Wenn 20-35-Jährige sich darüber informieren wollen, was in der Welt los ist, scannen sie meist schnell die Überschriften auf Spiegel Online. Aber reicht das? Und was sagen andere Medien zu einzelnen Themen? Der Pressekompass bietet einen Überblick zu wichtigen Meinungen und Fakten des Tages. Interview mit der Gründerin Pia Frey.
Der Pressekompass setzt dem einseitigen Medienkonsum ein Ende, indem er Standpunkte von Leitmedien zu aktuellen Themen stichpunktartig aufbereitet und die Meinungen in einem interaktiven Kompass graphisch gegenüberstellt. Der Leser kann sich umfassend informieren und kann nebenbei noch seine eigene Sichtweise einbringen. Pia Frey ist Gründerin des neuen journalistischen Formats und spricht mit politik-digital.de über Leser mit wenig Zeit, Meinungsjournalismus und beliebte Themen.
politik-digital.de: Wie unterscheidet sich der Pressekompass von anderen Nachrichtenaggregatoren?
Pia Frey: Das Bedürfnis, die tägliche Flut von komplexen Nachrichten in einer geordneten und kuratierten Form zu erhalten, ist bei vielen Nutzern extrem groß. Daraus haben sich Formate entwickelt, die eine Art individualisierte Tageszeitung anbieten, wie niuu oder so genannte Cherry-Pickers, die schöne Artikel raussuchen. Der Pressekompass ist ein Cherry-Picker für den Meinungsjournalismus und mit seinem graphisch-interaktiven Element ein übersichtliches Format zur Meinungslage eines Themas. So etwas gab es vorher nicht.
politik-digital.de: Wer ist der typische Leser des Pressekompasses?
Pia Frey: Die Kernleserschaft ist zwischen 20 und 35 Jahre alt und informiert sich mit knappem Zeitbudget überwiegend online über die täglichen Nachrichten. Unsere Leser haben ein Interesse daran, mehrere Blickwinkel einer Debatte zu kennen, um sich so ihre eigene Meinung zu bilden. Viele unserer Leser schätzen unsere Einordnung der verschiedenen Standpunkte, weil das Orientierung schafft und sie damit schneller ihren eigenen Standpunkt entwickeln können.
politik-digital.de: Wie einigt Ihr Euch auf das Tagesthema und wie wählt Ihr die Medien für einen Kompassbericht aus?
Pia Frey: Generell lassen wir uns davon leiten, was gerade die Schlagzeilen dominiert. Wir wählen unsere Themen aber auch danach aus, ob sie eine Debatte enthalten. Wenn Marcel Reich-Ranicki stirbt, finden das eben alle ohne Pro und Contra traurig. Und nicht alles, was in den Schlagzeilen steht, kommt bei unseren Lesern auch gut an. Wir haben festgestellt, dass die Leser von manchen Themen wie etwa Syrien oder NSA nach ein paar Beiträgen übersättigt sind. Es gilt, die Balance zu halten zwischen aktuellen Geschehnissen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und weicheren Themen, über die auch entspannt beim Abendessen gesprochen wird.
politik-digital.de: Viele Medien recyceln Agenturmeldungen und berichten oft ähnlich von denselben Themen. Ist es schwierig, die wichtigsten Argumente aus einem Artikel herauszufiltern?
Pia Frey: Viele Redaktionen haben verstanden, dass Meinungsjournalismus stärker gefragt ist und ein starkes Meinungsprofil hilft, sich von Konkurrenzmedien abzusetzen. Kommentare in Artikeln zu finden, wird daher eher leichter. Schwieriger ist es, die Argumente eines Kommentars so verdichten, dass man sie anderen gegenüberstellen kann. Ein Artikel hat also größere Chancen, in den Kompass aufgenommen zu werden, wenn er klare Argumente enthält. Wir suchen auch in internationalen Medien sowie Blogs – die ja meistens schon eine starke Meinung beinhalten – nach Kommentaren für unsere Artikel. Generell beziehen wir alle Beiträge in unsere Presseschau ein, wenn sie interessante Meinungen beinhalten, auch Nischenmedien.
politik-digital.de: Für welche Beiträge bekommt Ihr die meisten Klicks?
Pia Frey: Wir haben Artikel aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Gesellschaft, Sport und Kultur. Drei Themen-Typen laufen besonders gut: aktuelle Top-Themen wie die Bundestagswahl, über die sich der Leser einen Überblick verschaffen will; Party-Themen, wie ein Artikel über Hipster; und Branchen-Themen, zum Beispiel ein Beitrag zu Bild-Plus – dem Paywall-Modell für Bild.de.
politik-digital.de: Haben Leser bei Euch die Möglichkeit, mitzudiskutieren?
Pia Frey: Ja, das ist ein wichtiger Bestandteil unseres Meinungskompasses. Das ist die Graphik, die die verschiedenen Meinungen einer Debatte in ein Koordinatensystem einordnet (siehe Bild). Der Leser kann seine eigene Meinung im Kompass platzieren und – wenn er möchte – einen Kommentar von 150 Zeichen dazu verfassen. Somit vermeiden wir endlose Kommentare unter unseren Beiträgen und präsentieren die öffentliche und die mediale Meinung gemeinsam in einer Graphik. Zum Beispiel haben wir während der Bundestagswahl unsere Leser gefragt, welches Ergebnis sie sich wünschen, und den entstandenen Kompass danach auf Facebook veröffentlicht. Die Funktion wird gern und viel genutzt, sieben bis zehn Prozent der Leser platzieren im Schnitt ihre Meinung oder hinterlassen einen Kommentar. Das liegt daran, dass wir es ihnen einfach machen; man muss sich bei uns nicht registrieren oder ein Nutzer-Profil erstellen.
politik-digital.de: Wie unterscheiden sich Leser- von Medienmeinungen?
Pia Frey: Das Ergebnis des Meinungskompasses ist oft auch deshalb interessant, weil die Meinung der Leser sich häufig nicht mit der „Durchschnittsmeinung“ der Medien deckt. Die Lesermeinung ist oft einheitlicher als die der Medien. Man sieht hier auch, dass die Medien nicht, wie häufig behauptet wird, alle nur voneinander abschreiben, sondern durchaus differenziert berichten. Erstaunlich ist auch, dass Medien, die als politisch konträr eingeschätzt werden – wie die BILD und die TAZ – auch mal einer Meinung sind.
politik-digital.de: Wie integriert Ihr soziale Medien?
Pia Frey: Die meisten unserer Leser kommen über Facebook und Twitter zu uns. Wir posten jeden Morgen das Tagesthema mit den dazugehörigen Medienmeinungen und abends die Auswertung des Meinungskompasses mit den gesammelten Lesermeinungen. In Zukunft wird man auch einzelne Snippets mit seiner „Lieblingsmeinung“ auf seinem eigenen Facebook-Profil posten können.
politik-digital.de: Wie geht es mit dem Pressekompass weiter?
Pia Frey: Der Pressekompass soll mobil noch optimiert werden, damit man ihn besser unterwegs nutzen kann. Außerdem soll eine passende App entwickelt und die Website etwas schlanker gestaltet werden. Für die Zukunft planen wir weiterhin, andere Websites von der Meinungsdarstellung im Kompassformat profitieren zu lassen. Sie können unser Format bei sich integrieren und den Kompass beispielsweise dafür nutzen, repräsentative Meinungsbilder der User zu erstellen. Es ist auch möglich, bei uns Pressescreenings nach Kompass-Format zu individuell gewünschten Themen zu bestellen. Das kann für branchenspezifische Unternehmen interessant sein. Das alles sind für uns vielversprechende Finanzierungsmodelle für die Zukunft. Anders als viele Pessimisten in der Branche sind wir uns sicher, dass sich mit innovativen journalistischen Formaten auch Geld verdienen lässt.
Bilder: Pia Frey, Leo Reynolds (CC BY-NC-SA 2.0), Screenshot von der Website: Meinungskompass
Vielen Dank für dieses Interview; den Pressekompass werde ich mir gleich mal näher anschauen. politik-digital ist und bleibt die beste Quelle für die neusten Entwicklungen im Netz – weiter so!
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