann Geolocation demnach für den Konsumenten sowohl einen Segen als auch eine Einbuße an Informationsfreiheit bedeuten. Der Geolocation sollten Grenzen gesetzt werden, damit das noch weltumspannende Netz nicht in kleine regionale Netze aufgespalten wird. Andernfalls wird es für Nutzer bestimmter Webangebote aufgrund ihres Standortes wohl bald immer häufiger “Ich bin draussen!” heissen.
Weiterführende Links:
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www.quova.com
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http://www.cnn.com/2004/TECH/internet/07/12/borders.online.ap/
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http://news.bbc.co.uk/2/hi/technology/3958665.stm
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http://www.georgewbush.com
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http://www.mobimate.com/s60/worldmate/
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http://www.heise.de/tr/artikel/52516/4
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http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/427/41386/
Erschienen am 11.11.2004 Wir nutzten Cookies zur Verbesserung des Erlebnisses unserer Webseite. Wenn du die Website weiter nutzt, gehen wir von deinem Einverständnis aus. |