Seit knapp drei Wochen ist der Entwurf „Digitale Agenda“ der Bundesregierung geleakt – und er brachte Bewegung in die Sommerpause. Medien, Opposition und nicht zuletzt die Netzszene arbeiten sich seitdem empört daran ab. Die Aufgaben sind groß, die Erwartungen noch größer. Was will dieser Entwurf, der alles ankündigt, aber nichts verspricht? Wir führen die Kernpunkte auf und haben Branchenkenner nach ihrer Einschätzung gefragt.
Im Englischen gibt es für das, was wir im Deutschen als „Politik“ bezeichnen, drei unterschiedliche Begriffe. „Policy“, das sind die Inhalte, die Ziele, die Politik erreichen will. Der zweite Begriff, „polity“, beschreibt das Gefüge der staatlichen Institutionen untereinander, den Aufbau des Systems. Das englische „politics“ schlussendlich ist das, was wir als „Prozess“ verstehen würden, die Interaktion aller Akteure, die mit Politik in Berührung kommen. Hierzu gehören auch Lobbyisten, Experten – und natürlich die Bürgerinnen und Bürger. Auch der Weg, auf dem eine „Digitale Agenda“ vorab ihren Weg in die Medien findet, ist so ein politics-Vorgang.
Diese dreifache Unterscheidung ist hilfreich, wenn man die Reaktionen auf das Papier verstehen will.
Da ist zum einen der Entwurf selbst, der genau genommen wie ein Eingeständnis von Überforderung wirkt: Die Digitalisierung betrifft alle Lebensbereiche, häufig auch solche, mit deren Regulierung Politik sich traditionell noch nie beauftragt gesehen hat. Dieser „Revolution“ kann mit den klassischen Mitteln der Politik schwierig begegnet werden, weil sie sich nicht an Ressortzuschnitte hält, wie schon die umständliche Aufteilung der Zuständigkeit auf drei Minister aus drei Parteien zeigt.
Die Digitale Agenda behandelt darüber hinaus nicht nur Inhalte (policy), zum Beispiel in der Frage: „Wie sollen UrheberInnen im Internet künftig geschützt werden?“ Sie ist auch eine Herausforderung an unsere politische Struktur (polity): „Wie können BürgerInnen durch das Internet stärker an der Gesetzgebung beteiligt werden?“ Und dass es sich beim Entwurf der Digitalen Agenda auch um einen Prozess (politics) handelt, machen schon die letzten Wochen deutlich: Denn so ganz eindeutig ist die Frage, wer denn nun für die Digitalisierung zuständig ist, noch immer nicht beantwortet.
Alles auf einmal, und zwar jetzt!
Wenn man sich mit viel gutem Willen durch das Papier gekämpft hat, fühlt man sich zunächst einmal erschlagen. Die Bundesregierung möchte alles, am besten gleichzeitig und auch noch heute. Alle drei Dimensionen der Politik sollen abgedeckt werden – irgendwie: Im so genannten „Grundsatzteil“ ist das am besten ersichtlich. Hier geht es darum, „allen (…) einen Breitbandanschluss zu ermöglichen“, wenige Zeilen später aber schon um Cyberkriminalität und Terrorismus. Es folgt die Ansage, dass niemand (gemeint ist in erster Linie Google) seine „marktbeherrschende Stellung“ im Internet missbrauchen soll. Zuletzt wird anerkannt, das Internet sei „Innovationstreiber“ und stärke die Demokratie. Doch es geht noch grundsätzlicher: Das Internet soll „gutes Arbeiten“ ermöglichen, die „Bildung verbessern“ und den „demografischen Wandel bewältigen“. Warum werden dann eigentlich nicht noch mindestens die Ministerinnen Nahles und Wanka dazu gerufen?
Wir machen das (nicht alleine)!
Der folgende Abschnitt gibt zwar keine Antwortdarauf, macht aber das Grundproblem deutlich: Hier geht es darum, die Verantwortung an sich zu reißen und gleichzeitig weit von sich wegzuschieben:
„Diese Antworten können von keinem alleine gefunden werden – weder von der Politik, noch der Wirtschaft oder der Zivilgesellschaft. Vielmehr bedarf es eines ständigen Austausches (…) zwischen allen am digitalen Alltag Beteiligten. Dabei werden viele der Herausforderungen sich im nationalen Rahmen allein nicht lösen lassen. Unsere Antworten müssen (…)in einem europäischen und internationalen Kontext stehen.“
Böse Zungen könnten diesen Abschnitt übersetzen mit: „Schaut mal, wir nehmen jetzt das Heft in die Hand und wir kennen auch die großen Themen – aber so richtig wollen wir uns den Schuh dann doch nicht anziehen!“
Dabei steckt in dem Entwurf, das muss man betonen, viel Gutes. Die Bundesregierung scheint auf keinen Fall den „Neuland“-Eindruck von Netzamateuren bestätigen zu wollen, den die Bundeskanzlerin so ungeschickt in die Welt gesetzt hatte. Und tatsächlich kann man der Regierung nach der Lektüre nicht vorwerfen, sie kenne nicht die relevanten Themen: Die Zahl der Neugründungen von Internet-Start-Ups soll angehoben werden, der Breitbandausbau dort gefördert werden, wo er sich wirtschaftlich nicht lohnt. Netzneutralität soll gesetzlich verankert werden, die Datenschutz-Grundverordnung der EU auch. Bürgerinnen und Bürger sollen Medien- und Technologiekompetenz sammeln. Industrie 4.0 soll Produktionsprozesse intelligent gestalten, alle zusammen smarte Autos fahren und somit die Verkehrssicherheit erhöhen. Und beim Thema Verschlüsselung soll Deutschland internationale Spitze sein. Schließlich noch der Datenschutz: „modern und auf hohem Niveau“ lautet der Anspruch.
Hinter all den guten Zielen ist aber nicht wirklich ein kohärentes Konzept zu erkennen. Vielleicht muss man hier zugestehen: Wie könnte es auch? Dem Anspruch, auf allen Gebieten gleichzeitig zu glänzen, kann man nicht gerecht werden. Und deshalb wird in dem Text auch kaum einmal geschrieben, bis wann welches Ziel eigentlich durchgesetzt werden soll, geschweige denn mit welchem Geld. Zahlen finden sich im ganzen Entwurf bislang so gut wie nicht. Lediglich an einer Stelle heißt es, dass 10. Millionen Euro in den Breitbandausbau investiert werden sollen. Das ist aber, wie Jürgen Grützner für den Branchenverband Verband der Anbieter von Telekommunikations- und Mehrwertdiensten e. V. (VATM) verlauten lässt, einerseits eine „lächerliche Summe“ und andererseits nur ein Verweis auf den aktuellen Bundeshaushalt. Durchsucht man den Text, findet man 22 Mal die Formulierung „wir werden“. Es folgen wichtige Ziele, keine konkreten Pläne.
Die Reaktionen
Dementsprechend sind sich auch Medien, Opposition und IT-Branche einig: Die Begeisterung hält sich in Grenzen. Bitkom-Chef Kempf lässt sich zitieren, der Entwurf sei ein Beleg dafür, dass die Bundesregierung „die Zeichen der digitalen Zeit nicht erkannt habe“, das Tech-Portal Curved, betrieben von der E-Plus Gruppe, beschreibt ihn als „heiße Luft“. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft schließt sich an und findet das Papier „mehr als ernüchternd“.
Die taz spricht von „Löchern in der Agenda“. Spiegel Online titelt: „Drei Minister, eine Enttäuschung“. tagesschau.de allerdings wiegelt ab: „Die Aufgabe ist riesig und der Kabinettsbeschluss nur der erste Schritt“.
Die Grünen, vertreten durch ihren netzpolitischen Sprecher Konstantin von Notz, sprechen erwartungsgemäß von „Ankündigungspolitik“ in einem „ganz dünnen Papier“. Auf Twitter wird von Notz noch deutlicher und bezeichnet das Papier als „digitalen Rohrkrepierer”.
Nachgefragt: Expertenmeinungen zur Digitalen Agenda
Auch wir von politik-digital.de haben nach dem Bekanntwerden der Digitalen Agenda bei einigen Experten nachgehakt. Ziel war es, Stimmen zu hören, die weder aus einem kommerziellen Interesse noch aus einer politischen Position heraus Beurteilungen abgeben. Aber auch hier werden völlig unterschiedliche Perspektiven und Prioritäten deutlich, während sich im Fazit alle einig sind.
Simon Rinas vom Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft kritisiert, dass schon die „Architektur des Bundestagsausschusses Digitale Agenda die Erwartungen nur teilweise erfüllt“ hat. Der Bundestagsausschuss sei einer der „zweiten Ordnung“, weil seiner Arbeit die „Kompetenzansprüche der anderen Ausschüsse entgegenstehen“. Von Inhalt des Entwurfs der Bundesregierung ist er nicht überrascht, er sieht darin vielmehr einige bekannte Vorlagen aufgewärmt, die schon lange bekannt waren, so zum Beispiel die Digitale Verwaltung 2020:
„Einzig das mehr oder minder klare Bekenntnis zur Netzneutralität ist interessant.“
Mathias Schindler, Projektmanager bei Wikimedia Deutschland, legt seinen Fokus ganz woanders, obwohl auch er sich „enttäuscht“ zeigt vom Entwurf der Bundesregierung:
„Er krankt daran, keine konkreten Maßnahmen zum Beispiel im Bereich Open Government zu benennen“.
Auch beim Thema Open Data sei hier erneut „eine von mehreren Gelegenheiten“ verpasst worden.
Aylin Ünal, beim Berliner Informationsdienst zuständig für Netzpolitik, kritisiert:
„Der Entwurf bleibt durchgehend auf unspezifische Absichtserklärungen beschränkt. Wichtige Handlungsfelder werden teilweise nur schlagwortartig erwähnt.“
Besonders bedauerlich findet sie, dass beim Breitbandausbau keine konkreten Maßnahmen genannt werden: „Die Gigabit-Gesellschaft, die Wirtschaftswachstum und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht, bleibt in weiter Ferne.“ Sie hofft, dass der Bundestagsausschuss Digitale Agenda nach der Sommerpause auch bei den Themen Cyberspionage und Datenschutz aktiver wird.
Tobias Schwarz ist Projektleiter bei netzpiloten.org und kritisiert, dass schon für den Ausschuss Digitale Agenda im Bundestag klar war, dass er auf Grund seiner beschränkten Kompetenzen „keine netzpolitische Instanz“ werde. Mit Bezug zum vorliegenden Entwurf der Bundesregierung bemerkt er ironisch:
„Vor 15 Jahren war ein solches Papier noch ein wichtiger Meilenstein. Inzwischen hätte die Politik weiter sein müssen“.
Das Thema Open Government hält er hierin für „unterentwickelt“. Außerdem stehe eine Reform des Urheberrechts dringend aus.
Fazit
Sowohl in den Medien als auch in den Meinungen unserer Experten wird deutlich, dass an die Digitale Agenda der Regierung völlig unterschiedliche Anforderungen in allen Dimensionen der Politik gestellt werden –Stichwort policy, polity, politcs. Das Problem ist, dass die Regierung scheinbar ernsthaft versucht, alle diese Interessen zu bedienen. Das ist angesichts von Schuldenbremse und der „schwarzen Null“ schlicht nicht realistisch und lässt schnell den Verdacht aufkommen, es handele es sich um puren Aktionismus. Eine Bundesregierung aber muss in der Lage sein, nicht nur Probleme und Ziele zu benennen, sondern diese in konkreten Projekten umzusetzen.
Dafür wird es nötig sein, manche Ziele als wichtiger einzustufen als andere. Damit macht man sich nicht beliebt. Die Reaktionen in der Öffentlichkeit zeigen aber: Mit der Methode „Alles ankündigen und nichts konkretisieren“ auch nicht.
Ob das noch geschieht, bleibt abzuwarten. Die FAZ warf schon die Frage in den Raum, ob das Papier nicht bewusst an die Presse gegeben wurde. Dann wäre es nur ein Testballon, um die Reaktionen abzuwarten – um diese in einer späteren Version zu berücksichtigen. So eine geschickte politics-Methode hätte man den Autoren des Entwurfs nach dem ersten Lesen gar nicht zugetraut. Möglich ist aber auch, dass der Entwurf nur Fassade ist, während die eigentlichen Projekte der Digitalen Agenda längst im Hintergrund voran getrieben werden. Ein mögliches Thema hier wäre die interne Kommunikation der Bundesregierung, die in dem Papier nur sehr oberflächlich angerissen wird.
Der Eindruck erhärtet sich, seit auch ein zweiter Leak im Umlauf ist, der eine „ressortabgestimmte“ Version darstellt. Große Veränderungen sind in dieser aber nicht zu finden: Die Urheberrechtslobby kriegt noch ein paar Zeilen mehr zugestanden. Und der Verfassungsschutz soll mit mehr Mitteln ausgestattet werden um Cyberterrorismus, Wirtschaftsspionage und politische Extremisten aufzuspüren. Wieder drei auf einmal.
Foto: Martin Rulsch
Die Kritik an dem Entwurf der “Digitalen Agenda” ist IMHO in vielen Punkten berechtigt, ich glaube aber nicht, dass dies daran liegt, dass die Regierung sich “übernommen” hat.
Schließlich kann man auch ohne viel Geld viel erreichen. Das stimmt vor allem in einem Punkt, der aus meiner Sicht bisher viel zu wenig beachtet wurde: der Bedeutung, die die BReg dem Thema Internet Governance auf internationaler Ebene geben will.
So soll Internetregulierung ein zentrales Thema bei der deutschen G7-Präsidentschaft 2015 werden und die Regierung will sich auch stärker auf EU-Ebene einbringen. Beides wäre bereits ein riesiger Schritt nach vorne:
http://www.danielflorian.de/2014/07/23/wie-der-digitale-binnenmarkt-uns-vor-spitzeln-schuetzt/
Vielen Dank für die Anmerkung!
Ich teile ihre Einschätzung an dem Punkt, dass nicht jedes einzelne Projekt, das Chancen der Digitalisierung nutzt, per se kostenimplizierend ist. Allerdings zielt die Kritik, die BReg habe sich “übernommen” nicht nur auf den Preis sondern auch die unzähligen Arbeitsfelder an, die mit dem Entwurf aufgemacht werden. Ich halte es nicht für realistisch dass diese alle gleichzeitig bearbeitet werden.
Mit Bezug zu ihrem Artikel muss ich allerdings widersprechen, da auch die Angleichung der IT-Sicherheitsstandards im europäischen Binnenmarkt Kosten mit sich bringt. Über den Weg der Solidarfinanzierung in der EU sind das auch Kosten für Deutschland. Trotzdem halte ich das von ihnen angesprochene Vorhaben für richtig!
Es ist durchaus wahrscheinlich, dass man bis 2017 über eine ganze Reihe dieser Ankündigungen nicht hinauskommt.
Ein bewusst? vage formulierter Entwurf verzögert/vermeidet auch die Festlegung der Finanzierung. Darum :
Wann wird ein konkreter Meilensteinplan der Digitalen Agenda der Öffentlichkeit vorgelegt ? Wie hoch sind die Finanzmittel in herkömmliche Infrastruktur wie Strassenbau und öffentliche Verkehrsmittel
im Vergleich zur Förderung der Kommunikationstechnik ?
Stellungnahmen des Finanzministers, der Wirtschaftsinstitute und Volkswirte dieser Republik werden die digitale Wunschliste auf den Boden der Tatsachen zurückholen müssen. Die nächste Bundestagswahl wird bei diesem Thema auch davon beeinflusst,
ob den täglich im Autobahnstau stehenden Bürgern klar wird, dass ein Arbeitsplatz zu Hause aus wirtschaftlicher und ökologischer Sicht vorteilhafter sind – für jeden Einzelnen wie für den Staat.
Täglicher Pendelverkehr mit CO2-Ausstoss, mautfinanziertem Strassenbau und Gesundheitsschäden Contra moderner Industrie 4.0 aus dem HomeOffice.
Mit finanziellen Schwerpunktsetzungen und nicht mit den heutigen Absichtserklärungen wird diese Geschichte fortgeschrieben werden.
[…] enthält ein solches politisches Überblickspapier zunächst viele Absichtsbekundungen. Wer das kritisiert und offenbar die Bibel der Netzpolitik erwartet hat, wird jetzt enttäuscht. Bei vielen digitalen […]
[…] Mittwoch, 20.08., stellen Sigmar Gabriel, Thomas de Maizière und Alexander Dobrindt die Pläne zur Digitalen Agenda 2014 bis 2017 der Bundesregierung vor. Im Vorfeld wurde schon viel über den Entwurf der Agenda […]
[…] Bis zum zweiten, „ressortabgestimmten“ Entwurf hatte das Papier noch schlicht „Digitale Agenda“ geheißen. Vor der Abstimmung im Kabinett am Mittwoch ist es um einen Zeitraum ergänzt worden: „Digitale Agenda 2014-2017“ prangt da jetzt auf den am Eingang verteilten Heften. Sigmar Gabriel möchte gleich zu Beginn aber noch betonen, dass es sich weder um Subventionen noch um ein Maßnahmenpaket handele. Und, um ja keine zu großen Erwartungen zu wecken, schickt er noch voraus: „Wir haben nicht den Anspruch, alle offenen Fragen damit zu beantworten“. Es gehe um eine „Einladung zum Dialog“. Die Anzahl der an diesem Morgen verwendeten Metaphern ist beeindruckend: Da wird die Digitale Agenda als „Hausaufgabenheft“ bezeichnet. Als Fahrplan und Plattform. Und doch schwingt immer der Unterton von Seiten der Politik mit: Erwartet nicht zu viel von uns, schließlich ist das alles auch nicht allein unser Job. […]