Puzzle-BildDie Piraten erlauben ihren Anhängern, was die etablierten Parteien in ihren Satzungen bislang ausschließen: die Mitgliedschaft in einer weiteren Partei oder Wählergruppe. Unsere Interviewpartnerin Nina Galla, Grünen-Mitglied aus Hamburg, hat den Schritt gewagt und ist am 11. Mai dieses Jahres der Piratenpartei beigetreten. Allerdings ohne Bündnis90/Die Grünen den Rücken zu kehren. Jetzt hofft sie, dass sie dort nicht rausgeworfen wird.

Doppelmitgliedschaft in zwei miteinander konkurrierenden Parteien – geht das überhaupt? Wo liegen Chancen, wo verbergen sich Risiken? Und: welche Rolle spielt dabei der digitale Wandel? politik-digital.de hat bei Nina Galla nachgefragt.

politik-digital.de: Frau Galla, fühlen Sie sich eigentlich als grüne Piratin oder als Piraten-Grüne?

Nina Galla:
Ich bin Pirat mit einem ausgeprägten Interesse an Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Diese Themen werden bei der Piratenpartei selbstverständlich auch mit viel Engagement und Fachwissen behandelt und das war unter anderem auch ausschlaggebend für den Wechsel. Wenn ich mich als „grün“ bezeichne, dann eher im ökologischen als im politischen Sinne.

politik-digital.de: Für die Grünen wollen Sie sich aber dennoch engagieren?

Foto von Nina GallaGalla: Wenn es die Zeit erlaubt, spricht nichts dagegen, auch mit den Grünen zu arbeiten. Hier in Hamburg arbeiten Piraten und Grüne schon erfolgreich in einem Bündnis gegen ACTA zusammen, außerdem haben wir in einem anderen Bündnis gerade das Hamburger Transparenzgesetz auf den Weg gebracht. Die Erfolge der Zusammenarbeit und das gute Miteinander sprechen dafür, dass es auch in Zukunft Kooperationen geben wird. Ich persönlich sehe mich bei den Grünen derzeit eher als Unterstützung für Kooperationsansätze, weniger als dauerhaft aktiven Teil einer Arbeitsgruppe. Auch die Besetzung von Ämtern oder gar Übernahme von Mandaten stelle ich persönlich vorerst zurück, würde sie wenn überhaupt aber für die Piratenpartei anstreben.

politik-digital.de: Inhalte oder Politikstil – was war für ihren Beitritt ausschlaggebend?

Galla: Mich hat die Innovationskraft der Piratenpartei angesprochen, überzeugt haben mich die bürgernahen und modernen politischen Konzepte, die Werte und Ziele der Partei sowie die sachbezogene Arbeitsweise. Bei den Piraten finde ich die politische Entsprechung meiner privaten Lebens- und Kommunikationsweise. Ich bin freiberuflich, daher viel unterwegs und nahezu ständig online. Die Strukturen und Tools der Piratenpartei ermöglichen mir, trotz dieses Lebenswandels politisch aktiv zu sein und Prozesse mitzugestalten und anzuschieben.

politik-digital.de: Wo liegen die Vorteile einer Doppelmitgliedschaft?

Galla: Für mich stehen drei Vorteile im Vordergrund, die die politische Arbeit erleichtern:
1. Eine Doppelmitgliedschaft verhindert Mitgliederschwund und das aus der Wirtschaft bekannte „brain drain“ auf Seiten der Partei, in der die erste Mitgliedschaft bestand und die üblicherweise bei einem Parteiwechsel verlassen wird: Eine Mitarbeit ist zwar auch ohne Mitgliedschaft möglich, aber eine tatsächliche Einflussnahme durch Stimmrechte findet nicht statt. Die Motivation, sich ohne Stimmrecht für eine Partei zu engagieren ist logischerweise begrenzt. Außerdem fördert ein dauerhafter Wissensaustausch die Kompetenzen beider Parteien.

2. Doppelte Mitgliedschaften bedeuten Mitgliedsbeiträge und damit dringend benötigte finanzielle Unterstützung für beide Parteien.

3. Eher psychologisch wirkt der dritte Vorteil, dass durch Doppelmitgliedschaften der Weg zum politischen Wettbewerber kürzer wird – arbeiten Mitglieder beider Parteien regelmäßig zusammen und fühlt sich das Mitglied beiden verbunden, wirkt sich das positiv auf das Gesamtverhältnis aus. Parteien sollen sich zwar voneinander abgrenzen, aber das aktuell praktizierte Konkurrenzdenken und Angriffe wirken auf den Wähler unsympathisch und schrecken ab. Die Abgrenzung sollte allein auf der Sachebene stattfinden. Wir sollten und können dem Wähler zutrauen, dass er auch bei enger Kooperation von Parteien seine Wahlentscheidung treffen kann.

politik-digital.de: Die exklusive Mitgliedschaft in genau einer Partei hat sich mit dem Internet-Zeitalter also überholt?

Galla: Das mache ich nicht am Internet-Zeitalter fest. Ich bin Anfang der 70er Jahre geboren, für mich ist eine größtmögliche Wahlfreiheit selbstverständlich.

politik-digital.de: Aber das Internet bietet die Möglichkeit, Parteiarbeit neu und anders zu organisieren…

Galla: Ja. Hier kommt der digitale Wandel meiner Meinung nach voll zum Tragen. Mein Berufsalltag lässt es nicht zu, dass ich an zahlreichen Sitzungen an einem festen Ort teilnehmen kann und das gilt für sehr viele andere Menschen auch. Noch keine andere Partei hat es verstanden oder vermocht umzusetzen, politisch interessierte Menschen mit wenig Zeit für Präsenztermine ernsthaft online in die aktive Arbeit einzubeziehen. Dabei ist das Internet nicht neu und die Piraten sind nicht die Erfinder von Liquid Feedback, pads oder Twitter. Dennoch sind sie die ersten und bisher einzigen, die das Internet zur Partizipation und Kollaboration ausgiebig und in der ganzen innerparteilichen Breite nutzen. Die in der Partei engagierten Piraten sind größtenteils voll berufstätig – ein politisches Amt unter diesen Umständen zu übernehmen war bisher schlicht nicht möglich. Die Kritik an der oft genannten Politikverdrossenheit ist unter anderem auch aus diesem Grund falsch. Viele Menschen sind vielmehr partei- und politikerverdrossen zu den Piraten gekommen. Unflexible Strukturen und Arbeitsweisen sind ein Grund für diese Verdrossenheit.

politik-digital.de: Das Internet begünstigt also doppelte Parteimitgliedschaften?

Galla: Das Netz bietet die Möglichkeit, politisch aktiver zu sein als noch vor einigen Jahren. Das schließt ein, dass theoretisch mehr Mitarbeit möglich ist. Sowohl für die eigene, als auch für eine andere Partei. Voraussetzung ist, dass beide Parteien diese onlinebasierten Partizipations- und Kollaborationstools anbieten.

politik-digital.de: Aus ihrer Sicht also ein Modell für die Zukunft…

Galla: Wir haben derzeit noch keine praktischen Erfahrungen mit Doppelmitgliedschaften und es gibt bestimmte Bedingungen, die bei einer Doppelmitgliedschaft gelten müssen, zum Beispiel bei aktivem und passivem Wahlrecht. Wenn Wege gefunden werden, das zu organisieren, werden die Zeit und vor allem der erste Wahlkampf zeigen, wie es funktionieren kann. Vorbild für die anderen Parteien sollte definitiv der souveräne Umgang mit Doppelmitgliedschaften und die generelle Offenheit und Transparenz der Piratenpartei sein.

politik-digital.de: Eine Doppelmitgliedschaft in zwei miteinander konkurrierenden Parteien: Könnte das nicht doch hin und wieder für Probleme sorgen, vor allem in Wahlkampfzeiten?

Galla: Es gilt, die Bedingungen für eine Doppelmitgliedschaft so auszugestalten, dass die Problemwahrscheinlichkeit minimiert wird. Befürchtet wird von Kritikern vor allem eine Einflussnahme von konkurrierenden Parteien aus taktischen Gründen. Und das ist zum Teil auch verständlich. Neben technischen und organisatorischen Fragen müssen in diesem Regelungsprozess auch emotionale Vorbehalte berücksichtigt werden. Das Ziel sollte also sein, zunächst zurückhaltend mit dem Instrument Doppelmitgliedschaft umzugehen. Das kann zum Beispiel bedeuten, den Grad der Einflussnahme in der Partei, in der das Doppelmitglied nicht seinen Arbeitsschwerpunkt hat, so zu beschränken, dass nur Wahlmöglichkeiten zu Kernthemen oder bei bestimmten Veranstaltungen zulässig sind. Mit den neuen Aufgaben und Herausforderungen umzugehen, habe ich mir vorgenommen. Ein Versuch ist es mir wert!

Nina Galla ist freiberufliche Kommunikationsberaterin aus Hamburg mit Schwerpunkt auf Technologie-Themen und Digitales. Seit Ende 2009 engagiert sie sich für netzpolitische Themen und Politik in Zeiten des digitalen Wandels. Seit Ende 2010 ist Nina Galla Mitglied bei den Grünen/Bündnis90 in Hamburg, seit Mai 2012 ebenfalls Mitglied der Piratenpartei Hamburg.

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