Acht Thesen von Christoph Bieber, Mitglied des SPD-Onlinebeirats und Vorstand von politik-digital.de, zu den Folgen der Debatte um Netzsperren und Netzzensur. Die Essenz: Einst exotische Politikbereiche wie Datenschutz, Online-Überwachung und Informationsfreiheit werden für viele Bürger wichtig – nur merken die Politiker davon noch nichts.
Vorbemerkung:
Im Umfeld der Abstimmung im Deutschen Bundestag zum „Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen“ (BT-Drucksache 16/13411 vom 17.6.2009) habe ich als Mitglied des Online-Beirats der SPD an einer Stellungnahme an die Fraktionsmitglieder mitgewirkt, in der auf verschiedene Mängel am Entwurf hingewiesen wird. Beinahe noch wichtiger als die – zum Zeitpunkt der Versendung der Mitteilung an die Abgeordneten – schon längst bekannte Sachkritik am Entwurf sind die Hinweise auf die politischen Konsequenzen einer Zustimmung zum #zensursula-Gesetz.
Acht Thesen zu den Folgen der Debatte.
1. Die Feststellung, dass der Online-Wahlkampf im Fokus der Öffentlichkeit stehen wird, hat abermals Nachdruck erhalten. Im Gegensatz zum positiv besetzten US-Präsidentschaftswahlkampf diesmal allerdings negativ: der Kampf der Ahmadinedschad-Regierung in Iran gegen die auch via Internet aufbegehrende Opposition ist ein globales Medienthema.
2. Auch die deutsche Zensur-Debatte erhält damit neue Facetten: „Hätten die Mullahs im Iran solche Stoppschilder gehabt, hätte vielleicht nichts über Twitter in die Welt gelangen können“ – auch wenn die griffige Formel von Hajo Schumacher nicht ganz zutreffen mag, so bringt er doch das Wesentliche auf den Punkt: wenn eine technische Möglichkeit zu Überwachung und Kontrolle von digitalen Kommunikationsnetzen erst einmal vorhanden ist, dann liegt auch deren pervertierte Nutzung in der Luft.
Es wirkt dann beinahe zynisch, dass die Infrastruktur, die in Iran zur „Deep Packet Inspection“, dem digitalen Aufzeichnen, Abhören und Klassifizieren einzelner Nachrichten, vom deutsch-finnischen Joint-Venture Siemens/Nokia bereitgestellt wurde. Während in Iran allmählich die Regierung die Oberhand gewinnen zu scheint, bleibt die Diskussion über den revolutionären Gehalt der Twitter- und Facebook-Nutzung jedoch das nächste große Kapitel in der politischen Geschichte des Internet.
3. Vor dem Hintergrund einer erheblich größer und „normaler“ gewordenen Nutzerschaft werden gesellschaftlich relevante Konfliktbereiche offenbar, die noch vor wenigen Jahren als eher exotische Politik-Gegenstände galten: Datenschutz und Datensicherheit, Online-Überwachung und digitale Privatsphäre, die Modernisierung des Urheberrechts und den Umgang mit (Software-)Patenten oder eben am grundlegendsten freie Meinungsäußerung und Kontrolle von Online-Inhalten. „Das Internet” zieht sich heute für viele Menschen durch Arbeitsleben und Alltag – damit wird dieses Bündel nicht mehr wirklich neuartiger Bürgerrechte zu einem echten, “wertigen” Politikfeld.
4. Leider scheint die professionelle Politik diesen Entstehungsprozess nicht zu bemerken – Desinteresse und Fehler bei der Entwicklung des Gesetzesentwurfs leisten einem Legitimationsverlust der Regierungsparteien Vorschub. Sie haben gerade unter Beweis gestellt, dass sie nicht in der Lage sind, eine adäquate Politikformulierung zu leisten. Die #zensursula-Episode führt so zu einem spürbaren Bruch zwischen etablierten Organisationsformen und politischen (oder politisierbaren), informierten, oder auch einfach nur interessierten Onlinern – die Politik „mache sich für die Digitale Generation unwählbar“ hieß es dazu in der Stellungnahme des Online-Beirats.
5. Durch die Verabschiedung des “Zugangserschwerungsgesetzes” haben die handelnden Akteure das Segment der digitalen Bürgerrechte zur nachhaltigen Besetzung durch andere Akteure freigegeben. Zu den ersten Profiteuren zählen scheinbar die Grünen, selbst wenn es auch hier kein einheitliches Abstimmungsverhalten gegeben hat: die interne Suche nach den #zensursula-Unterstützern wird von der Netzgemeinde goutiert und könnte durchaus der Glaubwürdigkeit in Sachen Internet-Politik dienen.
6. „Digitale Bürgerrechte“ können zum Ansatzpunkt für die Entstehung einer neuen Single Issue-Organisation werden – müssen es aber nicht. Erste Adresse dafür ist in Deutschland die Piratenpartei. Das Abschneiden bei der Europawahl war zwar nicht mehr als ein Achtungserfolg und hat immerhin für die öffentliche Sichtbarkeit gesorgt. Inzwischen verfügt sie auch schon über einen virtuellen Bundestagsabgeordneten: in einer nicht anders als spektakulär zu nennenden Aktion war mit Jörg Tauss ein altgedienter Internetpolitiker der SPD am 20. Juni aus seiner Partei ausgetreten und zu den „Piraten“ gewechselt.
Allerdings haftet an seiner Person der Makel des Pädophilie-Verdachtes in einem noch laufenden Gerichtsverfahren, zudem verkörpert er als typischer „Berufspolitiker“ ein populäres Feindbild vieler „Basis-Piraten“. In internen Diskussionen ist Tauss bereits das sprachlich passende Etikett des „zweischneidigen Schwertes“ zugetragen worden, andererseits könnte die Kooptierung eines systemerfahrenen „Haudegens“ auch positiven Anpassungsdruck im piratischen Parteifindungsprozess ausüben.
7. Die gesamte Thematik ist überaus kampagnenfähig, dies hat vor allem die erfolgreiche Online-Petition beim Deutschen Bundestag gezeigt. Aber: die mehr als 130.000 Mitzeichner/innen sind momentan nicht viel mehr als die Andeutung einer ereignisbezogenen Politisierbarkeit im Netz. Das ist nicht wenig, aber längst noch kein sicherer Hinweis auf einen bevorstehenden Wandel – so ringt etwa die Piratenpartei derzeit noch in mehreren Bundesländern um die benötigten Stimmen für die Zulassung zur Bundestagswahl. Dennoch gibt es eine „digitale Infrastruktur“ aus Wikis, Blogs und Twitter-Hashtags, die in der heißen Wahlkampfphase schnell aktiviert werden kann wird.
8. „Digitale Bürgerrechte“ sind ein transnationales Politikfeld. Es ist dabei keineswegs ausgemacht, dass in Deutschland ein ähnlicher Etablierungsprozess wie etwa in Schweden stattfinden wird. Dennoch ist die globale Dimension des Problems eine Besonderheit dieser neuen policy. Die Ereignisse in Schweden um das Gerichtsverfahren gegen die Tauschbörse „The Pirate Bay“ (und der damit verbundene Aufstieg der „Piratpartiet“) oder die heftige Diskussion in Frankreich um die Verabschiedung des Hadopi-Gesetzes zur Bestrafung im Falle (wiederholter) Urheberrechtsverletzungen deuten in eine ähnliche Richtung. Im Augenblick werden die mit digitalen Bürgerrechten verbundenen Konflikte auf nationaler Ebene ausgehandelt und im Rahmen lokaler Wahlkämpfe im Zeichen der jeweiligen Besonderheiten verstärkt – doch aufgrund einer weltweiten Kommunikationsinfrastruktur im Hintergrund wird dies nicht so bleiben.
Spannend wäre ja noch eine 9. These zu den Folgen der Debatte für die SPD gewesen.