Der 85jährige Alfred Rosenthal ist der älteste Internetbenutzer
in Deutschland. Lesen Sie das politik-digital-Porträt.

"Ich merkte auf einmal, ich bin Analphabet!"

In vielen Bereichen unseres Lebens geht schon
heute nichts mehr ohne Computertechnologie. Auch als
Kommunikationsmedium ist der Computer aus der
heutigen Gesellschaft nicht mehr wegzudenken.
Vergleichbar mit dem Siegeszug des Telefons steigt
die Zuwachsrate der Internetzugänge unaufhörlich und
Politik und Wirtschaft werden nicht müde, die Chancen
der neuen Informationstechnologien hervorzuheben.
Auch die Internetgemeinde zeigt sich fasziniert von der
Vorstellung, dass die Welt näher zusammenrückt, da
Entfernungen oder Nationalitäten zumindest im Internet
eine immer unwichtiger werdende Rolle spielen. Und
dennoch ist eine Gruppe von Menschen an den Rand
dieses Kommunikationsstromes geraten, die
quantitativ, die größte Altersgruppe darstellt: die über
Sechzigjährigen.

Anscheinend steht nämlich nicht nur die Alterspyramide in
westlichen Gesellschaften auf dem Kopf, sondern auch
der Wissenstransfer zwischen den Generationen hat
sich dramatisch verändert. Die Weisheiten und
Lebenserfahrungen des Alters werden angesichts einer
immer schneller drehenden Wissensspirale für viele
junge Menschen immer unwichtiger, da Informationen
und Wissen nicht nur vielschichtiger, sondern auch
kurzlebiger werden. Hingegen reagieren ältere
Menschen oft mit Abneigung und Angst auf neue
Technologien, da eine ständige Reproduktion des
Neuen vielen schwer fällt. Dementsprechend
stiefmütterlich werden viele Senioren auch von den
Bildungseinrichtungen bzw. von den staatlichen Stellen
behandelt, wenn es darum geht Senioren an die Neuen
Medien heranzuführen. Eine Ausnahme stellt der Verein
"Seniorinnen und Senioren in der Wissengesellschaft" (VSiW) dar, der
die Vermittlung von Medienkompetenz für Menschen ab 50 auf dem Weg in die
Wissensgesellschaft fördern möchte. Dafür wurde die Kampagne "Senior-Info-Mobil"
gestartet, bei der ältere Menschen zusammengebracht werden, die
auf das Internet neugierig geworden sind.
Durch die Aktion sollen Berührungsängste abgebaut werden, indem sich die Seniorinnen und Senioren
ohne Kontrolle und vor allem ohne lächerlich machende Kommentare, aber mit direkter Hilfe an Rechner
setzen. So können sie selbst herausfinden, welchen Nutzen ihnen PCs und die neuen Medien
für ihr eigenes Leben bringen. Natürlich kann dies nur ein erster Einstieg sein. Vieles bleibt darüber
hinaus wenigen Anbietern (siehe auch Toplinks) bzw. der Eigeninitiative der Senioren überlassen.

Alfred Rosenthal

Alfred Rosenthal

Ein Beispiel dafür ist der 85jährige Alfred Rosenthal,
der einer der ältesten, wenn nicht sogar der älteste
Internet-Nutzer Deutschlands ist. Seit ca. 15 Jahren
beschäftigt er sich nun mehr oder weniger intensiv mit
dem Computer, obwohl er es aus beruflichen Gründen
schon damals nicht mehr mußte, weil er längst in Rente war.
Eine Art
Schlüsselerlebnis widerfuhr ihm, als er Kinder und
Jugendliche beim Spielen am Computer beobachtete
und er nicht begreifen konnte, was da passiert: "Ich
merkte auf einmal, ich bin Analphabet" berichtet
Rosenthal "und ich war bereit, etwas dagegen zu
unternehmen."

Diese Bereitschaft hat dazu geführt, dass der Computer
und später die e-mail sowie das Internet zum
Wegbegleiter des Seniors geworden sind. Mittlerweile
nutzt er die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, um
z.B. mit seiner in Kalifornien lebenden Tochter, aber
auch mit Verwandten in Israel zu kommunizieren. Die
Vorteile liegen dabei für ihn klar auf der Hand: "Meiner
Tochter eine e-mail zu schreiben ist viel billiger, da in
Deutschland das Porto zu teuer ist."
Außerdem hat er festgestellt, dass diese Form der
Korrespondenz für ihn eine leichtere Form der
Kommunikation darstellt, denn zum einen kann er
Briefe vom Inhalt jederzeit umstellen, ohne erneut von
vorne anfangen zu müssen und zum anderen "wird
meine Schrift im Alter auch nicht unbedingt besser".

Für Alfred Rosenthal muß die Technik dem Menschen
helfen und nicht umgekehrt und deshalb verknüpft er
mit ihr konkrete Lebensbezüge. So nutzt er das
Internet eigentlich eher selten, es sei denn er besucht
seine Tochter in den USA und informiert sich vorher
über das aktuelle Wettergeschehen. Die
seniorenspezifischen Angebote im Internet findet er
grundsätzlich gut und seit einem Jahr ist er – neben
seinem umfangreichen ehrenamtlichen Engagement in
der christlich-jüdischen Zusammenarbeit – auch
Mitglied im SeniorenNet Rhein-Main. "Hier finde ich
andere Unterhaltungsprogramme und Dinge von
Interesse für Ältere" sagt Rosenthal und räumt
gleichzeitig ein, dass selbst solche Angebote vielen
Senioren die Angst vorm Computer nicht nehmen
können.

"Ich habe es schon dadurch viel einfacher, da ich,
aufgrund meiner Zeit in den USA, gut Englisch spreche
und viele der Fachbegriffe verstehe." Deswegen ist er
auch der Meinung, "dass junge Menschen, die Älteren
an den Computer heranführen sollten". Genauso ist er
auch weiterhin bereit von Jüngeren zu lernen, da Alfred
Rosenthal "soviel wie möglich verstehen will". Nur seine
Frau hat er noch nicht mit dem "Virus" und seiner
Neugier infizieren können: "Ich kann machen was ich
will, meine Frau hat Angst vor dem Computer!"

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Alfred Rosenthal wurde am 29.11.1913 in Hamburg-
Altona geboren. Kurz nach der Machtübernahme der
Nationalsozialisten in Deutschland emigrierte er nach
Palästina. In den 50er Jahren ging er schließlich aus
beruflichen Gründen in die USA. Erst in den 70er
Jahren kehrte er mit seiner Frau nach Deutschland
zurück. Seine Tochter und sein Enkel wohnen weiterhin
in den USA. Alfred Rosenthal lebt heute in Frankfurt
am Main.

Nachtrag: Wie das Leben so spielt, meldete sich kurz
nach Erscheinen dieses Porträts, mit Edith Schlenz
eine 88jährige Internetnutzerin aus Gronau, die dort im
Bethesda-Altenheim lebt.