Am Mittwoch wurde in der Bundespressekonferenz die Digitale Agenda der Bundesregierung vorgestellt. Obwohl der Inhalt schon im Vorfeld bekannt war, stellten sich die drei zuständigen Minister hier erstmals den Fragen der Hauptstadtpresse. Und sich selbst die Frage: Was ist das hier eigentlich?
Voll ist es nicht. Kurz vor der Ankunft des Ministertriumvirats kommen dann doch noch einige Medienvertreter in den Saal der Bundespressekonferenz direkt an der Spree. Ein Vormittag kurz vor Ende der Sommerpause, Deutschland diskutiert über den Islamischen Staat, über Gaza und die US-amerikanische Stadt Ferguson.
Digitale Agenda? So what. Böse Zungen könnten vermuten, dass hinter dem ganzen Prozess, mit dem sich die unterschiedlichen Versionen dieses Papiers ihren Weg in die öffentliche Meinung gebahnt haben, Kalkül steckte. Durch die frühzeitige Veröffentlichung konnten alle Beteiligten – und insbesondere die so genannte Netz-Community – ihrem Ärger frühzeitig Luft machen. Und wie häufig zu beobachten, flaute das Interesse sukzessive wieder ab. Ob das auch nach diesem Mittwoch so bleibt, hängt maßgeblich mit der Frage zusammen, ob man sich mit den Floskeln und Worthülsen, mit denen der Leser auf 40 Seiten durch das Taka-Tuka-Land des Internets geschaukelt wird, zufrieden gibt. Oder ob die Regierung an ihren hehren – aber durchweg unspezifischen Zielen – auch gemessen wird.
Die Minister wirkten aufgeräumt, insbesondere Sigmar Gabriel zwar müde, aber zufrieden mit sich und angriffslustig wie immer. Bevor es zur Sache geht, widmen sich die drei Minister aber erstmal der Frage, um was es sich bei diesem Papier eigentlich handelt. Das ist interessant, denn es beschäftigt nicht nur die drei Herren auf dem Podium.
Bis zum zweiten, „ressortabgestimmten“ Entwurf hatte das Papier noch schlicht „Digitale Agenda“ geheißen. Vor der Abstimmung im Kabinett am Mittwoch ist es um einen Zeitraum ergänzt worden: „Digitale Agenda 2014-2017“ prangt da jetzt auf den am Eingang verteilten Heften. Sigmar Gabriel möchte gleich zu Beginn aber noch betonen, dass es sich weder um Subventionen noch um ein Maßnahmenpaket handele. Und, um ja keine zu großen Erwartungen zu wecken, schickt er noch voraus: „Wir haben nicht den Anspruch, alle offenen Fragen damit zu beantworten“. Es gehe um eine „Einladung zum Dialog“. Die Anzahl der an diesem Morgen verwendeten Metaphern ist beeindruckend: Da wird die Digitale Agenda als „Hausaufgabenheft“ bezeichnet. Als Fahrplan und Plattform. Und doch schwingt immer der Unterton von Seiten der Politik mit: Erwartet nicht zu viel von uns, schließlich ist das alles auch nicht allein unser Job.
Gabriel lässt noch verlauten, es habe keine „Ressortegoismen“ in der Erstellung des Textes gegeben. Na sicher. Dazu passt nicht ganz, dass die drei Ziele, die von den Politikern aus ihrer Agenda destilliert werden, genau auf die drei Ministerien und ihre Zuständigkeiten passen. Die drei Ziele sind, kurz zusammengefasst, die wirtschaftliche Nutzung des Internets (Wirtschaft), flächendeckender Internetzugang (Verkehr und digitale Infrastruktur) sowie Sicherheit und Schutz von IT-Systemen (Inneres).
Wir patriotischen IT-Weltmeister
Gabriel scheint den Platzhirsch zu geben und beginnt mit der Vorstellung der wirtschaftlichen Teile der Digitalen Agenda. Was in der vorab verteilten Pressemitteilung der drei Ministerien als „Erschließung des Innovationspotenzials unseres Landes“ bezeichnet wird, bringt er mit einer rhetorischen Frage ganz konkret auf den Punkt: „Wird Eric Schmidt einmal die Cebit eröffnen?“. Eric Schmidt ist der Chef von Google und Cebit die größte deutsche Technologiemesse. Worauf der SPD-Chef damit aber hinaus will: dass keines der Monopolunternehmen, die die Welt des Internets formen, aus Deutschland kommt.
Selbst handeln statt behandelt werden
Auch wenn Gabriel diese nur als „marktbeherrschende Unternehmen“ nicht beim Namen nennt, geht es ihm vor allem darum, nicht in Abhängigkeit von diesen zu geraten. Wenn Unternehmen außerhalb von Deutschland sitzen, damit also unter ausländisches, oder – falls Google seine Ankündigung wahr machen sollte, auf staatenloser Hochsee zu operieren – gar kein Recht fallen: Wie können dann die Auswirkungen, die das Handeln solcher Unternehmen in Deutschland haben, wirksam kontrolliert werden? Diese Frage beschäftigt die drei Minister ebenso wie viele deutsche IT-Unternehmen.
Dobrindt ergänzt Gabriels Analyse später mit dem Satz: „Wir wollen Handelnde sein und nicht Behandelte“, und de Maiziére streut ein, es gehe auch um einen „aufgeklärten Technologiepatriotismus“. Er als Innenminister würde, wenn es um die Sicherung der Kommunikation der Bundesregierung geht, lieber auf ein europäisches oder deutsches als ein außereuropäisches Unternehmen setzen. An diesem Beispiel ist gut die Verstimmung herauszuhören, die NSA-Affäre und Abhörskandal trotz allem auch bei der Bundesregierung hinterlassen haben.
Unabhängig davon, ob man die Einstellung teilt: Die Digitale Agenda stellt in der Praxis lediglich fest, es brauche eine Erhöhung der Zahl deutscher Start-Ups und Instrumente, die insbesondere in deren „Wachstumsphase“ (Gabriel) wirksam wären. Die Zahl von 15.000 anzustrebenden Start-Ups steht im Raum. Das war im Vorfeld schon bekannt gewesen und wird von den Ministern auch während der Pressekonferenz nicht weiter konkretisiert.
Wir haben hier (auch) die Hosen an
Innenminister Thomas de Maiziere stellt anschließend seine Themen der Digitalen Agenda vor. Verwiesen wird auf die „Digitale Verwaltung 2020“, ein weiteres Eckpunktepapier der Bundesregierung. Dieses soll in einer präziseren Form (irgendwann, irgendwie?) erklären, wie die 100 häufigsten Verwaltungsvorgänge, wegen derer heute noch der Besuch einer Behörde notwendig ist, in Zukunft online abgewickelt werden können.
Auch das Thema „Sicherheit, Schutz und Vertrauen für Gesellschaft und Wirtschaft“ fällt in den Bereich des Innenministers – also das Thema Datenschutz. Die deutschen Regelungen sollen ab dem Jahr 2015 durch eine europäische Datenschutzreform ersetzt werden. Als die ersten Arbeitsentwürfe zur Digitalen Agenda in Umlauf gerieten, hatte das überrascht. Schließlich hatte gerade Deutschland das Fortkommen einer solchen mehrfach behindert. Nun rühmt sich de Maiziere, die Verhandlungen zu diesem Thema seien auf seine eigene Initiative hin weiter vorangetrieben worden. Auch wenn das verwirrend erscheinen mag: Es war an diesem Tag wieder nichts Neues.
Außerdem betont de Maiziere noch einmal, wer seiner Ansicht nach im Internet eigentlich die Hosen anhaben soll – der Staat natürlich. Anlass dazu gab die Frage von Markus Beckedahl, wie sich denn eigentlich zwei Ziele miteinander vertragen sollen, die gleichermaßen in der Digitalen Agenda ausgegeben werden, nämlich die Förderung anonymer Geschäftsmodelle und die bessere Verfolgung von Online-Kriminalität. Um hierauf zufriedenstellend zu antworten, hätte der Minister zaubern müssen. Stattdessen flüchtete er sich in den Hinweis „Das Recht auf Strafverfolgung darf nicht privatisiert werden“. Gemeint war die unrühmliche Situation, in der momentan Google-Sachbearbeiter dazu auserkoren sind, das vom Europäischen Gerichtshof etablierte „Recht auf Vergessen“ umzusetzen.
So richtig diese Einschätzung sein mag, sie macht auch zwei Kernproblem der Digitalen Agenda deutlich. Zum einen, dass zwei durchaus gute Ziele sich dennoch wiedersprechen können. Und zum anderen: Wenn die Politik sich daran macht, einen Ordnungsrahmen für das Internet zu schaffen, kann am Ende niemand erwarten, dass dabei ein libertäres Konzept herausspringt. Die Einschätzung von netzpolitik.org zur Digitalen Agenda („zu wenig, zu spät“) kann deshalb auch missverstanden werden. Einigen in der deutschen Internet-Community wäre es nämlich noch lieber gewesen, wenn sich überhaupt niemand mit Regulierungsinstrumenten beschäftigt hätte. Das kann man seit Snowden aber auch nicht mehr ernsthaft fordern.
Mit Kupfer in die Zukunft
Zu guter Letzt darf auch Alexander Dobrindt noch was sagen. Und er spricht über das Thema, auf das die Digitale Agenda in den letzten Wochen noch am ehesten heruntergebrochen wurde. „Digitale Infrastruktur“, die Versorgung mit flächendeckend schnellem Internet, ist in dem Papier sogar als erstes Kapitel benannt – was ihm trotzdem in der Redehierarchie nicht auf den ersten Platz verholfen hat.
Dobrindts Ausführungen sind ebenso wenig neu oder überraschend wie die seiner Kollegen, dennoch macht er sich angreifbarer. Das Thema Zugang zum Internet ist von den vielen in der Agenda angeschnittenen Themen am konkretesten und am ehesten in der Lage, massentauglich interessant zu sein. So gibt Dobrindt erneut die Devise aus, bis 2018 alle deutschen Haushalte mit 50 Mbit/s-Zugängen auszustatten.
Wie das genau geschehen soll und ob das schon alles ist, wird aber noch weniger klar. „Investitionswillige Unternehmen“ sollen in einer „Netzallianz Breitbandausbau“ zusammengeführt werden und ein „Kursbuch“ vorlegen. Im Oktober dann. Ob es eigentlich auch investitionsunwillige Unternehmen gibt, wird nicht klar. Finanziert werden soll das Ganze durch die Versteigerung von frei werdenden Rundfunkfrequenzen. Gegen dieses vage anmutende Konzept stand aber auch schon während der Pressekonferenz die Zahl von 20 Milliarden Euro im Raum. So viel soll laut einem Gutachten des TÜV der Breitbandausbau mit dem gesteckten Ziel kosten. Und zwar mindestens, in der günstigen Variante.
Günstig allerdings ist laut Dobrindt scheinbar nicht genug. Er kritisierte die TÜV-Studie dafür, dass sie von einem flächendeckenden Ausbau mit Glasfaserkabeln ausgeht. Sprich: Der Minister geht nicht davon aus. Ein Pressevertreter will wissen, ob es angesichts der vehementen Kritik an diesem Konzept nicht auch Gründe zum Nachbessern gebe. Das kontert Dobrindt damit, dass man doch nichts kritisieren könne, wozu es noch keine genaue Zahl gibt. Aber genau das ist auch das Problem.
Zum Schluss ein breites Grinsen
Es sind deswegen auch weniger die Beteuerungen und Wiederholungen der Minister, die die Pressekonferenz zu einem interessanten Erlebnis machen, es sind die Zwischentöne. So zum Beispiel die Nachfrage der New York Times-Kollegin, ob man denn das mit dem IT-Standort Nummer Eins wirklich ernst meinen könnte, wenn man hierzulande doch ständig nach einem offenen WLAN suchen muss? Gabriel reagiert mit Hinweisen auf die Störerhaftung, doch der Stich sitzt.
Ein weiterer Kollege fragt, ob es nicht peinlich sei, dass Deutschland erst im Jahr 2014 mit einer eigenen Digitalen Agenda auffährt. De Maiziere kontert mit „Besser spät als nie!“, und fast möchte man ihm zustimmen. Wäre da nicht auch die Nachfrage gewesen, ob man denn diese Agenda alles in allem für ein ambitioniertes Programm hält. Gabriel sagt daraufhin: „Wenn wir nicht der Meinung wären, es sei anspruchsvoll, hätten wir uns nicht zu Ihnen getraut“. Er grinst dabei so breit, dass man sich nicht sicher ist, ob man das glauben soll.
Wer sich selbst ein Hausaufgabenheft schreibt, muss auch anfangen, die Aufgaben zu erledigen. Das Heft ist auf den Zeitraum 2014-2017 ausgestellt. Das bedeutet zwar zunächst einmal eine Einschränkung, aber es macht die Sache auch überprüfbarer. Denn spätestens zur nächsten Bundestagswahl werden die Hausaufgaben kontrolliert.
Foto: dbwv.de
[…] Internetzugang mit 50 Mbit/s bis 2018. So avisiert es die Digitale Agenda, die am vergangenen Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet wurde. Wer hier ein Déjà-vu hat, erinnert sich vermutlich an die […]