Warum vertreiben wir uns die Zeit mit Bildschirmen? Ein Smartphone ist schnell zur Hand, wenn man sich langweilt. Oftmals gucken wir aber auch zwischendurch drauf, wenn wir eigentlich eine Aufgabe zu erledigen hätten, um zu schauen, ob sich nicht vielleicht jemand meldet oder wir gerade etwas verpassen.

Mittlerweile scheint es, als hätte man kein Bewusstsein mehr dafür, wie viel Zeit man am Bildschirm verbringt, dafür nimmt man sich aber bewusst bildschirmfreie Zeiten. Sollte es nicht lieber umgekehrt sein? Warum erscheint uns das manchmal schwer umsetzbar?

Unser Verhalten beweist, dass Apps wie Snapchat und Instagram mit einer genauen Menschenkenntnis programmiert sind. Das veranlasst uns, viel mehr Zeit als nötig auf ihnen zu verbringen, erklärt Tristan Harris, der früher einmal selbst Google-Mitarbeiter war. Heute ist sein Ziel nicht mehr, Menschen an die Bildschirme zu locken. Stattdessen erklärt er ihnen die Mechanismen, die dafür sorgen, dass wir doch schon wieder gedankenlos seit zwei Stunden auf Facebook und Twitter rumscrollen.

Versuchung: Belohnung und Anerkennung

Wenn Jugendliche im Schnitt 6 Stunden und 40 Minuten an ihren Handys und anderen Bildschirmen verbringen, kann nicht mehr von einem Hobby die Rede sein. Wenn man erfährt, dass Jugendliche ihre Snapchat-Passwörter vor den Sommerferien weitergeben, damit ihre Streaks nicht verloren gehen, dann kann von Abhängigkeit die Rede sein, denn hier wird das Leben um Snapchat herum gestaltet.

Streaks entstehen, wenn zwei Menschen täglich auf Snapchat miteinander kommunizieren, sich also Fotos hin- und herschicken. Snapchat zeigt dann an, wie viele Tage ohne Unterbrechung zwei Menschen das schon machen. Umso mehr Streaks mit umso höheren Zahlen, desto beliebter ist man, scheint die (nicht so) subtile Idee dahinter zu sein. Streaks vermitteln einem das Gefühl von Anerkennung und Belohnung. Das läuft darauf hinaus, dass die App nicht nur zum bewussten Kommunizieren genutzt wird, sondern auch, dass sie den Rhythmus der Kommunikation zwischen Nutzern bestimmt. Sie zwingt einen beinahe, die App jeden Tag zu nutzen.

Was Stanford Kurse damit zu tun haben

Bei den Streaks handelt es sich nicht etwa um einen glücklichen Einfall des Entwicklers, es ist das Ergebnis eines fundierten Wissens, wie man Menschen zu einem bestimmten Verhalten anregt.

Die Zeiten, in denen Steve Jobs in seiner Garage tüftelte, sind längst vorbei. Heute weisen viele der erfolgreichsten Unternehmer im Silicon Valley Abschlüsse von amerikanischen Elite-Universitäten vor. Ein Kurs sticht dabei besonders hervor: der Persuasive Tech Lab von B.J. Fogg an der Stanford University. Fogg entwickelte ein Modell, welches erklärt, wie man Menschen am besten überzeugt – darunter versteht Fogg, Menschen zu überzeugen, Programmen ihre (Frei-) Zeit zu widmen. Viele Mitarbeiter und Gründer der erfolgreichsten Apps belegten diesen Kurs, so etwa Instagram-Mitbegründer Kevin Systorm. Auch die drei Snapchat-Erfinder lernten sich in Stanford kennen und belegten diesen Kurs.

Die Prämissen des Fogg Behavior Model (FBM) sind einfach, überraschen einen nicht unbedingt, sind dafür aber unglaublich wirksam: Menschen/Nutzer sind faul. Damit sie dranbleiben, muss alles so einfach wie möglich gemacht werden. 1-klick-kaufen auf Amazon, Autoplay auf YouTube, Videos, die auf dem Facebook-Feed abgespielt werden, bevor man drückt…

Fogg identifiziert drei Kernaspekte, die unser Verhalten bestimmen:

• Damit wir etwas durchführen, müssen wir erstens auf irgendeine Weise motiviert sein.
• Zweitens müssen wir in der Lage sein, die Handlung umzusetzen, ohne dabei einen großen Aufwand zu betreiben.
• Und drittens muss es einen Auslöser geben. Eine gute App sorgt zeitgleich für eine hohe Motivation bei dem Nutzer, für einen niedrigen Schwierigkeitsgrad in der Ausführung und kreiert ständig neue Auslöser, sogenannte Trigger. Schnell bemerkt man, wie viele Apps diesem Modell folgen.

Zeit ist Geld

Dabei stellt sich natürlich die Frage, weshalb die in einer App verbrachte Zeit für Entwickler so ausschlaggebend ist. Sie ist deshalb ein wichtiger Maßstab, weil sie Gewinn produziert. Werbung ist die Haupteinnahmequelle der meisten kostenlosen Produkte, umso mehr Zeit man also auf einem Programm verbringt, umso mehr Anzeigen können einem geschaltet werden. Dadurch verschwimmt die Grenze zwischen Kunde und Produkt. Es gilt, den Nutzern so viele Werbeanzeigen wie möglich zu zeigen, ohne dass sie sich abwenden. Sie werden zum Instrument, welches den Wert kreiert. Einige gehen dabei soweit, dass ihr ausgesprochenes Ziel ist – gerade bei Computerspielen, die mehr Aufmerksamkeit erfordern – die Nutzer zu „Windel-Produkten“ zu machen: man vergisst beinahe aufzustehen und würde am liebsten wieder Windeln tragen, damit man weiterspielen kann.

Humanistische Werte mit Doppelmoral

Dass Medien und Apps Einnahmequellen brauchen, ist per se nichts Verwerfliches und erstmal auch legitim. Doch mittlerweile entfernen sie sich dadurch von ihren ursprünglichen (behaupteten) Idealen. Ihre Entwickler bieten etwas an, vor dem sie sich und ihre Kinder selbst in Acht nehmen. Facebook, YouTube und Co. betonen immer wieder ihre humanistischen Werte, es gehe darum Menschen zu verbinden, jedem die Möglichkeit zu geben, sich in seinen Videos zu entfalten etc.

Tony Fadell, der unter Anderem maßgeblich zu der Entwicklung der iPods beigetragen hat, warnte, dass sich Entwickler der potenziellen Gefahren ihrer Produkte oftmals nicht bewusst seien. An dem Tag, an dem sie selbst Kinder hätten, behauptete er, würde sie sich das ändern. Tatsächlich entstand 2015 YouTube Kids und später auch Facebook Messenger Kids.

Es wirkt zynisch, wenn Facebook-Mitarbeiter ihren Kindern bis zum 16. Lebensjahr keine Smartphones erlauben, aber täglich an Aktualisierungen der App arbeiten, damit der Feed noch interessanter wird und Menschen noch mehr Zeit auf der App verbringen.

Das Fogg Behavior Model in der Praxis

Nehmen wir YouTube als Beispiel: Unabhängig davon, ob man ein bestimmtes Video sehen möchte oder aus Langeweile auf die Seite geht – sobald man das erste Video zu Ende geschaut hat, sorgt der Autoplay dafür, dass man ohne Klick das nächste Video schauen kann, welches von einem Algorithmus vorgeschlagen wird. Sowohl das ursprüngliche Video als auch das Neue entsprechen beide dem Trigger und der Motivation. Die Autoplay-Funktion sorgt für die einfachste mögliche Ausführung. So ähnlich ist es auch bei den Snapchat-Streaks: die Hürde ist etwas höher, die Motivation, den Streak zu erhalten, dafür aber auch.

Programmierende Apps für programmierte Nutzer

Auch andere Methoden erweisen sich als nützlich, um den Nutzer zu reizen. So zum Beispiel die „gamification“ von Apps. Das Prinzip beruht darauf, die sonst bei Computerspielen angewendeten visuellen Trigger in alltäglich genutzte Apps einzubauen, die dadurch spielerischer und nicht mehr nur nutzungsorientiert werden. Auch Belohnung spielt dabei eine immer wichtigere Rolle (siehe Streaks).

Wenn Entwickler wissen, wie und wann man Nutzer am besten triggert, kann man Bedenken haben, ob es eigentlich noch eine freie Entscheidung ist, auf eine App zu gehen. Ständig haben wir bewusst oder unbewusst das Bedürfnis, nach neuen Nachrichten zu gucken. Das ist kein Zufall, sondern beabsichtigt. Die App ist in der Lage, den Nutzer selbst zu programmieren, ihr Zeit zu schenken.

Nur weil wir beeinflussbar sind, heißt es nicht, dass wir unseren freien Willen aufgeben müssen. Man kann sich durchaus ein bewusstes Nutzen angewöhnen. Dazu mehr im dritten und letzten Teil.

 

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