Seit Jahren gewinnt der Rechtspopulismus politisch an Einfluss – in ganz Europa. Einer der Chefideologen dieser Bewegung ist Geert Wilders, der eben erst die niederländische Regierung zu Fall gebracht hat. Seine anti-muslimischen Ressentiments sind szenetypisch – und finden auch auf Facebook immer mehr Verbreitung, wie eine neue Online-Studie belegt.
Kürzlich hat Innenminister Friedrich auf dem YouTube-Kanal der Bundesregierung vor der Gewaltbereitschaft der Salafisten in Deutschland gewarnt. Anhänger dieser Splittergruppe des Islam, die als besonders rückwärtsgewandt und fundamentalistisch in ihrer Koran-Auslegung gilt, drängen bereits seit Monaten immer häufiger in die Öffentlichkeit.
Wo in der Vergangenheit nur Hassprediger Pierre Vogel Medienaufmerksamkeit bekam, mehren sich nun Beiträge über Aktionen der hierzulande etwa 4.000 Personen umfassenden radikal-islamischen Gruppe. Während Salafisten vor einigen Wochen noch friedlich kostenlose Koran-Exemplare in den Fußgängerzonen deutscher Großstädte an Nicht-Muslime verteilten, kam es Anfang Mai in Bonn zur Gewalteskalation mit salafistischer Beteiligung. Nachdem bei einer Demonstration der rechtsextremen Kleinpartei pro-NRW islamfeindliche Karikaturen gezeigt worden waren, gingen die beiden verfeindeten Gruppen aufeinander los. Dabei wurden vier Polizisten verletzt.
In rechtspopulistischer Lesart sind Geschehnisse wie dieses Ausdruck des Kulturkampfes, jenes anti-islamischen Leitmotivs ihrer politischen Agenda, die darauf abzielt, Europa vor einer „Islamisierung“ zu retten. Die jüngsten Aggressionen der muslimischen Minderheit der Salafisten und Innenminister Friedrichs Warnung vor 4.000 Radikalen sind Wasser auf ihre Mühlen. Rechtspopulisten, die sich als Verteidiger abendländischer Werte gegen eine angebliche Barbarei der islamisch geprägten Kultur inszenieren, haben europaweit den fein verästelten Stammbaum einer neuen Parteienfamilie ausgeprägt – vernetzt auch und vor allem über das Internet. Das populärste Forum der Islamfeinde ist hierzulande bislang das Blog „politically incorrect“, doch sind sie dennoch gleichermaßen in den sozialen Medien auf dem Vormarsch – und holen Sympathisanten erfolgreich in deren täglichem digitalem Umfeld ab.
Europaweite Vernetzung der Islamfeinde
Wie intensiv die Rechtspopulisten der europäischen Parteienlandschaft bereits soziale Netzwerke wie Facebook nutzen, um ihre Ideen zu verbreiten, geht aus einer Studie des britischen Think Tanks Demos hervor, die bereits im November 2011 erschienen ist – aber nichts von ihrer Dringlichkeit und Aktualität eingebüßt hat. In ihrer Studie „The new face of digital populism“ mit dem Untertitel „The rise of populism in Europe can be traced through online behaviour…“ haben sich Mitarbeiter von Demos mit den Motiven und Hintergründen von Facebook-Fans namhafter europäischer Rechtsaußenbewegungen auseinandergesetzt. Dazu wurden Online-Fragebögen entworfen, die von Teilnehmern aus den entsprechenden Kreisen bearbeitet wurden.
Entscheidend für die Studie war es, Erkenntnisse über die Klientel zu gewinnen, die sich online zu rechtspopulistischen Parteien bekennt. 13.000 Facebook-Anhänger von 14 rechten Parteien und Bewegungen aus 11 westeuropäischen Staaten füllten den Fragebogen aus. Insgesamt beläuft sich die Anzahl derer, die bei einer der Gruppierungen den „Like“-Button gedrückt haben und sich somit regelmäßig von diesen auf Facebook informieren und updaten lassen, auf ca. 440.000 User.
Männlich, gebildet, desillusioniert und multikulti-kritisch
In Finnland war nach dem dortigen Rechtsruck bei der Parlamentswahl 2011 die Rede von einer „Revolution der zornigen Männer“. Diese Einschätzung des Politologen Heikki Hiilamo scheint sich auch europaweit im digitalen Raum zu bestätigen: Drei Viertel von ihnen sind demnach männlich, 63 Prozent unter 30 Jahre alt.
Dass Zorn explizit als Triebkraft der Rechts-Sympathisanten genannt wird, soll aber nicht zu der Annahme verleiten, es seien lediglich leicht beeinflussbare bildungsferne und geringverdienende Schichten, die sich bei Facebook zu den Rechtspopulisten bekennen. Gut ein Drittel der Befragten gab an, Student/in zu sein, was womöglich das brisanteste Ergebnis der Studie darstellt. Geeint sind die Befragten aber nicht nur in ihrer Islamfeindlichkeit und EU-Skepsis, sondern auch in ihrem Misstrauen gegenüber den etablierten politischen Eliten (immerhin 80 Prozent). Desillusion und Politikverdrossenheit, kombiniert mit einem diffusen Gefühl von Xenophobie, das sich vor allem in Anti-Islamismus und der Ablehnung des Multikulturalismus äußert, lassen tief in die rechtspopulistische Seele blicken.
Dass ein „Like“-Button schnell angeklickt und nicht mit politischem Aktivismus zu verwechseln ist, ist nicht erst seit dem Seifenblasen-Support auf Facebook bekannt, der Ex-Verteidigungsminister Guttenberg während dessen Plagiatsaffäre widerfuhr. Hunderttausende Facebook-Fans, die sich mit Guttenberg solidarisierten, blieben bei den Demonstrationen pro Guttenberg mehrheitlich zu Hause. Auch die Demos-Studie zeigt, dass die Facebook-Gefolgschaft für die Rechtspopulisten nicht überbewertet werden sollte.
Einer von drei Befragten gab an, der Partei, deren Facebook-Fan er ist, beim letzten Mal nicht seine Stimme gegeben zu haben. Die allermeisten Befragten äußerten zudem, dass sie sich nicht als formale Mitglieder sehen. Also wird bei den Facebook-Fans eher eine Grundstimmung abgebildet, als dass man den Rechtspopulisten eine digital initiierte politische Sammlungskraft bescheinigen könnte. Mit anderen Worten: 400.000 rechte Facebook-Fans sind nicht mit 400.000 rechten politischen Aktivisten zu verwechseln.
Methodische Schwächen der Studie
Um diese Ergebnisse fair beurteilen zu können, sollte man sich auch ihre methodischen Schwächen vergegenwärtigen – auf die Demos selbst explizit hinweist. Zunächst ist davon auszugehen, dass von der Studie nur Anhänger erfasst werden, die aus ihren politischen Überzeugungen keinen Hehl machen. Die „heimlichen“ Rechten, die insbesondere nach den Breivik-Attentaten des vergangenen Jahres Angst vor gesellschaftlicher Ächtung haben, werden von der Studie nicht erfasst. Darüber hinaus sind die Identitäten und die Glaubwürdigkeit der zum Ausdruck gebrachten Motive nicht zweifelsfrei erwiesen. Es ist nicht unüblich, dass politische Gegner einer Partei deren Facebook-Seiten „infiltrieren“, um im Diskussionsbereich Unruhe zu stiften oder sich bequem über die Kampagnen der Gegenseite informieren zu lassen. Solche „falschen Fans“ könnten die Studie durchaus verzerrt haben: etwa durch extreme oder klischeehafte Antworten.
Außerdem sollte die Parteienauswahl kritisch betrachtet werden. Denn selbst wenn anti-muslimische Ressentiments die inhaltliche Klammer aller in der Studie berücksichtigten Gruppierungen bilden, so bestehen doch zwischen nationalliberalen Parteien wie etwa der niederländischen PVV, der deutschen „Freiheit“ oder der Dänischen Volkspartei und quasi-faschistoiden und militanten Gruppen wie der „English Defence League“ oder der „CasaPound Italia“ große Unterschiede. Parteiensteckbriefe zur Geschichte und zu signifikanten Medienauftritten ihrer Mitglieder am Ende der Studie ermöglichen es dem Leser allerdings, sich ein eigenes Urteil über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Europas Rechtsaußengruppen zu bilden.
Aufgrund der methodischen Schwächen und der in diesem Rahmen kaum abzudeckenden Vielgestaltigkeit der untersuchten Szene ist die Demos-Studie als Ergänzung zu anderen Forschungsleistungen zum zeitgenössischen Rechtspopulismus zu sehen. Ihr primäres Verdienst ist es nicht nur, einen Beitrag zu diesem oft vernachlässigten Diskurs zu leisten. Viel entscheidender ist es, dass Demos versucht, interessierte Westeuropäer darüber zu informieren, was in ihren rechts gesinnten Landsleuten vorgeht und was sie antreibt. Wo die klassischen Leitmedien oft nur dämonisieren und die konstruktive Debatte mit den Sympathisanten der Rechtspopulisten unmöglich machen, bietet die Studie Chancen. Auch und vor allem den regierenden Politikern.
Wilders auf einer Stufe mit zu Guttenberg. Das nenne ich tiefgründigen Journalismus! Bravo!
Guttenberg dient völlig entkoppelt als Beispiel für die politische Belanglosigkeit von Facebook-Likes. Ich seh da keine Beziehung zwischen den beiden Herren aufgemacht.
Hier liegt offenbar ein Missverständnis vor. Selbstverständlich sind Herr zu Guttenberg und Herr Wilders nicht gleichzusetzen – das habe ich in dem Artikel auch nicht getan.
Das Guttenberg-Beispiel sollte lediglich deutlich machen, dass der Support von Politikern auf Facebook häufig substanzlos ist – wie Herr zu Guttenberg erfahren musste, als es zu Zeiten der Plagiatsaffäre zu recht kläglichen Solidaritäts-Demonstrationen seiner Facebook-Fans kam.
Und wegen dieser Substanzlosigkeit gibt es wenig Grund, in 400.000 Online-Rechtssympathisanten zwangsläufig politisch aktive, mobilisierbare Massen zu sehen.