Gestern Abend stellten der SPD-Netzpolitiker Björn Böhning und Alexander Görlach, Herausgeber und Chefredakteur des Online-Meinungsmagazins „The European“ ihr gemeinsames Buch „Freiheit oder Anarchie? Wie das Internet unser Leben verändert“ vor. Moderiert wurde die Veranstaltung vom Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher.
Im Berliner „BaseCamp“ Unter den Linden fanden sich gestern Abend etwa 80 Personen ein, um womöglich eine Antwort auf die Frage zu erhalten, inwiefern das Internet tatsächlich soziale Beziehungen, das Leben jedes Einzelnen, den Journalismus, die Kommunikation und Interaktion der Menschen verändert. Aber nicht nur diese Fragen wurden in der Runde diskutiert. Die Autoren und Moderator Schirrmacher waren ebenso daran interessiert, herauszufinden, wie politische Themen und Werte der „alten Welt“ – Demokratie, Arbeit, Konservativismus, Religion und Urheberrecht – sich in der digitalen Gesellschaft verändert haben.
Die Autoren des Buches sind alte Bekannte, könnten jedoch in gewisser Hinsicht unterschiedlicher nicht sein. Görlach ist, wie Böhning es im Buch beschreibt, ein „notorischer Konservativer, ehemaliger Mitarbeiter der CDU-Bundestagsfraktion und des ‚Cicero‘ und provokanter Debattenschreiber bei The European“. Böhning wird von Görlach als „ein Sozialdemokrat des linken Spektrums, der ehemalige Juso-Chef, Ströbele-Herausforderer im Berliner Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg“ beschrieben. Doch auch wenn die Koautoren „häufig aneinander geraten, wenn es um politische Fragen geht“, bewegen sie sich beide wie selbstverständlich in der Netzwelt. Sie „glauben an die riesigen Chancen des Webs für die Wirtschaft, die Gesellschaft, die Kultur sowie die Politik der Zukunft“. Beide Autoren sind sich einig, dass das Internet ein fester Bestandteil der modernen Gesellschaft ist und weit größere Auswirkungen als andere Medien auf uns hat. Das Internet sei, so Böhning, „Lebenswirklichkeit“ geworden. Die damit verbundene immer schneller werdende Nachrichtengewinnung habe dazu geführt, dass „die Tageszeitung als Spezialform des bedruckten Papiers am Ende ist“, wie Görlach es ausdrückt. Die Online-Nachrichten hätten den Tageszeitungen den Rang abgelaufen.
Doch nicht nur auf die Nachrichten hat das Internet erheblichen Einfluss.
Schirrmacher stieß gestern Abend eine Diskussion über die Veränderungen in der Arbeitswelt an. Er sagte, dass man heute durch das Internet rund um die Uhr für den Arbeitgeber oder Arbeitnehmer erreichbar sein könne und müsse. Darüber, ob dies ein Vorteil oder ein Nachteil ist, waren sich Görlach und der FAZ-Herausgeber uneinig. Schirrmacher sprach von „Freiheitsraub“ und „moderner Ausbeutung“ der Mitarbeiter. Mit einem Augenzwinkern spielte er auf die Mitarbeiter von The European an, die keinen Feierabend zu haben scheinen. Görlach sieht diese Entwicklung als „Modernisierungsschub“. Dieser könne enorme Vorteile für Unternehmen bringen, die durch die neu gewonnene Mobilität effizienter arbeiten könnten. Das Thema wurde besonders hitzig diskutiert. Schirrmacher fragte, wo der „Mehrwert“ dieser Effizienz bleibe, wenn es durch die vernetzte Arbeitswelt immer weniger Arbeit für immer weniger Gehalt gebe. Die Nachteile, die vor allem Journalisten zu spüren bekommen, bestritt keiner der Anwesenden.
Ein weiteres Thema waren die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Politik. Frank Schirrmacher fragte Björn Böhning, ob die SPD den „Pulsschlag des Netzes“ höre. Laut Böhning ist das Netz für den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel eine „große Verheißung“. Allerdings ist er der Ansicht, dass das Netz noch „gestaltet werden muss“, es müsse mehr in die Partizipation im Netz investiert werden, „die Tools müssen genutzt werden“. Böhning sieht im Netz die Möglichkeit, dass Parteien wieder mehr Menschen erreichen können, die den traditionellen Vorstellungen von Parteien bereits abgeschworen hätten. Die klassischen Wege der Mitgliederbeteiligung funktionieren laut Böhning nicht mehr, dies sei die Chance für das Netz, das künftig effektiver für den demokratischen Dialog genutzt werden könne.
Doch nicht nur die Arbeitswelt und die Politik waren gestern Thema. Die drei Diskutanten waren sich uneinig darüber, ob die Gefahr besteht, dass der Zugang zu Informationen und Wissen in Zukunft durch Großkonzerne wie Google monopolisiert würde. Genau das befürchtet Böhning , der Angst davor hat, dass die Freiheiten des Netzes von Großkonzernen bestimmt werden könnten. Schon jetzt sieht er das Internet als einen „kapitalistischen Wirtschaftsraum an, der dennoch Freiheitspotenziale besitzt“. Görlach hingegen ist der Meinung, dass das Netz „keine wirtschaftlichen Implikationen“ hat. Weiter sagte er: „Wissen ist da und gehört allen“, er glaubt nicht an Informationsmonopole. Schirrmacher geht dennoch einen ganzen Schritt weiter und gab zu: „Ich kann ohne Google in der jetzigen Zeit nicht mehr existieren“. Seiner Ansicht nach würden Start-Ups wie „The European“ ohne Google auch nicht existieren. Über eines sind sich dennoch alle einig: Das Internet ist das wichtigste Zukunftsmedium der Welt. Böhning will deshalb dafür kämpfen, dass jeder in Deutschland Zugang zum Internet erhält und dass Sicherheit in Form von Transparenz gewährleistet werden soll, auch wenn es bis zur vollkommenen Transparenz noch ein langer Weg sei. Konsens gab es auch hinsichtlich von Böhnings Aussage „wer nicht lernt, mit dem Internet umzugehen, wird strukturelle Nachteile haben“, denn die „totale Unausweichlichkeit der digitalen Zukunft“ sei bereits erreicht.
Das 96 Seiten schlanke Buch gibt darüber hinaus auch Einblicke in Bereiche wie die Säkularisierung in der Gesellschaft sowie weitere Bereiche, die heute durch das Internet beeinflusst und verändert werden. Nicht all diese Veränderungen sind gewinnbringend und verheißungsvoll. Wer herauszufinden möchte, welche Veränderungen nach Einschätzung der Autoren auch in Zukunft noch vom Internet ausgehen werden, sollte „Freiheit oder Anarchie? Wie das Internet unser Leben verändert“ lesen.
Das Internet wirkt sich effektiv als Zwangsjacke für viele Beschäftigte aus. Ganz davon ist anzusehen, dass Jugend und nachwachsende Generation ohne Internet nicht mehr Leben scheinen zu können.