Eine Studie aus den USA zeigt: So viele sind es gar nicht, die im Internet die oft beschworene Weisheit der Vielen entwickeln. Tatsächlich kann im Mitmachinternet lediglich eine Handvoll extrem aktiver Nutzer den Ton für viele andere vorgeben. Daran krankt besonders das politische Web.

Dass Randgruppen im Internet ihre geringe Größe durch gesteigerte Aktivität wettmachen können, hat eine Studie ergeben. Die Forscher um Vassilis Kostakos nahmen sich mehrere Millionen von Nutzern erstellte Bewertungen beim Internetversandhändler Amazon, der Internet Movie Database (IMdB) und dem Bücherportal Bookcrossing vor. Ihr Ergebnis: Kleine Gruppen aktiver Nutzer können durch Mehrfachabstimmen das Ergebnis einer ganzen Community verfälschen.

User stimmten hundertfach ab

Nach Kostakos Studie bewerteten beispielsweise nur etwa fünf Prozent der Amazon-Nutzer mehr als zehn Produkte. Einige wenige vergaben aber mehrere hundert Mal ihre Stimme. Das Ergebnis bewegte sich von der für die Community eigentlich repräsentativen Meinung weg. Zwei oder drei extrem aktive Nutzer mit 500 oder mehr Bewertungen können laut Kostakos das Gesamtergebnis nachhaltig verändern.

Screenshot Voting

Screenshot eines Online-Votings

Beobachtet man politische Diskussionen im Netz, potenziert sich häufig die von Kostakos für Produktbewertungen festgestellte Fehleranfälligkeit. Nicht umsonst gibt es beim Smalltalk drei goldene Regeln: Kein Sex, keine Religion, keine Politik. Zu oft setzen bei diesen Themen der gesunde Menschenverstand und anerkannte soziale Verhaltensweisen aus. Extreme und abseitige Meinungen –  bei politischen Themen häufiger anzutreffen als bei unverfänglichen – bekommen im Internet durch gesteigerte Penetranz der Urheber mehr Gewicht als ihnen in der Community eigentlich zustünde.

Ideologen besonders penetrant

Ideologen verändern besonders gerne per Mehrfach-Klick das Ranking  oder veröffentlichen Beiträge in hoher Frequenz. Hinzu kommt, dass sich an politischen Diskussionen nur eine Minderheit der Nutzer aktiv beteiligt. Die überwiegende Anzahl liest ausschließlich mit, einige wenige nutzen niedrigschwellige Mitmachmöglichkeiten wie Klick-Bewertungen und nur sehr wenige kommunizieren aktiv.

Minderheitenmeinungen haben es unter diesen Bedingungen noch leichter, Netzdiskurse zu dominieren. Beobachten kann man dieses Phänomen beispielsweise bei den Bürgerfragen an Abgeordnete beim Portal Abgeordnetenwatch, der Dominanz der Piratenpartei im Online-Wahlkampf oder auch bei den Chats von politik-digital.de. Kein Wunder also, dass manche Politiker das Internet als Hort der Irren sehen oder bei Direktkommunikation mit Bürgern entnervt aufgeben.

Neue Werkzeuge, neue Probleme

Bisher haben Betreiber von Diskussionsportalen neben technischen Maßnahmen wie Begrenzung der Stimmen pro Nutzer auf die Weisheit der Vielen gesetzt. Je mehr Menschen sich aktiv beteiligen, desto weniger Chancen haben Randgruppen, sich prominent zu positionieren – dachte man. Stimmt jedoch ein Nutzer wie in Kostakos Studie mehrere hundert Male ab, braucht es mehrere hundert andere User, um das Ergebnis repräsentativ zu halten. Offenbar müssen also  Werkzeuge entwickelt werden, die penetrante Nutzer eindämmen, wenn eine Repräsentativität für die teilnehmende Community gewünscht ist.

Erste Ideen zur Verbesserung der Repräsentativität wiederum sind meist mit Einschränkungen für die Durchschnittsnutzer verbunden. So könnte man sichtbar machen, wie oft ein Nutzer abgestimmt hat. Dazu braucht man aber einen Registrierungsprozess, der den durchschnittlichen Nutzer eher abschreckt. Kostakos schlägt vor, Abstimmungen erst ab einer gewissen Menge an Bewertungen freizuschalten. Gerade im politischen Web kommt es dann aber erfahrungsgemäß zu Zensurvorwürfen aus der Community, die den Kommunikationsaufwand für Portalbetreiber extrem erhöhen.