Während Deutschland bestrebt ist, den Kindern und Jugendlichen digitale Kompetenzen zu vermitteln und sich dabei viel vom neuen Digitalpakt verspricht, werden nicht nur im Süden San Franciscos Kindergärten und Schulen ohne jegliche digitalen Lernmethoden immer beliebter.
In einer Reportage berichtet die New York Times über Mitarbeiter der Silicon Valley, die ihren Kindern den Zugang zu jeglicher Art von Bildschirmen verbieten. Selbst die Kindermädchen dürfen ihre Smartphones nicht zücken. Andere Eltern bezahlen Berater, um zu erfahren, wie sie ihre Kinder am besten Bildschirmfrei erziehen können. Einige warnen, dass so mittlerweile eine neue digitale Kluft entstünde.
Ein neuer Spalt zieht sich durch die Gesellschaft
Mit der anfänglichen Verbreitung von privaten Computern und Internet Zugang entstand die Sorge, dass die ungleiche Verteilung dieser neuen Produkte zu einer Spaltung der Gesellschaft führen würde. Es würde Vernetzte geben und Analoge, denen die Welt des Internets verborgen bleiben würde. Die Sorge bestand sowohl auf nationaler Ebene, zwischen verschiedenen Gesellschaftsschichten, als auch auf Internationaler, wo ganze Regionen oder Kontinente von modernen Kommunikationsmitteln abgeschottet würden. Diese Sorge war nicht unberechtigt, noch heute hängt die Nutzung digitaler Möglichkeiten und das Maß der dafür notwendigen Kompetenzen u.a. von Alter, Geschlecht, formalem Bildungsabschluss und Region ab. Dennoch: Heutzutage besitzen 98% der Haushalte in Deutschland mindestens einen Computer und 99% ein Smartphone. Auch weltweit haben die meistens Haushalte mindestens ein Handy. Außerdem wird in Deutschland der Digitalpakt eingeführt, um allen Kindern die wichtigsten, sogenannten „21st century skills“ zu vermitteln. Diese Kluft des Zugangs scheint zumindest bei Jugendlichen weitestgehend geschlossen, doch schon wird vor der nächsten gewarnt.
Weniger ist mehr
Bei der neuen Kluft handelt es sich nicht mehr um Zugang, sondern um den Platz, den Bildschirme in der Freizeit von Jugendlichen, einnehmen. Über die Zeit, die Kinder und Jugendliche vor dem Bildschirm verbringen sollten, herrscht auch unter Experten Uneinigkeit. So kommt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zu dem Schluss, dass eine maßvolle Internetnutzung für die Konzentration und das Sozialverhalten förderlich sein kann. Laut einer Studie der Common Sense Media über Bildschirmnutzung bei Jugendlichen in den USA sitzt ein Jugendlicher im Schnitt 6 Stunden und 40 Minuten vor Bildschirmen. Die Zeit beinhaltet keine Computernutzung in der Schule oder bei den Hausaufgaben, es handelt sich ausschließlich um Freizeit. Die Studie zeigt außerdem, dass Kinder aus verschiedenen sozialen Schichten ein unterschiedliches Konsumverhalten aufweisen. Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen verbringen im Schnitt 8 Stunden und 7 Minuten vor Bildschirmen, Kinder aus Haushalten mit einem höheren Einkommen sind rund 5 Stunden und 42 Minuten mit Bildschirmen beschäftigt. Im Internet verbringen Jugendliche in Deutschland durchschnittlich täglich 214 Minuten. Diese Zahl kann auch Recherchen bei Hausaufgaben beinhalten, aber es handelt sich hier ausschließlich um die Internetnutzung, nicht um die Bildschirmzeit (Offline-Computer- oder Tabletspiele, Fernsehen etc. zählen also nicht). Viele Erkenntnisse der amerikanischen Studie sind auch in Deutschland relevant. Die zweite Kluft spaltet wieder arm und reich, doch diesmal scheint weniger mehr zu sein.
Jede freie Minute am Handy?
Wenn man die amerikanischen Zahlen betrachtet, sollte beachtet werden, dass eine zeitgleiche Nutzung doppelt angerechnet wird. Das bedeutet, wenn man eine Stunde lang an seinem Handy auf Instagram ist, während man am Computer eine Serie bei Netflix schaut, zwei Stunden angerechnet werden. Man könnte also meinen, die Studie übertreibe, schließlich sei die durchschnittliche Zahl nicht so hoch. Doch selbst bei halbierten Zahlen (wenn man also davon ausginge, dass immer mindestens zwei Geräte im Spiel seien) würde es sich bei der Stundenzahl noch um einen Großteil der Freizeit handeln.
Von Reizüberflutung und „multi-tasking“
Es geht dabei nicht ausschließlich darum, wie viel Zeit wirklich vor Bildschirmen verbracht wird, sondern um die Folgen. Tatsächlich sind die Langzeitfolgen einer täglichen und langen Exposition nur wenig erforscht, doch einige Forscher warnen bereits, dass intensive Smartphone-Nutzung unter anderem das Konzentrationsvermögen senke. Permanent werden verschiedenste Sinne angesprochen, was zu einer Reizüberflutung führe. Die zeitgleiche Nutzung schade dem Konzentrationsvermögen dabei nur noch mehr. Reize, die beim Fernsehen angesprochen werden, reichen nicht mehr aus, zu schnell sind Jugendliche gelangweilt und checken zwischendurch ihr Handy. In der Studie wird berichtet, dass Jugendliche der Meinung sind, problemlos „multitasken“ zu können. Doch die Leiter der Studie hatten den Eindruck, dass es den meisten Teilnehmern sehr schwerfiel, dem Gespräch zu folgen, ohne auf ihr Handy zu schauen. Kann überhaupt noch von Konzentrationsproblemen die Rede sein, wenn diese zum Regelfall werden?
Reich und konzentrationsfähig vs. arm und –unfähig?
Die zweite digitale Kluft wird auch zwischen Konzentrationsfähigen und -unfähigen unterscheiden. Kinder kalifornischer Privatschulen ohne Bildschirme werden nach dieser Theorie durchschnittlich bessere Ergebnisse erzielen, weil sie Konzentration lernen und zu Hause die Versuchung der Ablenkung nicht kennen werden. Es ist sicher einfacher, bei wohlhabenden Haushalten Alternativen für Freizeitgestaltung anzubieten, wenn die finanziellen Ressourcen kein Problem darstellen. Die Zeit, in der man Sport, Musik oder anderen Engagements nachgeht, ist Zeit, die nicht vor Bildschirmen verbracht wird. Es sind außerdem Momente die Konzentration erfordern und in denen „multi-tasking“ selten gut geht.
Ein weiteres Problem scheint zu sein, dass Smartphones mittlerweile so unumgänglich geworden sind, dass Eltern sich fragen, wie sie ihre Zeit damals ohne totgeschlagen haben. Sie wissen nicht, wie sie ihre Kinder ohne digitale Hilfe unterhalten sollen. In den USA gibt es daher schon ein neues Buisness-Modell, was genau dieses Problem lösen soll. Eltern leisten sich jetzt acht bis zwölf Sitzungen mit Privatberatern, um zu lernen, wie sie ihre Kinder von Bildschirmen fernhalten können. Die Berater kommen mit den Anfragen nicht mehr hinterher, die Nachfrage scheint immens zu sein. Der Inhalt ist dabei relativ offensichtlich: Bewegung, greifbare Spielzeuge und ein vorgelebtes Verhalten als Vorbildfunktion. Die Handy- und Mediennutzung der Eltern ist ausschlaggebend, denn sie färbt auf die Kinder ab. Wird das Handy beim Abendbrot geduldet? Muss ein Anruf noch kurz angenommen werden oder ein Termin zwischendurch unbedingt vereinbart werden, ehe man sich wieder dem Kind widmet? Je nach vorgelebtem Konsumverhalten werden Kinder und Jugendliche ihr eigenes Verhalten als normal empfinden.
Eine vielschichtige Spaltung
Die zweite digitale Kluft spaltet Menschen, die unkonzentriert „multi-tasken“ und jene, die den Versuchungen der Apps widerstehen. Natürlich befinden sich die Verhaltensweisen auf einem Spektrum, doch es scheint, als würde man in der Silicon Valley die zwei Extremen im gleichen Haushalt auffinden: die Programmierer, die mit genauesten Kenntnissen die Apps spaßig und mit hohem Suchtpotenzial entwickeln, zu Hause aber keine Bildschirme zulassen. Umso mehr einem die Mechanismen bekannt und bewusst sind, desto eher kann man ihnen entgehen. Die digitale Kluft spaltet also auch zwischen „Algorithmen-bewussten“ Menschen und „Algorithmen-unbewussten“ Nutzern, bei welchen die Versuchung besteht, sie in Produkte zu verwandeln.
Warum ist die Versuchung überhaupt so groß ständig auf das Handy zu schauen? Warum surft man geistesabwesend auf Facebook rum, in der Hoffnung auf Interessantes zu stoßen, obwohl man sich längst langeweilt?
Dazu mehr im zweiten Teil.
Bild von: PublicDomainPictures auf Pixabay
Text: CC-BY-SA 3.0