Suchen Sie eine neue Bleibe? Im "Tower of Power" über der Kuppel
des Reichstags sind noch Zimmer frei. Der "Ultimedia-Künstler" Hermann
Josef Hack hat die virtuelle Baustelle eröffnet und fortan können
alle Bewohner den Politikern beim Regieren auf die Finger schauen.


Bisher strahlte sie licht und klar über die Dächer Berlins, das Symbol der neuen deutschen
Demokratie: die Foster-Kuppel des Reichstags. Seit gestern jedoch gibt es eine Baustelle über
der Glaskuppel: den Tower of Power.

Zwar existiert das Projekt des "Ultimedia-Künstlers"
Herrmann Josef Hack nur virtuell, dafür kann aber die gesamte
deutsche Bevölkerung in das Hochhaus über dem Reichstag einziehen und den Politikern durch
die Glaskuppel auf die Finger schauen. Und je mehr Menschen ein
Zimmer in der virtuellen WG
beziehen, desto höher wächst der Tower of Power.

Was sich wie ein digitale Spielerei ausnimmt, wird von einem ernsten politischen
Gedanken getragen: Hack möchte die Bürger näher an die Politik rücken lassen und den
Politikern einen besseren Kontakt zum Volk ermöglichen. Volk, das bedeutet für Hack die
Gemeinschaft jenseits von Green Card, Passbesitz und Ländergrenzen.
Jeder, dem die politische
Sphäre zu fern und weltfremd erscheint, kann sich ihr im Reichstagsturm wieder nähern, denn
die Luft über der Kuppel gehört niemandem und jedem.

Das Internet übernimmt für das Projekt eine Schlüsselfunktion. Es bietet die Möglichkeit
der politischen Simulation, schafft einen Ort, den es nur in der Vorstellung gibt und
transferiert ihn über seine Bedeutung in das reale öffentliche Leben.
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Das Gedankenspiel mit
der politischen Teilhabe kann in dem Moment aufleben, wo wirklicher Austausch stattfindet.
Deshalb steht und fällt das Projekt "Tower of Power" auch mit seinen Bewohnern. Je mehr
Menschen dort ein Zimmer beziehen, Kontakt zu den Nachbarn suchen und sich politisch äußern,
desto mehr nimmt der Wolkenkratzer über dem Reichstag Gestalt an.
Und vollends in die reale
politische Öffentlichkeit geht der Turm über, wenn auch die Politiker sich für das
Geschehen im Turm interessieren, vielleicht sogar ein Zimmer beziehen.
Die bei der
Eröffnung in Berlin anwesenden Abgeordneten Cem Özdemir und
Grietje Bettin haben
ihre Kisten für einen Umzug jedenfalls schon gepackt.

Der Künstler und die anwesenden Politiker
Auch die virtuelle Welt ist ein öffentlicher Raum und Hermann Josef Hack stört,
dass die Politiker "den Kontakt zu jenen, die an der Gestaltung des öffentlichen Raumes
unserer Jetztzeit aktiv beteiligt sind, nämlich des öffentlichen Raumes in der digitalen
Welt" verloren haben.
Gerade jüngere Menschen sind seiner Ansicht nach oft gleichermaßen
im Internet zu Hause wie sie sich der politischen Sphäre entfremdet fühlen. Im Tower of
Power sollen diese beiden Welten ganz nah aneinanderrücken, so dass Personen und Ideen
zwischen dem Sitzungsaal unter der Kuppel und dem Wohnturm darüber hin- und her
difundieren können.

Einzelne Touristen, die der symbolischen Eröffnung vorm Reichstag zufällig beiwohnen,
finden Herrn Hacks Idee seltsam: "Die Politik machen doch die da drinnen und wir hier
draußen gehen zu Wahl."
Hack ist das nicht genug. Der freie Künstler, der von 1990 bis
1998 Kunstbeauftragter des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft
war, verortet sich gerne in der Nähe von
Josef
Beuys
und dessen sozialer Plastik. Und in diesem Sinne des Ausgreifens der Kunst in den
Raum berühren seine Projekte immer wieder das Thema der Teilhabe am öffentlichen Leben.
Ob er dazu einen Teppich aus den Socken von erwerbslosen Menschen flicht oder aber den
Himmel über Köln aufteilt und von Obdachlosen verkaufen lässt, die vom Erlös kostenlose
Netzzugänge bekommen, es geht ihm immer um das Sichtbarmachen von sozialen und medialen
Räumen, die aus der alltäglichen Wahrnehmung verdrängt werden. Und ein solcher vergessener
Raum ist eben auch die breite politische Beteiligung aller an dem, was im Land geschieht.
Der Tower über dem Reichstag verschafft als Wachturm den Einblick in den Sitzungssaal
und als Aussichtsturm einen Überblick der Themen, die das Land bewegen.

Eigentlich hätte Hack gerne mit dem Bundestagspräsidium zusammengearbeitet und das
Projekt direkt an die große Politik gekoppelt. Doch dort konnte man mit dem virtuellen
Projekt wohl nicht so viel anfangen und deswegen eröffnete Hack seine Baustelle auf der
Site von Metropolis
einer der größten deutschen Comunities im Netz.
Über die vielen Metropolis-User hofft Hack seine Polit-WG
aufzustocken. Um auch Menschen zu erreichen, die nicht täglich im Internet unterwegs
sind, bemüht sich Hack zugleich darum, ein Terminal im Besucherbereich des Deutschen
Bundestages aufstellen zu dürfen, von dem aus die Reichstag-Touristen dann zu
Aktivisten werden können.

Da geht's nach oben...Grietje Bettin, medienpolitische Sprecherin der Bundestagfraktion der Grünen,
findet die Idee des Künstlers "klasse". Neue Formen der Politik müssten gefunden werden,
um diesen Bereich auch für die Jüngeren interessant zu machen, meint die Jung-Politikerin,
die mit einem gelben Bauhelm auf dem Kopf der Turm-Eröffnung beiwohnt: "Der Bereich Internet
und Politik hat soviel Potential, das noch lange nicht ausgeschöpft ist".
Auch Cem Özdemir
meint, dass die spielerische Volksbeteiligung mit ernstem Hintergedanken den Spaß an
politischen Diskussionen fördern wird: "Es werden bestimmt nicht alle Abgeordneten
im Turm vorbeischauen, aber die meisten wird es schon interessieren was da passiert."

Die Eröffnung des Turms übernahm Rainer Eppelmann mit einem Spatenstich ins
lehmige Erdreich am Reichstag. Der CDU-Politiker wird auch einer der ersten Chatgäste
im Tower of Power sein. Hack will, dass möglichst viele Politiker aller Richtungen zumindest
als Gäste im Turm vorbeischauen.
Erreicht werden kann das, so hofft der Ultimedia-Macher,
indem der Tower so stark frequentiert wird und so hoch wächst, dass ihn niemand mehr
übersehen kann.

Das Netz, so der rheinische Künstler, gehört eben so wenig wie die Politik einer
bestimmten Gruppe. Und das kulturelle und politische Klima, so lautet seine Vision,
hat eine Chance auf Veränderung "wenn man das Besetzen des Cyberspace nicht allein den
Medienmoguln überlässt".
Zwischen dem 11. und dem 13 Oktober hat Hack bereits den
Zimmerstand eines größeren Hotels erreicht: 257 Zimmer im Tower of Power sind bereits
bewohnt, viele Tausende sollen es noch werden.