9175061442_587e5188cc_zDie Wahl am Sonntag hat neben vielem anderen eines ganz besonders gezeigt: Deutschland ist alles andere als eine digitale Gesellschaft. Wahlen werden immer noch analog gewonnen, NSA hin, Neuland her. Netzpolitik? Weiterhin bestenfalls ein Randthema.
Es dauerte gar nicht lange am Sonntagabend, da war dann auch das restliche Stückchen Hoffnung für die Partei verflogen: Kurz nach der ersten Prognose hatten die Piraten weder bei ARD noch ZDF einen eigenen Balken, sie firmierten stattdessen schlichtweg unter “Andere”. Was bei einem Stimmenanteil von Zweikommairgendwas nicht verwunderlich ist, markierte dann doch zweierlei: das schnelle und brutale Ende eines Hypes auf der einen Seite. Und die Einsicht in die Tatsache, dass man sich über die Bedeutung von Netz und Netzpolitik möglicherweise völlig falsche Vorstellungen gemacht hat, sofern man sich viel im Netz aufhält, an den Stellen, wo immer alle sind – und sich in die klassische Filter-Bubble-Falle begeben hat: Nur weil im Netz viel über das Netz diskutiert wird, heißt das noch lange nicht, dass es ein Thema von gesellschaftlicher Relevanz ist; selbst dann nicht, wenn man es noch sehr bedauern mag.
Man kann also neben den vielen anderen Dingen, die man aus dieser denkwürdigen Wahl herauslesen kann, noch anderes lernen. Das Netz ist zwar möglicherweise in der Mitte der Gesellschaft angekommen, aber bis auf weiteres lediglich als ein Instrument, mit dem man Mails schreiben, Bankgeschäfte erledigen und irgendwas bei Amazon bestellen kann. Es mag möglicherweise die Netzgemeinde empören, wenn die Kanzlerin das Netz als Neuland bezeichnet, der ganz überwiegenden Mehrheit der Deutschen ist das allerdings wahlweise vollständig egal oder schlichtweg entgangen. Dass die Kanzlerin und die Bundesregierung bei der NSA-Thematik keine oder eine unglückliche Figur abgeben, spielt politisch keinerlei Rolle (selbst wenn man sich darüber an sich nur wundern kann).

Netzpolitik ist ein Nichtthema in der Bundesrepublik

Kurz gesagt: Netzpolitik ist in Deutschland immer noch ein exotischer Nicht-Begriff; ein Thema, das in seiner Bedeutung knapp hinter den Lobbyverbänden für den schonenden Ausbau des Fliegenfischens an der Donau angesiedelt ist. Netzpolitik mag möglicherweise nicht tot sein, wie manche inzwischen schon unkten, sie ist nur bedeutungslos, sie ist es in den letzten Jahren vermutlich immer gewesen, man hat es nur nicht wahrhaben wollen in seiner kuscheligen Bubble, wo doch bei Twitter und in all den anderen places to be immer der Eindruck entstehen konnte, Deutschland diskutiere beinahe ausschließlich über die Abhörgeschichten der Amerikaner, über Neuland, über die neueste Version von iOS und bereite sich ansonsten auf die zu erwartende absolute Mehrheit der Piraten vor. Dabei täuscht der Mikrokosmos Netz ganz gewaltig: Es mag twitternde Piraten mit 30.000 Followern geben – im realen Leben ist das weniger als nichts. Hat irgendjemand einen Piraten von Relevanz am Sonntag gehört?
Natürlich, es wäre ein Leichtes, jetzt auf eine Partei zu prügeln, die ohnehin am Boden liegt und der man nach heutigem Stand der Dinge noch ein gruseligeres Schicksal als der FDP propehezeien muss (und das will wirklich was heißen). Die internen Unsinnigkeiten der Piraten sind das eine. Das andere ist, dass wir im Netz immer noch gerne in einer Art Wolkenkuckucksheim leben, in dem wir denken, die Zahl der Tweets und Likes seien ein halbwegs reales Abbild dessen, was den Normalbürger auch nur im Ansatz interessiert. Man muss kein Wahlforscher sein und keine Studien lesen, um sehr schnell dahinter zu kommen, dass das Netz und die Netzpolitik bei der Wahl eine nicht mal untergeordnete Rolle gespielt haben. De facto war es gar keine Rolle.

Schwierig, aus Protest politische Überzeugungen und Wähler zu machen

Und die Piraten, war da nicht mal was? Sitzen sie nicht in diversen Länderparlamenten, hatte man ihnen nicht noch vor Jahresfrist den Einzug in den Bundestag als nahezu unumgänglich in Aussicht gestellt? Geht das, wenn das Netz in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich so unbedeutend ist? Ja, das geht. Es geht, weil es nichts Ungewöhnliches ist, wenn zwischen den Wahlen einzelne Strömungen und Stimmungen laut werden, wenn sich Menschen von medialer Berichterstattung leiten lassen und die Neigung wächst, sich von längerfristigen politischen Überzeugungen zu entfernen und einer latenten Unzufriedenheit Ausdruck zu geben. Die Grünen wurden ebenfalls noch vor Jahresfrist bei guten zweistelligen Werten nahe der 20-Prozent-Marke taxiert; es gab seriöse politische Journalisten, die schon von der Möglichkeit eines grünen Kanzlers schwadronierten. Momentan reden alle von der Beinahe-Parlaments-Partei AfD, die sich aus dem Stand beinahe in den Bundestag gemosert hätte. Letzendlich also ist es zunächst nicht sehr schwierig, Protestpotenzial zu kanalisieren. Daraus politische Überzeugungen und mittelfristige Wähler zu machen, ist schon sehr viel anspruchsvoller.
Und die Piraten, war da nicht mal was? Sitzen sie nicht in diversen Länderparlamenten, hatte man ihnen nicht noch vor Jahresfrist den Einzug in den Bundestag als nahezu unumgänglich in Aussicht gestellt? Geht das, wenn das Netz in der öffentlichen Wahrnehmung tatsächlich so unbedeutend ist? Ja, das geht. Es geht, weil es nichts Ungewöhnliches ist, wenn zwischen den Wahlen einzelne Strömungen und Stimmungen laut werden, wenn sich Menschen von medialer Berichterstattung leiten lassen und die Neigung wächst, sich von längerfristigen politischen Überzeugungen zu entfernen und einer latenten Unzufriedenheit Ausdruck zu geben. Die Grünen wurden ebenfalls noch vor Jahresfrist bei guten zweistelligen Werten nahe der 20-Prozent-Marke taxiert; es gab seriöse politische Journalisten, die schon von der Möglichkeit eines grünen Kanzlers schwadronierten. Momentan reden alle von der Beinahe-Parlaments-Partei AfD, die sich aus dem Stand beinahe in den Bundestag gemosert hätte. Letzendlich also ist es zunächst nicht sehr schwierig, Protestpotenzial zu kanalisieren. Daraus politische Überzeugungen und mittelfristige Wähler zu machen, ist schon sehr viel anspruchsvoller.
Es ist also ein Trugschluss zu glauben, das vorübergehende Hoch der Piraten sei auch ein Zeichen für die gestiegene Relevanz einer digitalen Gesellschaft gewesen. Die Gesellschaft 2013 heißt: Merkel. Neuland. Keine Experimente. Weiter so, weil wir sie ja kennen und wissen wofür sie steht (O-Ton der Kanzlerin beim TV-Duell). Die Gesellschaft 2013 ist genauso analog wie 2009 oder 2005.
Merkels Vorgänger übrigens wusste: Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Wenn eine digitale Gesellschaft irgendwann mal Realität werden soll, müssen ihre Themen, aber auch ihre Protagonisten in die Mitte rücken. Das Gehabe eines elitären Zirkels mit elitären Manierismen und einer verblüffenden intellektuellen Überheblichkeit sorgen nur dafür, dass auch 2017 der deutsche Wähler vor allem eines ist: analog.
Dieser Artikel ist ein Crosspost und wurde zuerst bei Cicero.de veröffentlicht.
Bilder: Autorenfoto: Heike Rost; Artikelfoto: PatRickVetter81 (CC BY-NC-SA 2.0)
 
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